© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/07 24. August 2007

In den Fängen des Mauerregimes
Der West-Berliner Matthias Bath schildert in packender Manier seine gescheiterte Fluchthilfe und die folgenden drei Jahre in DDR-Haft
Jörg Bernhard Bilke

Matthias Bath, 1956 geboren und am 9. April 1976 zwischen Abitur und Studium als Fluchthelfer am Grenzkontrollpunkt Marienborn verhaftet, lebt heute als Staatsanwalt in Berlin. Unter dem Titel "Gefangen und freigetauscht" veröffentlichte er jetzt eine Zweitfassung seines bereits 1981 erschienenen Buches in der Reihe "Inhaftiert in Berlin-Hohenschönhausen", in die freilich die Erkenntnisse aus der Akteneinsicht nach Mauerfall und Wiedervereinigung eingearbeitet sind.

Dieses Buch liest man, auch wenn der betreffende Staat längst untergegangen ist, wie einen Kriminalroman. Insgesamt 1.197 Tage hat Matthias Bath als einer von 72.000 Fluchthelfern, die zwischen 1961 und 1989 verhaftet wurden, in DDR-Gefängnissen verbracht. Angeworben wurde er am 7. Dezember 1975, wenige Wochen vor dem Abitur, von R., der selbst 1965 nach West-Berlin geflohen war, der jetzt im Vorstand der Jungen Union saß und den er für seinen Freund hielt. Was er nicht wußte, war, daß R. seit Jahren ein kommerzielles Fluchtunternehmen betrieb und an der Not fluchtwilliger DDR-Bürger kräftig verdiente.

Nach dem Abitur wurde er erneut von R. angesprochen, den er nun am 24. Februar 1976 traf und der ihm erklärte, nunmehr hätte er nicht mehr, wie noch 1975 vorgesehen, DDR-Leute an die Autobahn zu fahren, wo sie von Schleusern aufgenommen würden, sondern er selbst sollte ein Ehepaar mit Kind an einem Rastplatz Richtung Magdeburg abholen und nach Helmstedt in Niedersachsen bringen. Als Fluchtfahrzeug diente ein Opel des Jahrgangs 1967, in dem zwischen Rückbank und Kofferraum ein Versteck eingebaut worden und dessen Federung wegen der zusätzlichen Belastung verstärkt worden war. Daß das der DDR-Grenzkontrolle in Drewitz aufgefallen und nach Marienborn gemeldet worden war, erfuhr Matthias Bath freilich erst 19 Jahre später aus den Akten. So war das Unternehmen schon gescheitert, bevor es begonnen hatte!

Es erstaunt, wie sorgfältig und umsichtig der junge Fluchthelfer zur Tat schritt, die ihm schließlich fünf Jahre Zuchthaus einbringen sollte. Nach anfänglichen Bedenken siegte die Erkenntnis, daß der SED-Staat seinen Untertanen die Ausreise nicht verbieten könnte und daß man solche Praktiken durch Fluchthilfe unterlaufen sollte. Nach der Immatrikulation als Jurastudent an der Freien Universität Berlin am 5. April schrieb er, seine Verhaftung einkalkulierend, am 9. April drei Briefe an Freunde, die er der Nachbarin übergab, und einen an seine Eltern, die im Schwarzwald unterwegs waren, den er auf den Wohnzimmertisch legte.

In Marienborn wurde er am Abend des 9. April bereits erwartet. Nach einer Nachtvernehmung zunächst durch drei Offiziere der Grenztruppen, dann durch zwei Offiziere der Staatssicherheit, die unter ständigen Beschimpfungen und Drohungen stattfand, wurde er am Nachmittag des 10. April in Handschellen ins Untersuchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen überstellt und am 11. April wegen des Tatverdachts "staatsfeindlichen Menschenhandels" dem Haftrichter vorgeführt.

Als angehender Jurist wußte er immerhin, daß eine solche Vorführung innerhalb von 24 Stunden stattzufinden hätte, nicht aber erst am übernächsten Tag, Beschwerden dagegen blieben aber unbeantwortet. Die Protokolle der Vernehmungen durch wechselnde Sachbearbeiter waren in Dialogform verfaßt, wobei in den Fragen immer schon die Anschuldigungen enthalten waren, die in den Antworten zurückgewiesen werden mußten. Mit dieser Dialektik der Verhörpraxis sollte kein "Sachverhalt geklärt", sondern ein Beschuldigter eines "Verbrechens" überführt werden.

Am 14. Mai 1976, fünf Wochen nach der Verhaftung, durfte Matthias Bath den ersten Brief an seine Eltern schreiben, die ihn am 26. Mai aus West-Berlin besuchen und ihm zwei Geschenktüten mit Lebensmitteln überreichen durften. Am 3. September konnte er mit seinem Rechtsanwalt sprechen, der ihm sofort seine völlig Unkenntnis des Delikts offenbarte, am 6. September fand der Prozeß in der Bezirkshauptstadt Frankfurt/Oder statt, am 4. Oktober erfolgte die Überführung in den Strafvollzug nach Berlin-Rummelsburg.

Hier arbeitete er bis 15. Juli 1979, mehr als 21 Monate, im "Ausländerkommando" und fertigte im Akkord am Fließband Kleinteile im drei Schichten für das Elektro-Apparate-Werk Treptow. Die Mitgefangenen, mit denen er zu sechst auf einer Zelle untergebracht war, waren ausschließlich Westberliner und Bundesdeutsche, die am 17. Juni 1977 die Arbeit in der Spätschicht verweigerten und deshalb mit zehn Tagen Arrest bestraft wurden.

Mit außerordentlicher Beobachtungsgabe schildert Bath die ständigen Schikanen des Wachpersonals, besonders der Offiziere, die sich "Erzieher" nannten, Selbstmordversuche und Essensverweigerungen, Gottesdienstbesuche und Wutausbrüche des Anstaltsleiters.

Am 16. Juli 1979 wurde er zur Staatssicherheit nach Berlin-Lichtenberg verlegt und dort ausgiebig nach den Lehren befragt, die er aus seiner Strafhaft gezogen hätte. Am 19. Juli wurde er zu Rechtsanwalt Wolfgang Vogel, dem DDR-Beauftragten für Freitausch und Freikauf, in die Reiler Straße gefahren. Dessen Frau brachte ihn später unkontrolliert "auf der Diplomatenspur" durch die Mauer nach West-Berlin. Er war gegen den DDR-Agenten Burger ausgetauscht worden.

Matthias Bath: Gefangen und freigetauscht. 1197 Tage als Fluchthelfer in der DDR-Haft. Reihe "Inhaftiert in Berlin-Hohenschönhausen", Band 2. Jaron-Verlag, Berlin 2007, broschiert, 248 Seiten, 12.90 Euro


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