© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/07 21. September 2007

Spiel mit dem schlechten Gewissen
Lebensschutz: Schwangere werden häufi ger als nötig zur pränatalen Diagnostik gedrängt / Krankenkassen übernehmen die Kosten
Anni Mursula

Nahrungsergänzungspräparate, Vorbereitungskurse und besondere Untersuchungen: Schwangere lassen sich beinahe zu allem überreden, denn ihre Angst, etwas falsch zu machen, ist groß. Doch nur die wenigsten wollen wahrhaben, daß hinter manchen Vorsorgeangeboten nicht zwangsläufig das Wohlergehen des Kindes, sondern Geldmacherei und politische Motive stehen.

Im Wartezimmer einer Berliner Frauenärztin liegen Broschüren über verschiedene Verhütungsmethoden und pränatale Diagnostik aus. Vier Frauen warten hier auf ihren Termin - nur eine einzige von ihnen ist schwanger. Als sie aufgerufen wird, folgen das obligatorische Wiegen und Messen des Blutdrucks. Auf diese Art wurde die Schwangerschaft schon seit Jahrzehnten überwacht. Doch heutzutage reicht das nicht - Ultraschalluntersuchungen sind die Regel: Die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen während der Schwangerschaft mindestens drei Untersuchungen.

Doch die meisten Ärzte machen bei jeder Untersuchung ein Ultraschallbild - was die Krankenkasse etwa fünfzig Euro kostet. Die Gynäkologin in Berlin-Charlottenburg erzählt ihrer Patientin, wie wichtig eine Ultraschalluntersuchung sei. Dennoch könne sie nicht alles mit ihrem Gerät sehen oder ausschließen. "Es kann immer etwas mit dem Kind sein", sagt sie. "Deshalb schicke ich alle meine Patientinnen zu einer Spezialklinik für Pränataldiagnostik. Ich will sichergehen, daß das Kind vollkommen gesund ist." Sie betont, es gehe ihr dabei um das Kindeswohl. Doch sie verschweigt, daß sie eine mögliche Behinderung vielleicht auch deshalb ausschließen möchte, weil die Patientin sie sonst auf Unterhalt für das nicht abgetriebene behinderte Kind verklagen könnte - was in Deutschland rechtlich möglich ist.

"Der Feinultraschall kostet etwa 300 Euro. Aber ich gebe Ihnen eine Überweisung, so übernimmt das die Kasse", sagt sie. Die Patientin fragt, ob die Untersuchung in ihrem Fall denn überhaupt notwendig sei: "Ich weiß nicht, ob ich das will, denn ich habe Angst, bei einem auffälligen Befund zu einer Abtreibung gedrängt zu werden."

Die Ärztin ist entsetzt: "Wollen Sie denn nicht wissen, ob ihr Kind gesund ist?" Die werdende Mutter bekommt ein schlechtes Gewissen. "Niemand wird Sie zum Abbruch drängen. Bislang habe ich nur einer einzigen Frau zur Abtreibung geraten." Die Patientin läßt sich überreden. Schließlich ginge es bei der Feindiagnostik nicht nur darum, Behinderungen zu erkennen, sondern auch lebensgefährliche aber behandelbare Krankheiten. Somit könnte zum Beispiel ein Herzfehler festgestellt und nach der Geburt operiert werden.

Doch die Entscheidung, alles wissen zu wollen, ist eine Belastung. Sie bringt die Frau gegebenenfalls in eine Situation, in der sie über Leben und Tod entscheiden muß. Viele Frauen sind leicht zu verunsichern, wenn ihnen von Ärzten gesagt wird, daß eine schwere Behinderung des Kindes nicht nur ihr, sondern auch dem Kind nicht zumutbar ist.

Um Frauen bei solchen Entscheidungen zu helfen, gibt es in Deutschland zahlreiche Schwangerenberatungsstellen. Sie sollen die Frauen darüber aufklären, daß eine Abtreibung nicht der einzige Weg für sie sein muß - auch wenn ihnen von Ärzten dazu geraten wurde - und, daß ein Leben mit einem behinderten Kind möglich ist.

Aber nicht immer erfüllen die Stellen diese Aufgabe: Oft wird dort ebenfalls eine Abtreibung empfohlen. Vor allem "pro familia" wird dies nachgesagt. Aber auch hier ist Beratung immer noch vom Berater anhängig. Wenn man Glück hat, wird sogar dort von einem Schwangerschaftsabbruch abgeraten: "Sie müssen sich im klaren sein, daß das Kind bei einer Spätabtreibung erst getötet wird, und dann müssen Sie es noch gebären. Manchmal überleben diese Kinder sogar. Wollen Sie das?", fragt eine Berliner "pro familia"-Beraterin in Berlin. "Das größte Problem heute ist, daß Frauen zu viel im voraus wissen. Früher wurde ein behindertes Kind einfach geboren und die Eltern mußten sich damit als Schicksal abfinden."


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