© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/07 31. August 2007

Augstein und seine erhaben Verfemten
Rückverfertiger der Geschichte: Die FAZ wittert nazistische Sympathien in den Frühzeiten des "Spiegels"
Karlheinz Weissmann

Die FAZ hat in der vergangenen Woche einen großen, üppig bebilderten Artikel auf Seite eins des Feuilletons gestellt, der die Korrespondenz zwischen dem Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein und Carl Schmitt sowie deren Begegnung in Plettenberg im August 1952 behandelte. Besonders hervorgehoben wurde von den Verfassern Lutz Hachmeister und Stefan Krings, daß es Augstein nicht nur um intellektuellen Austausch gegangen sei, sondern um die Einschätzung Schmitts in einer heiklen presserechtlichen Frage.

Die Kontakte zwischen Augstein und Schmitt sind seit längerem bekannt. Hinweise auf den Besuch und die Bitte um rechtliche Beratung finden sich in Dirk van Laaks Arbeit zum Einfluß Schmitts während der Nachkriegszeit (Gespräche in der Sicherheit des Schweigens, Berlin 1993) ebenso wie im Briefwechsel zwischen Armin Mohler und Schmitt (Carl Schmitt - Briefwechsel mit einem seiner Schüler, Berlin 1995). Über die eigentlichen Hintergründe lagen aber bis dato keine Informationen vor.

Insofern muß man für die Veröffentlichung von Hachmeister und Krings dankbar sein. Mißlich ist nur die verzeichnende Deutung der Autoren, die sich nicht damit begnügen, auf Augsteins Interesse an den "erhaben Verfemten" - neben Schmitt noch Martin Heidegger und Ernst Jünger - hinzuweisen: Zudem merken sie die Beschäftigung ehemaliger Mitarbeiter des SD als Spiegel-Ressortleiter an - "aus jenem Sicherheitsdienst der SS also, der 1936/37 den Sturz des 'Kronjuristen' und Staatsrats Schmitt bewerkstelligt hatte" - und krönen das Ganze mit dem Zitat von Iring Fetschers Aussage, man habe Augstein in der Vergangenheit "linker gesehen, als er war".

Diese Bemerkung ist jedenfalls irreführend, wenn sie nahelegen soll, der Spiegel sei irgendwann einmal "rechts" gewesen. Sicher ist für diese Interpreta-tionstendenz von Bedeutung, daß Hachmeister schon mehrfach auf die nationalsozialistische Vergangenheit führender Mitarbeiter des Spiegels hingewiesen hat, den Informationswert aber regelmäßig minderte durch die Unterstellung, hier habe eine Art verdeckte Nazifizierung stattgefunden. Die Skandalisierung verzerrt die näherliegende Annahme, daß Augstein auf begabtes Personal zurückgriff, wo er es fand, und sich mit dem ihm eigenen Zynismus derjenigen bediente, die etwas zu verbergen hatten. Schließlich führt die von Hachmeister betriebene "Naziriecherei" überhaupt zu einer Verkennung der geistigen Situation der frühen Bundesrepublik.

Ohne Zweifel wurde die rege geistige Auseinandersetzung, die sich nach dem Ende der Besatzungsherrschaft entwickelte, von ehemaligen Protagonisten der Konservativen Revolution mitbestimmt, die in der einen oder anderen Weise "belastet" waren. Neben den erwähnten Schmitt, Heidegger und Jünger sind vor allem Hans Freyer und Gottfried Benn, in gewissem Sinn auch Arnold Gehlen - noch ein passionierter Spiegel-Leser - und Ernst Forsthoff zu nennen; aber auch eine so an den Rand gedrängte und zur Selbstisolation treibende Persönlichkeit wie Hans Grimm besaß damals eine breitere Anhängerschaft, die nicht einfach übergangen werden konnte. Die Rückkehr dieser Männer auf die Bühne des öffentlichen Geschehens fand zwar teilweise scharfe Kritik, aber die wenigsten bestritten ihnen die Korrektur früherer Irrtümer und den geistigen Rang, der ihnen ein natürliches Recht verlieh, gehört zu werden.

Schmitt stand dabei wegen seiner ausdrücklichen Parteinahme für das NS-Regime unter besonderem Vorbehalt, aber an eine vollständige Ausgrenzung war auch in seinem Fall nicht zu denken, sowenig wie umgekehrt an eine unveränderte Wiederaufnahme seiner Positionen aus der Zwischenkriegszeit.

