© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/07 07. September 2007

Rudolf Steiner droht der Index
Meinungsfreiheit I: Wissenschaftlerin unterstellt Begründer der Anthroposophie Rassismus / Bundesprüfstelle entscheidet über Indizierung
Fabian Schmidt-Ahmad

Auch wenn im Grundgesetz das Verbot der Zensur festgeschrieben ist, darf nicht alles, was geschrieben und gedruckt wird, in Deutschland jedem frei zugänglich gemacht werden. Dies kann durchaus sinnvoll sein, vor allem wenn es um Kinder und Jugendliche geht. Es ist Aufgabe der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, entsprechende Erzeugnisse, zu denen unter anderem auch Filme gehören, zu prüfen und gegebenenfalls zu indizieren, also die Verbreitung mit Auflagen zu versehen.

In jüngster Zeit mehren sich indes die Hinweise, daß unter dem Vorwand des Jugendschutzes zunehmend Schriften ins Visier genommen werden, die weniger die kindliche Entwicklung als vielmehr politische Befindlichkeiten angreifen.

Den derzeitigen Höhepunkt stellt dabei ein Indizierungsverfahren gleich gegen zwei Bücher des Esoterikers und Gründers der Anthroposophie, Rudolf Steiner (1861-1925) dar, welches das Bundesfamilienministerium unter Ursula von der Leyen (CDU) - auf dessen Veranlassung hin vergangenes Jahr ganze drei Bücher geprüft wurden - bei der Bundesprüfstelle beantragte. Es handelt sich dabei um die beiden Vortragssammlungen "Geisteswissenschaftliche Menschenkunde" und "Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie". Beides Schriften, die nicht gerade neben gewaltträchtigen Videospielen oder Comics um das Taschengeld von Halbwüchsigen buhlen, sondern sich laut Vorwort an ein anthroposophisch interessiertes Publikum richten.

Daß dieses sich möglicherweise in Zukunft Steiners Schriften wie Pornozeitschriften in den siebziger Jahren besorgen muß, liegt am Rassismus-Vorwurf, den die Kulturwissenschaftlerin und eine der Gutachter im Verfahren, Jana Husmann-Kastein, gegen Steiner erhebt. Die "Genderforscherin" Husmann-Kastein vermeint gleich mehrere "Schwarzweiß-Konstruktionen im Rassebild Rudolf Steiners" auszumachen: "Steiner entwickelt zwar keine geschlossene Rassentheorie für die gegenwärtige Menschheit, aber mehrere rassentheoretische Modelle. Die Differenzierungssystematiken an sich beinhalten Essentialisierungen und Diskriminierungen und verbinden sich mit einem 'kosmologischen Determinismus'." Was in der Schwarzweiß-Weltsicht von Husmann-Kastein wohl Rassismus heißt.

Wenn voraussichtlich am Ende dieser Woche der Schiedspruch über die betroffenen Bücher gefällt wird, dann offenbart sich in jedem Fall eins: die Macht, mit der Menschen darüber bestimmen können, was andere Menschen denken dürfen und was nicht - nicht durch moralische Autorität, nicht kraft eines überlegenen Geistes, sondern einzig durch ihre soziale Position.

Denn niemand dürfte ernsthaft behaupten wollen, daß hier das Wohl der Kinder verhandelt wird. Selbst das sonst nicht gerade für feine Differenzierungen bekannte Informationsportal "Hagalil" veröffentlichte einen Aufsatz Ralf Sonnenbergs, in dem dieser Steiner zwar Zeitgebundenheit attestierte, aber eine Zuordnung zum völkischen oder gar nationalsozialistischen Gedankengut ablehnte. Tatsächlich dürfte hier eher die Welt der Erwachsenen das eigentliche Ziel gewesen sein.

Die Bundesprüfstelle lehnt für sich strikt die Bezeichnung als Zensurbehörde ab. Fakt aber ist, daß sie wie eine solche arbeitet. Als 1926 das "Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften" verabschiedet und eine Prüfstelle eingerichtet wurde, die jugendgefährdende Schriften in einer Liste erfaßte, waren die Proteste entsprechend laut. Schließlich war die Erinnerung an eine Pressezensur noch sehr lebendig. Doch noch waren eher erotische Groschenromane Kandidaten für einen Listenplatz. 1953 trat das "Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte" in Kraft mit der inhaltlichen Neuerung, daß jetzt auch den "Rassenhaß anreizende sowie den Krieg verherrlichende Schriften" indiziert wurden. Daraus ergab sich die heute bekannte, eigenartige Mischung von schlüpfriger Literatur und schwülstigem Nazi-Kitsch. Aber man konnte sich auch damals schon fragen, warum beispielsweise die Biographie des Kampfpiloten Erich Hartmanns nichts für Jugendliche sein soll.

Heute definiert die Prüfstelle in ihren Grundsätzen "Rassenhaß" sehr offen. Denn "wenn Menschen wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer anderen Rasse, Nation, Glaubensgemeinschaft o. ä. als minderwertig und verächtlich dargestellt oder diskriminiert werden", kann schlußendlich jeder Versuch, menschliche Gruppen überhaupt nur zu benennen, schon als Haß interpretiert werden. Was fleißige Helfer wahrscheinlich auch tun werden, da mit dem neuen Jugendschutzgesetz von 2003 die Gruppe derjenigen drastisch erhöht wurde, die Prüfverfahren anregen können - womit der heranwachsenden Jugend nebenbei ein gehöriges Stück Weltliteratur abhanden käme. Denn nicht nur Steiner, fast alle älteren Autoren gehen bekanntlich ganz selbstverständlich von der Realität menschlicher Rassen, Nationen und Glaubensgemeinschaften aus.

Von der Gängelung des Erziehungsberechtigten ist es allerdings nur ein kleiner Schritt zur Erziehung des unmündigen Bürgers. Schlußendlich steht dies als Geist hinter den Bemühungen, wie jetzt die zwei Bücher aus dem öffentlichen Handel zu drängen.

Gewiß bleibt es jedem persönlich vorbehalten, die Aussagen Steiners für kurios und befremdlich zu halten. Wenn sich aber Husmann-Kastein und andere zum Richter darüber aufschwingen möchten, was an Grillen und Schrullen in einer Gesellschaft erlaubt sein darf, so hätte sie eigentlich andere, aus ihrer Sicht sicher diskriminierende Äußerungen Steiners vom 4. April 1916 weit mehr empören müssen: "Es wird gar nicht lange dauern, wenn man das Jahr 2000 geschrieben haben wird, da wird nicht ein direktes, aber eine Art von Verbot für alles Denken von Amerika ausgehen, ein Gesetz, welches den Zweck haben wird, alles individuelle Denken zu unterdrücken."

Foto: Rudolf Steiner, eine Handschrift Anthroposophen: Für jugendliche Leser bald tabu?


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