© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/07 28. September 2007

Protest weitet sich aus
Meinungsfreiheit: In der Affäre um die Buchzensur auf dem Schlesiertreffen meldet sich Ministerpräsident Wulff zu Wort
Hans-Joachim von Leesen

Die Affäre um die Aussortierung mißliebiger Bücher auf dem Schlesiertreffen im Juli in Hannover durch die Landesregierung von Niedersachsen zieht immer weitere Kreise.

Entstand zunächst der Eindruck, die Übergriffe des niedersächsischen Innenministeriums beim Deutschlandtreffer der Landsmannschaft Schlesien (JF 28/07) seien lediglich das Werk untergeordneter williger Beamter gewesen, weitet sich die erzwungene Aussortierung bestimmter Bücher zu historischen Themen aus den Verkaufsauslagen während der Veranstaltung zum Skandal aus, der auch den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff erreicht. Es kommen immer neue Umstände ans Licht, die die Annahme berechtigt erscheinen lassen, der Chef der Landesregierung stehe hinter der Beschneidung des Grundrechtes auf Meinungsfreiheit.

Zur Erinnerung: Im Juli fand in Hannover das diesjährige Deutschlandtreffen der Landsmannschaft der Schlesier  statt. Die Landsmannschaft hatte die Messehallen gemietet, die niedersächsische Landesregierung einen bescheidenen Zuschuß für die Veranstaltung zugesagt. Mit der Vermietung war die Forderung verbunden, kein rechtsextremistisches verfassungsfeindliches Gedankengut zu verbreiten. Diesem Anliegen konnte die Landsmannschaft guten Gewissens zustimmen.

Bald sollte sich jedoch herausstellen, daß die Auffassungen darüber, was rechtsextremistisch ist und was nicht, weit auseinandergingen. Was die Landesregierung darunter verstand, wurde deutlich, als sie verlangte, ihr mögen die Titel aller beim Schlesiertreffen von den anwesenden Buchhändlern angebotenen Bücher vorab genannt werden. Von dieser Bücherliste strich sie dann 24 Titel und drohte der Landsmannschaft, werde das Verbot nicht befolgt, dann streiche die Landesregierung den bereits zugesagten finanziellen Zuschuß. Während der Veranstaltung kontrollierten Beamte, die sich auf Befragen als Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz ausgaben, die Ausstellungen und krochen dabei auf der Suche nach beanstandeten Büchern sogar unter die Tische der Aussteller.

Pikant ist, daß die von der Landesregierung genannten Bücher, deren Auslage verhindert werden sollte, ausnahmslos weder verboten sind noch auf der Liste der jugendgefährdenden Schriften stehen. Die Titel reichen von dem in immer neuen Auflagen erscheinenden Werk des ehemaligen sowjetischen Geheimdienstoffiziers Viktor Suworow "Stalins verhinderter Erstschlag" bis zu Udo Ulfkottes vielbeachtetem Buch "Der Krieg im Dunkeln - Die wahre Macht der Geheimdienste".

Anfragen an das Landesinnenministerium, auf welcher Grundlage die faktischen Verbote beruhen, blieben zunächst unbeantwortet. Als über einen Rechtsanwalt Termine gesetzt wurden, wich das Ministerium der konkret gestellten Frage nach den Rechtsgrundlagen aus und berief sich lediglich auf die Absprache zwischen dem Vermieter der Messehallen mit der Landsmannschaft, ohne zu erwähnen, daß diese Regelung durch die Drohung erpreßt worden war, andernfalls würden die Landesmittel für das Deutschland-Treffen gestrichen.

Ein anderer Besucher des Schlesiertreffens wandte sich direkt an den niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann (CDU) und fragte, warum das Buch des Generalmajors a. D. Gerd Schultze-Rhonhof über den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges Krieges nicht hatte ausgestellt werden dürfen und wieso dieses offenbar als rechtsextreme Gefährdung eingeschätzt werde. Die Antwort aus dem Innenministerium lautete unter anderem: "Ob das von Ihnen zitierte Buch von Generalmajor a. D. Gert Schulze-Rhonhof zu den beanstandeten Titeln gehörte, ist nicht mehr feststellbar."

Eine aufgebrachte Schlesierin schrieb unterdessen persönlich an Ministerpräsident Wulff  und drückte ihre Empörung darüber aus, daß das Land Bücher zu unterdrücken versuche, nur weil sie eine alleinige Kriegsschuld Deutschlands anzweifelten.

Im vom Ministerpräsidenten unterzeichneten Antwortbrief wird mit keiner Silbe darauf eingegangen. Statt dessen verweist Wulff darauf, daß "das Schicksal der Vertriebenen" nicht vergessen sei, aber seiner Ansicht nach "jede Form von materieller Aufrechnung" zu einer weiteren Verhärtung der Fronten zwischen Deutschland und Polen führe.  

Der Ministerpräsident bleibt dabei, "daß rechtsextremistisches Gedankengut auf dem Schlesiertreffen verbreitet werden sollte",  womit er nichts anderes meinen konnte als die von der Ausstellung ausgeschlossenen Bücher.

Der Brief endet: "Es darf keinen Raum mehr geben für Entschädigungsansprüche, für gegenseitige Schuldzuweisungen und für das Aufrechnen der Verbrechen und Verluste. Wir sollten unsere Kräfte darauf konzentrieren, gemeinsam die Zukunft Europas zu gestalten." Kein Wort der Distanzierung von der zweifelhaften Maßnahme seines Innenministeriums, kein Versuch zu definieren, wie denn durch die beanstandeten Bücher der Rechtsextremismus gefördert werde.

Noch ein für die Landesregierung peinliches Ereignis am Rande: In der Messehalle wollte beim Deutschlandtag der Schlesier auch das Freundschafts- und Hilfswerk Ost e. V. einen Informationsstand einrichten. Das wurde mit Hinweis auf rechtsextremistische Umtriebe von der Landesregierung verboten.

Vor ebendieser überparteilichen Organisation hatte das Bundesinnenministerium im April die Organisationen der deutschen Volksgruppe in Polen gewarnt. Wenn sie nicht die Kontakte zum angeblich rechtsextremen Freundschafts- und Hilfswerk abbrächen, würden die Bundesmittel gestrichen.

Als daraufhin der Schirmherr des Vereins, Klaus Sojka, dem Innenministerium rechtliche Schritte wegen der Verleumdung ankündigte, hatte das Bundesinnenministerium die Verdächtigung zurückgenommen. Die Einschätzung des Hilfswerkes werde "aufgrund neuerer Erkenntnisse gegenwärtig nicht weiter aufrecht erhalten". Der Zusammenarbeit von Einrichtungen der deutschen Minderheit in Polen mit dem Freundschafts- und Hilfswerk stehe nichts entgegen.

Die niedersächsische Landesregierung aber befand sich weiter auf dem Kriegspfad und verbot der vom Bundesministerium längst rehabilitierten Organisation das Auftreten in Hannover. Es dürfte sich lohnen, die Angelegenheit weiter zu verfolgen.


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