Welche Veränderungen im Grundsätzlichen vorzunehmen waren, ließ sich zum Zeitpunkt von Korrespondenz und Begegnung zwischen Schmitt und Augstein allerdings nicht klar absehen. Die krisenhafte Entwicklung nach der Weststaatsgründung und vor dem Generalvertrag führte zu einer Menge großer politischer Debatten, die prinzipielle Klärungen verlangten, dazu kam die Verschärfung des Ost-West-Konflikts, die auch nüchternen Beobachtern einen neuen Krieg denkbar erscheinen ließ.

Diese Lage erklärt einiges von Augsteins Affinität zu Schmitt Konzepten: etwa der Annahme, daß Politik eine Sache von Interessen sei und nicht von "Werten", weshalb bei der bevorstehenden Integration nicht von irgendwelchen hehren Wünschen der USA auszugehen war, sondern von deren geopolitischen Absichten, und in bezug auf den verhaßten Adenauer von dessen Ziel, seine Macht im Inneren abzusichern, während die Weigerung, mit der "Sowjet-Sklaverei" (Augstein über die UdSSR) gar nicht oder jedenfalls nicht politisch umzugehen, jede Aussicht auf eine Wiedervereinigung verbaute.

Will man diese Haltung als nationalistisch apostrophieren - was in den fünfziger Jahren kaum jemand getan hätte -, trafen sich auch darin Augstein und Schmitt, ebenso wie im Widerwillen gegen den Föderalismus oder das Eingreifen der "Zwischengewalten" oder der Aversion gegen das "Rheinbündische". Mit aller Vorsicht wird man auch die Skepsis gegenüber dem Parlamentarismus in diesem Zusammenhang nennen dürfen und eine dezisionistische Tendenz - die Forderung nach politischer Entscheidung gehörte immer zum spezifischen Pathos Augsteins.

Aber ein gravierender Unterschied bestand ohne Zweifel in bezug auf die Einschätzung der Demokratie. Wenn Schmitt lediglich bereit war, das demokratische Zeitalter als Faktum anzuerkennen, so hing Augstein offenbar der Vorstellung an, die Demokratie sollte die Nationen vollständig durchdringen und ein neuartiges politisches Formprinzip begründen.

Wie realistisch das war, kann hier dahingestellt bleiben, jedenfalls verweist Augstein auch das auf die Linke, eine Linke, die allerdings ganz anders war als heute, im Gefolge Kurt Schumachers marxistisch und planwirtschaftlich, proeuropäisch, aber mit starkem Vorbehalt gegenüber dem "katholischen" Frankreich, für die Wiederbewaffnung, aber ohne Zurücksetzung im Bündnis und vor allem dezidiert national. Solche Aspekte der Realität des ersten Nachkriegsjahrzehnts sind mittlerweile dem Kollektivbewußtsein entschwunden. Wenn das nicht das Ergebnis von Verkürzungen ist, die die Parteiräson fordert, hängt es mit einer albernen Fixierung auf Fortschritte der "Verwestlichung", "Westernisierung", "Westernization" zusammen. Sachgerechte Urteile sind auf diesem Weg nicht zu erreichen, denn wer solche Maßstäbe akzeptiert, ist kein Historiker, sondern ein "Rückverfertiger" der Geschichte.

Die schöne Formulierung benutzte Schmitt übrigens in bezug auf eine Anfrage der Spiegel-Redaktion vom November 1959, nachdem er gebeten worden war, sich mit einem Beitrag zur Frage der Reichstagsbrandstiftung zu äußern. Er lehnte ab, gab aber seiner Hoffnung Ausdruck, daß "der Spiegel ... stark und konsequent genug" gegen die Geschichtsverfälschung vorgehen werde. Das war sicher kein Wunsch, der von der Illusion genährt wurde, das Nachrichtenmagazin verfolge dieselbe politische Linie, aber Schmitt wußte gut, daß man sich seiner bedienen wollte, und war willens, den Spieß umzudrehen. Er ist bei dieser Neigung zum Kalkül oft sehr weit gegangen, so weit, seine Gefolgsleute zu verraten und sich dem Gegner anzudienen, und weiter, als es der Anstand erlaubte - auch darin war er Augstein ähnlich.

Fotos: "Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein (r.) am 26. September 1955 im Landgericht Hannover mit den Journalisten Hans-Konrad Schmeißer, Ernst Dieter Jaene und Hans-Hermann Mans: Bundeskanzler Adenauer hatte drei Jahre zuvor gegen die "Spiegel"-Leute Strafanzeige wegen übler Nachrede und Verleumdung erstattet und die Beschlagnahme der Ausgabe Nummer 28/1952 erwirkt. Im Zuge der juristischen Auseinandersetzung holte Augstein sich den Rat von Carl Schmitt ein. Buch von Rudolf Augstein (alias Jens Daniel) aus dem Jahr 1953


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