© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/07 28. September 2007

Im Visier des Verfassungsschutzes
Bundestag: Der Inlandsgeheimdienst sammelt Informationen über den aus der CDU ausgetretenen Abgeordneten Henry Nitzsche
Leonhard Kramer

Daß ein Parteiaustritt bei Beibehaltung des Bundestagsmandats nicht nur Vorteile mit sich bringt, wußte Henry Nitzsche durchaus, als er im Dezember 2006 nach einem Streit über eine von ihm gehaltene Rede die CDU verließ. Seitdem muß der sächsische Bundestagsabgeordnete ohne die personellen und materiellen Ressourcen auskommen, über die beispielsweise ein Fraktionsabgeordneter verfügt.

Im Gegenzug unterliegt er aber auch keinen parteiinternen Zwängen und keinerlei Fraktionsräson. Daß allerding neben dem zu erwartenden Gemiedenwerden durch ehemalige Parteifreunde - worüber Nitzsche, wie er sagt, alles andere als traurig ist - auch ganz andere Mittel gegen ihn eingesetzt werden könnten, hatte er so nicht erwartet. Schon bald nach seinem Parteiaustritt kamen Freunde auf ihn zu, die ihn warnten, er solle in die rechtsextreme Ecke gestellt werden. Immer wieder fiel dabei auch das Wort "Verfassungsschutz". Nitzsche wollte diesen wohlgemeinten Warnungen zuerst nicht glauben, bis er durch einen Zufall selbst mißtrauisch wurde. Einige Wochen nach seinem Parteiaustritt hatte Nitzsche ein vertrauliches Telefonat mit dem ehemaligen CDU-Landtagsabgeordneten Volker Schimpff geführt, in dem er diesem ein Arbeitsangebot machte. Kurze Zeit darauf wurde Schimpff von Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) auf dieses Angebot angesprochen. Da Schimpff, wie er Nitzsche versicherte, mit niemandem über das Telefonat gesprochen hatte, lag für Nitzsche der Verdacht nahe, daß sich die sächsische CDU auf anderen Wegen Informationen über seine weiteren politischen Pläne verschafft hatte.

Dieser Vorfall war für den Bundestagsabgeordneten Anlaß genug, sowohl beim sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz als auch beim Bundesverfassungsschutz anzufragen, inwieweit verfassungsschutzdienstlich erfaßte Informationen zu seiner Person vorlägen. Die erste, äußerst kurze Antwort erhielt Nitzsche am 8. Juni vom sächsischen Verfassungsschutz. Man habe bei einer Überprüfung zu seiner Person "keine Datenspeicherungen (...) in Dateien oder in Akten des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen festgestellt".

Um so überraschender war für ihn das zweite Schreiben vom Bundesamt für Verfassungsschutz, welches er gut einen Monat später erhielt. Dort lagen durchaus "aktenmäßig erfaßte Informationen" über ihn vor: In dem Schreiben wird eine Veranstaltung erwähnt, die Nitzsche besuchte und bei der auch NPD-Politiker anwesend waren. Nitzsche verließ aus diesem Grund die Veranstaltung vorzeitig. Zudem hatte er kein Interesse daran, an einem Fototermin mit dem direkten NPD-Gegenkandidaten in seinem Wahlkreis, Holger Apfel, teilzunehmen. Auch das ist in der Auskunft des Verfassungsschutzes erwähnt. Allerdings ist auch ein weiterer Vermerk in den Unterlagen des Inlandsgeheimdienstes über den Bundestagsabgeordneten vorhanden, der ihm aber aus "Geheimhaltungsinteresse" nicht mitgeteilt werden könne.

Nitzsche bewertete diese Auskunft gegenüber der JUNGEN FREIHEIT als "handfesten Skandal", da es in seinem Umfeld keine Extremisten gebe. "Ich habe unmißverständlich klargemacht, wie ich politisch einzuordnen bin. Ich habe jegliche Annäherungsversuche seitens der NPD zurückgewiesen. Das weiß auch der Verfassungsschutz."

Er habe langsam die Vermutung, der Geheimdienst diene seit langem nicht mehr nur dem Schutz der Verfassung, sondern auch als politisches Machtmittel der Regierungsparteien, vor allem in Sachsen. Nitzsche vermutet, daß verschiedene sächsische CDU-Politiker aus wahlkampfstrategischen Motiven versuchten, ihn mittels eines staatlichen Instruments ins politische Abseits zu drängen. So gelte es beispielsweise als sicher, daß Kanzleramtsminister Thomas de Maizière 2009 einen Wahlkreis in Sachsen übernehmen werde. Da  sei es sicherlich nicht hinderlich, daß ihm unter anderem die Koordinierung der Zusammenarbeit der Nachrichtendienste obliege.

"Ich komme mir langsam vor wie in der ehemaligen DDR. Der pauschale Vorwurf der Republikfeindlichkeit wurde auch hier schon zur Bekämpfung politisch mißliebiger Personen verwendet", sagte Henry Nitzsche. Allerdings sei er 1989 nicht für die Beseitigung der SED-Diktatur auf die Straße gegangen, um sich keine zwanzig Jahre später mit typischen Stasi-Methoden mundtot machen zu lassen. Einer Antwort von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), den er in dieser Angelegenheit angeschrieben habe, sehe er daher mit großer Spannung entgegen.


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