© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/07 21. September 2007

Jungen auf dem Abstellgleis: Opfer der "positiven" Diskriminierung
Die Deppen der Nation
Ellen Kositza

Wo in einer zivilisierten Gesellschaft Benachteiligungen aufgedeckt werden, pflegt sich Empörung zu regen. Unter dem Schlagwort "positive Diskriminierung" hingegen soll eine bestimmte Gruppe gezielt bevorzugt werden, um behaupteten Nachteilen zu begegnen. Der Terminus stammt aus der Anti-Apartheidpolitik und findet hierzulande auch in diversen Quotenregelungen Anwendung. Was den Opfern solch "positiver" Diskriminierung bleibt, ist die berühmte "eine Runde Mitleid", die spöttisch ausgegeben wird. Ganz ähnlich klang es, als jüngst erneut die Jungs als "Bildungsverlierer" ausgerufen wurden.

Was bereits PISA an den Tag brachte, hat nun eine Studie des DIHK abermals aufgegriffen: Zwei Drittel aller Schulabbrecher in Deutschland sind männlich, Jungen stellen 65 Prozent der Sonder-, 57 Prozent der Hauptschüler und bleiben häufiger sitzen. Wir wissen außerdem, daß die Mehrzahl der Legastheniker und der "aufmerksamkeitsgestörten" Kinder männlichen Geschlechts sind. Und: Je höher die Schulform, desto höher der Frauenanteil. "Sind Jungs dümmer als Mädchen?" echote es scheinbesorgt allerorten, wobei Schützenhilfe längst parat steht. Etwa in Form ungezählter Buchtitel wie "Auslaufmodell  Mann", "Das faule Geschlecht" oder zuletzt des Bestsellers "Das weibliche Gehirn", die sämtlich verheißen, daß die kognitiven Fähigkeiten des Mannes genauso vorgestrig seien wie deren soziales Rollenbild.

Solche Einstellung zu angeblich patriarchalen Gesellschaftsstrukturen, die nun endlich wankten, teilt auch Ursula von der Leyen. Das monströse Namengebilde ihres Ministeriums benennt Frauen, Familien und Senioren, läßt Männerbelange jedoch außen vor. Von der Leyen sieht eine spannende "Aufholjagd" der Mädchen und findet es "nicht schlimm, daß Mädchen in Sachen Bildung an den Jungs vorbeiziehen". Dies wäre auch unglaubhaft angesichts des Spektakels um den alljährlichen Girl's Day, angesichts der Millionen, die jährlich für die Integration von Frauen in Männerberufe berappt werden und der Tatsache, daß sogar für die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes eine Frauenquote besteht. Den neuen "Power-Mädchen" werden allenthalben Lobeshymnen gesungen, während der Mann in Komödien, Krimis und Werbeclips als Depp und Volltrottel reüssiert.

 Soweit die Rollenvorbilder, zurück zur Schule der Prägezeit: Rund 85 Prozent der Grundschulpädagogen sind weiblichen Geschlechts (in Kitas und damit dem angestrebten Ganztagssozialisationsort der Allerkleinsten geht die Rechnung gegen 100 Prozent), auch an weiterführenden Schulen überwiegen längst Lehrerinnen. Moderne Methodik und Didaktik sowie der Überhang sprachlicher und musischer Unterrichtsstunden kommen weiblichen Verhaltens- und Lernmustern entgegen, und wo Autorität und Disziplin in denkbar schlechtem Ruch stehen und dagegen kommunikative Fähigkeiten und Einfühlungsvermögen dominieren, wird Jungs - die vermehrt ohne Vater oder in übertragenem Sinne vaterlos aufwachsen - kein positives Selbstbild entgegengebracht. Jungen lassen unter solchen Verhältnissen häufig nach oder werden auffällig: Mangels Vorbild (wo bleibt die Quote für männliche Lehrkräfte?) besteht die Konstruktion ihrer Welt oft darin, sich davon abzugrenzen, was Frauen ihnen vorleben. Heißt: Klassenkasper, Zappelphilipp, Bösewicht. Eine Harvard-Psychologin spitzt zu: Es sei "heute fast politisch unkorrekt", ein Junge zu sein.

Wir sind lange mit der Erkenntnis traktiert worden, daß Koedukation Mädchen in bestimmten Bereichen benachteilige. Studien, die ein besseres Abschneiden von Mädchen in jungenfreien Klassen in naturwissenschaftlichen Fächern nachweisen, gibt es wie Sand am Meer. Diesen Spieß umzudrehen ist in Deutschland nicht nur unpopulär, allein der Versuch fällt bisweilen unter ein Verdikt: Im Mai lehnte das brandenburgische Innenministerium den Antrag auf Gründung einer privaten katholischen Jungenschule ab. Nicht nur, aber eben auch mit der Begründung, daß eine Schule, die Mädchen ausschließe, gegen die Gleichberechtigung verstößt. Also müssen sich Jungen weiterhin an dem zarten Klassiker "Ben liebt Anna" und im Jahr darauf am "Büffelmädchen" abarbeiten - und zum Jahresabschluß "Macarena" vortanzen.

Auf getrennten Wegen zum schulischen Erfolg - so könnte die Devise lauten, wenigstens nach Klasse vier. Und, nebenbei gefragt: Hat das eklatante Bildungsgefälle zwischen Mädchen und Jungen in den Neuen Ländern vielleicht auch mit der hier schon weit länger verankerten gemeinsamen Beschulung zu tun? Im Osten der Republik teilen sich Jungs und Mädchen bereits seit 1945 das Klassenzimmer, während die Koedukation in Westdeutschland erst in den sechziger Jahren Einzug hielt. Gleichbehandlung: jedem das Seine!


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