© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/07 31. August 2007

CD: Vokalmusik
Nettigkeiten
Jens Knorr

Zugaben zu einem klassischen Konzert - das sind die Zugnummern, welche die zuvor servierte harte Kost verdaulicher machen, andere, neue Seiten der Künstler zu Gehör bringen, überraschen, jedoch nicht befremden sollen und möglichst heiter sein, wie die Kunst überhaupt heiter sein soll, da das Leben doch schon ernst genug ist.

Das Calmus Ensemble Leipzig, ein Vokalquintett, 1999 von fünf ehemaligen Thomanern gegründet, ist gegenwärtig mit den "Röhren" von Sebastian Krause, Tobias Pöche, Ludwig Böhme, Joe Roesler und Musikstudentin Anja Lipfert besetzt. Sie singen geistliche Vokalmusik von Gregorianik bis Moderne, weltliche Vokalmusik von Madrigal bis Folk- und Rocksong, Auftragswerke und Werke in eigenen Arrangements, konzertieren in Deutschland, Europa und den USA, nehmen an Meisterkursen und Wettbewerben teil, von denen einigen sie mit Preisen zurückkehrten, nicht ohne die angefahrenen Raststätten nach einem Zehn-Punkte-System mit Schwerpunkt Currywurst bewertet zu haben (www.calmus.de).

Sie fühlen sich überall zu Hause, sind es aber nicht. In verschiedenen Zeiten und Stilen suchen sie ihren eigenen unverwechselbaren Klang und Stil, die sie doch erst fänden, wenn sie sich wahrhaft auf das einließen, was an ihrem Wege liegt, ob Chanson, Soul oder Pop. Sie klingen nicht alt, doch auch nicht so neu, sie klingen nicht eigen, nur gleichgemacht, die Titel ihrer CD "One more Song" (Querstand VKJK 0612), die sie sich für ihre Stimmen arrangiert haben oder arrangieren haben lassen.

Krude Mißverständnisse sind ihre Arrangements zweier Chansons von Georg Kreisler, weil sie die Bürgerwelt nicht durchleuchten, sondern möblieren. Aus dem schwarzen Humor von Wien und Donau wird der weiße von der Pleiße. Die destruktive Losung "Ich hab ka Lust" eines, der bevorzugtermaßen nicht will, klingt bei Calmus wie der augenzwinkernde Tip fauler Pennäler, einfach einmal alle fünfe gerade sein zu lassen. Die Einsamkeit eines nichtgelebten Lebens mit dem Phantasieprodukt "Barbara", im Original klavierbegleitet, bleibt unerzählt, weil menschliche Stimmen den Erzähler stützen. "Wochenend und Sonnenschein", für die Comedian Harmonists, und "Wenn ich vergnügt bin", für deren Nachfolgegruppe, das Meister-Sextett, geschrieben, sind, "pring" und "miep", in illustrierende Witzischkeit getaucht. Musikalischer Humor, der sich permanent als Humor inszenieren muß, vermag, entgegen den Versprechungen eines aufdringlichen Artikels im Beiheft, die Lachmuskeln nicht zu reizen.

Nein, hier soll kein Bashing betrieben werden; diese und die anderen Adaptionen, nach John Lennon, Phil Collins, Freddie Mercury, Sting und Seal, wie auch die originalen Kompositionen von Fredo Jung werden am Ende noch jeden Konzerts ihre geschickt gesetzte, kontrastierende Wirkung entfalten.

Hier soll auch nicht der Gesamtklang seziert, kleinere Intonationsunsicherheiten, problematische Tonbildung oder unidiomatisches Englisch nach Merkerart angekreidet werden. Jedoch soll die Selbstgenügsamkeit des jungen Ensembles benannt werden dürfen, dessen Mitglieder unter den Möglichkeiten bleiben, die ihnen die Beherrschung ihres Handwerks, vielmehr Stimmwerks, bereits jetzt eröffnet.

Die - nochmals das mißliche Beiheft - vollmundigen Elogen auf Calmus werden ganz unspektakulär in "Bongo Bong" nach Manu Chao und "Summertime" nach Gershwin eingelöst, das eine ein wirklich humorvolles, nahezu perfektes Spiel mit Lautmalerei, Imitation und Tontechnik, das andere, das Wiegenlied, das den Tod ankündigt, von der Sopranistin endlich einmal mit dem Willen zu stimmlicher Charakterisierung geführt. Das sind mehr als nur Nettigkeiten.


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