© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/07 14. September 2007

Pankraz,
R. Safranski und die deutschen Affären

Glotzt nicht so romantisch!" bellte einst Bertolt Brecht sein Publikum an. Dennoch glotzen in Deutschland seit einigen Tagen sämtliche Geistesarbeiter nur noch romantisch. Rüdiger Safranskis soeben erschienener Wälzer "Romantik. Eine deutsche Affäre" (Hanser Verlag, München, 414 S., 24,90 Euro) hat sie infiziert. Die Rezensenten überschlagen sich. Das Buch steht schon weit oben auf den Bestsellerlisten, wo sich üblicherweise Hape Kerkeling, Peter Hahne, Heinz Florian Oertel oder Papst Benedikt tummeln.

An sich Grund zum SichFreuen, sollte man meinen. Wer studiert denn sonst noch (außer in Universitätsseminaren) freiwillig Ludwig Tieck, Novalis, die Brüder Schlegel, von Fichte und Schelling zu schweigen. Das Buch vermittelt eine Menge wichtigen, interessanten Wissens, und es ist gut geschrieben, allen Einwänden akademischer Krümelkacker zum Trotz.

Sicher, es beschränkt sich resolut auf Literatur und Philosophie, blendet Malerei und Musik faktisch aus. Es ist streckenweise recht  geschwätzig, kommt vom Hundertsten ins Tausendste, und die Art, wie es Zitat und Eigentext vermischt, läßt einem die Haare zu Berge stehen. Der Anmerkungsapparat ist, vom bibliographischen Standpunkt aus gesehen, eine Katastrophe. Aber man merkt sogleich: Es geht dem Autor weder um Apparat noch um Bibliographie, er will flüssig erzählen, er will gelesen werden, will einen reader auf die Beine stellen. Das ist ihm gelungen.

Trotzdem beschlich Pankraz bei der Lektüre bald ein flaues Gefühl, und es verstärkte sich, je weiter er vorankam. Safranski schildert ja nicht nur die "eigentliche" deutsche Romantik, also jene kurze Geistesepoche um 1800 mit den Handlungsorten Jena, Heidelberg und Berlin, sondern er präpariert einen allgemeinen Geistestopos namens "Das Romantische" heraus und verkauft ihn als exklusiv "deutsche Affäre", verfolgt ihn durch die ganze Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts hindurch bis hin zu Adolf Hitler und zu den 68ern - und zieht daraus gewisse Schlußfolgerungen. Und das, findet Pankraz, macht das ganze Unternehmen ziemlich fragwürdig.

Zunächst: Wieso ist "das Romantische" eine spezifisch deutsche Affäre? Unter Romantik im allgemeinen versteht man überall (und versteht auch Safranski) den Aufstand der lebendigen Seelen gegen einen allzu eingeschränkten Vernunftbegriff, die Selbstbehauptung des Subjekts gegen Gleichmacherei und flachköpfiges Spießertum, das bewußte Eintauchen in die unauslotbaren Tiefen der Existenz, in Nacht, Traum, Rätselwesen, und deren Versprachlichung und ausführliche Medialisierung. Dergleichen kommt zu allen Zeiten und bei allen Völkern vor.

Wenn es in diesem Belang eine deutsche Spezialität gegeben hat, die mit den Jenaer Romantikern und ihren idealistischen Philosophen anhob, so war es allenfalls der Umstand, daß die Jenaer diesen Aufstand der lebendigen Seelen und dieses Versprachlichen und Vorzeigen der Nachtseiten von Anfang an vollkommen ernst nahmen, sie nicht als nette Unterhaltung zum Nachtisch behandelt sehen wollten, sondern als allgegenwärtiges Moment des realen Lebens, auch und nicht zuletzt des politischen Lebens.

Es gab von Anfang an in der deutschen Romantik Nationalökonomen (Adam Müller), Rechtslehrer (Friedrich Carl von Savigny), Ärzte (Carl Gustav Carus). Es ging von Anfang an darum, Volk und Staat nicht nur als Instrumente zur Sicherung eines gemütlichen (Über-)Lebens für den einzelnen zu konstruieren, sondern sie als kollektive Kunstwerke regelrecht zu erschaffen und sie gegebenenfalls in großen medialen Ereignissen theatralisch vorzuzeigen und zu vereinen.

Das Fatale ist nun, daß Safranski in seinem reader just diesem Ernstnehmen den Kampf angesagt hat. Die Verharmlosung und Verniedlichung der deutschen Romantik ist gewissermaßen sein Grundanliegen. Viele Belege bringt er dafür bei, daß die "wahren" Romantiker angeblich sehr wenig mit Staat und Politik am Hut gehabt hätten, daß sie vielmehr reine Kunstmenschen waren, die sich im Ernstfall wie der letzte Philister die Zipfelmütze über die Ohren zogen und nur noch selbstreflexiv mit ihren goldenen Töpfen und Zauberwörtern herumspielten.

Niemand, wird einem beigebracht, müsse vor diesen Romantikern Angst haben. Wenn sie wirklich einmal etwas Unbequemes gesagt hätten, so löse sich das bei näherer Betrachtung mit Sicherheit in jene berühmte romantische Ironie auf, die Friedrich Schlegel so furios gehandhabt hat. Hitler und Goebbels seien sowieso keine politischen Romantiker gewesen (obwohl sie manchmal von "stählerner Romantik" sprachen), sondern "primitive Biologisten", die eher an die erklärten Widersacher der Romantiker im 19. Jahrhundert anknüpften, an Positivismus und Sozialdarwinismus.

In der linksliberalen, auf permanente Vergangenheitsbewältigung getrimmten Publizistik gibt es bekanntlich das Klischee von der "deutschen Daseinsverfehlung", die darin bestehe, daß sich die deutschen Geisteswege spätestens seit der Jenaer Romantik nicht genügend dem "westlichen" Utilitarismus und Rationalismus angepaßt hätten, woraus alles Unheil des 20. Jahrhunderts entstanden sei. Angelsächsische und kommunistische Kampfschriften wie Isaiah Berlins "Die Wurzeln der Romantik" oder Georg Lukács' "Die Zerstörung der Vernunft" lieferten nach 1945 den Takt dazu.

Rüdiger Safranskis "Romantik. Ein deutsche Affäre" liest sich über weite Strecken wie ein kleinlauter Subtext zu diesen unreinen Denunziations-Schwarten. Es klingt, als wolle da einer kläffende Hunde beruhigen, indem er ihnen Spielknochen aus Gummi mit der Aufschrift "Deutsche Romantik. Garantiert ungefährlich" vorwirft. Für so etwas aber, man muß es deutlich sagen, ist die deutsche Romantik zu schade, wie ja nicht zuletzt auch die Lektüre des neuen Safranski beweist.

Glotzt nicht so romantisch? Für die Gegenwart  müßte wohl tatsächlich eher die gegenteilige Parole gelten: Glotzt nicht so unromantisch!


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