© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/07 24. August 2007

Es blieb nicht nur das bayerische Blau
Das moderne Griechenland hat ein deutsches Fundament: Vor 175 Jahren wurde den Wittelsbachern die griechische Königskrone angetragen
Richard Hausner

Zum Abschied hat die Stunde hier geschlagen/ vom Vaterherz im theuren Vaterland/ die deutsche Brust hin zum Altar zu tragen/ hinan zum großen Morgenopferbrand./ Mit Gott nun muthig auf zum griech'schen Strande/ Heil Hellas! Heil erkor'ner König dir!/ Bist du auch fern von deinem Vaterlande/ in Lieb' und Treue denken deiner wir."

Die Inschrift auf dem Sockel der 1834 errichteten Ottosäule in Ottobrunn vor den Toren Münchens erinnert an die Verabschiedung des bayerischen Königs Ludwig I. (1825-1848) von seinem zweiten Sohn, der sich nach Griechenland aufmachte, um dort als König Otto I. (1832-1862) in die Geschichte einzugehen. Im August jährt es sich zum 175. Mal, daß die griechische Nationalversammlung in der damaligen Hauptstadt Nauplia den erst 17jährigen Wittelsbacher zum König der Hellenen wählte. Die Griechen hatten in einem europaweit beachteten Freiheitskampf das türkische Joch abgeworfen, Großbritannien, Frankreich und Rußland - die Signatarmächte der Unabhängigkeit Griechenlands - den jungen Prinzen als Regenten dieses neuen Staates anerkannt.

Um es vorwegzunehmen: Es war keine glanzvolle Regentschaft. Mißverständnisse, Intrigen durch die Schutzmächte, die den jungen Wittelsbacher als Spielball ihrer Interessen betrachteten, und eigene Entschlußlosigkeit führten immer wieder zu Spannungen mit seinen Untertanen. Ein großes Problem war zudem die Kinderlosigkeit seiner Ehe mit Amalie, einer Tochter des Großherzogs Paul Friedrich August von Oldenburg. Griechenland sollte laut Londoner Protokoll von 1830 eine "unabhängige Erbmonarchie" sein, nun fehlte ein Thronfolger. Das alles mündete schließlich in eine Revolution. König Otto verbrachte seine letzten fünf Lebensjahre in Bamberg, der Versuch der Wittelsbacher, sich auf dem Umweg über Griechenland als Großmacht in Europa zu etablieren, war gescheitert. Die etwa zwei Millionen Gulden, die Ludwig I. in das Griechenland-Abenteuer seines Sohnes investierte, forderte übrigens Reichskanzler Bismarck 1878 auf dem Berliner Kongreß erfolgreich zurück.

Dem unrühmlichen Ende zum Trotz hat die drei Jahrzehnte währende Herrschaft ihre Spuren hinterlassen. Das moderne Griechenland erhielt nämlich in dieser Zeit sein Fundament, die neu gestellten Weichen prägen den Staat bis heute. Sowohl Gesetzgebung als auch Bildungssystem gehen auf deutsche Vorbilder zurück. In besonderer Weise mit Bayern verzahnt war die Athener Universität. Seit 1814 kamen nämlich 98 Stipendiaten - vorwiegend Kriegswaisen - ins Königreich, wovon 21 später als Professoren an der ersten griechischen Universität tätig waren. Auch im Bereich der Verwaltung, Erziehung, Wirtschaft und des Gesundheitswesens wurden Grundlagen geschaffen, selbst das bayerische Reinheitsgebot war in Griechenland gültig.

Die Macht der bayerischen Beamten unter dem schwächlichen König war so stark, daß man schon bald von einer "Bavarokratie" sprach. Deren Ziel war eine Mixtur aus antiken Idealen und bayerischem Reformstaat, bis die Beamtenschaft 1843 nach einem Aufstand das Land verlassen mußte. Neben Hofpersonal, Beamten und 3.500 Soldaten hatten auch viele Handwerker und Akademiker den beschwerlichen Weg von Deutschland nach Griechenland auf sich genommen - so zum Beispiel Karl Fuchs, Gründer der Athener Brauerei FIX, oder Gustav Clauss, Gründer der Weinfirma Achaia-Clauss.

Der Vorliebe Ludwigs I. für das klassische Griechenland - Bayern war Hauptstütze des deutschen Philohellenismus - war es in erster Linie zu verdanken, daß sein ebenfalls von der Antike begeisterter Sohn 1834 die Hauptstadt von Nauplia nach Athen verlegte. Schon lange vor seiner Einnahme durch die Osmanen im Jahre 1456 war Athen, das nach seiner Befreiung zwischen 4.000 und 8.000 Einwohner hatte, zu einer provinziellen Kleinstadt geschrumpft. Die Griechen tendierten daher eher zu Nauplia, Piräus oder der Insel Siros als Regierungssitz.

Die Neugestaltung des Mythos' Athen, welche durch die ausgesprochen dünne Besiedlung zusätzlich erleichtert wurde, zog die bayerischen Stararchitekten Leo von Klenze und Friedrich von Gärtner in ihren Bann. Die städtebauliche Konzeption von Klenze für die klassizistische Umgestaltung ist bis heute erkennbar. Noch immer zählen die Gebäude am Sindagma-Platz und den Straßen, die zum Omonia-Platz führen, zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt. Gärtner plante und vollendete den Königspalast, der heute das Parlament und den Präsidenten beherbergt. Vor dem Palast tragen die Soldaten der Ehrenwache eine Uniform, die einst der Regent persönlich entwarf.

Kaum bekannt ist, daß der originalgetreue Wiederaufbau des antiken Olympiastadions, welcher für die Olympiade 1896 abgeschlossen wurde, bereits unter Otto begonnen hatte. 1859 fanden dort schließlich die ersten olympischen Spiele der Neuzeit statt, und zwar in den Disziplinen Gymnastik, Dichtung, Musik und Handwerk. Wenig Beachtung wird des weiteren dem Umstand zuteil, daß die Nationalfarben der Griechen ihren Ursprung im bayerischen Weiß-Blau haben.

Ein zentrales Anliegen Klenzes war die Wiederherstellung der Akropolis in ihrer ursprünglichen Gestalt. Deshalb wurden dort alle Bauten entfernt, die nicht aus der Antike stammten, sowie ein Verbot "für alle Zeiten" für Neubauten erlassen. Dieses Verbot richtete sich auch gegen die Pläne von Karl Friedrich Schinkel, der die Akropolis in einen Königspalast umgestalten wollte. "Die Wiederherstellung der Akropolis ist eine kulturelle Großtat gewesen, sie hat dem bayerischen Wirken in Griechenland den schönsten und wirksamsten Nachruhm verliehen", urteilte die bayerische Historikerlegende Max Spindler (1894-1986).

Und der griechische Ministerpräsident Alexandros Papagos meinte bei einem München-Besuch 1954, nachdem er in der Theatinerkirche am Grabe Ottos und dessen Gemahlin Amalie Kränze des griechischen Königshauses sowie seiner Regierung niedergelegt hatte: "König Otto schuf die Grundlagen des griechischen Staates, auf denen das heutige Griechenland ruht. Wenn wir auch Griechen sind, so können wir nicht umhin, diesem großen Sohn, seinem Heimatland Bayern und seinen Landsleuten, die mit ihm für den Ruhm des neuen Griechenland gearbeitet haben, dankbar zu sein."

Bild: Parthenon auf der Akropolis 1836, Aquarell von Christian Hansen (1803-1883): Wiederherstellung der antiken Anlage unter König Otto, die Moschee aus der türkischen Besatzungszeit mußte weichen


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