© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/07 24. August 2007

Ermittlungen mit dem Holzhammer
Reißerische Formulierungen und Ungenauigkeiten trüben Jürgen Roths Enthüllungsbuch über Korruption und Willkür in der Justiz
Paul Leonhard

Der Rechtsstaat ist gefährdet, weil die dritte Gewalt nicht mehr funktioniert. Die Justiz ist nicht mehr unabhängig, ihre Vertreter werden selbst zu Tätern. Diese These versuchen Jürgen Roth, Rainer Nübel und Rainer Fromm in ihrem Buch "Anklage unerwünscht" zu belegen. Sie schildern an ganz unterschiedlichen Beispielen, daß "Korruption und Willkür in der deutschen Justiz" - so der Untertitel - keine Einzelfälle sind, sondern sich flächendeckend über alle Formen der Gerichtsbarkeit ausgebreitet haben.

Brisante Fälle werden aufgegriffen, an denen sich schon andere namhafte Journalisten abgearbeitet haben. Die Vorwürfe: Staatsanwaltschaften verstießen kraß gegen das Legalitätsprinzip, das die Strafverfolgungsbehörden verpflichtet, gegen jeden Verdächtigen vorzugehen. Ermittlungsverfahren leiteten sie gar nicht oder nur zögerlich ein, wenn es um einflußreiche Politiker oder wirtschaftlich Mächtige geht. Und vor allem bei Korruption und organisierter Wirtschaftskriminalität gebe es in vielen Justizbehörden inzwischen das ungeschriebene Gesetz: wegschauen, abtauchen, nicht bewegen.

In sieben Komplexen beschäftigen sich die Autoren mit ausgewählten Fällen. So wird ausführlich auf die Leuna-Affäre eingegangen und die Frage gestellt, ob die Regierung Kohl käuflich war. Was folgt, ist eine platte Formulierung: "Eine hochheikle Frage, bei der sich deutsche Justizbehörden gleich in Serie wegduckten." Ähnlich ist es bei den anderen Fallkomplexen, bei den Schmiergeldzahlungen bei Mercedes-Benz, bei Ärztepfusch und Terrorfahndern. Durch allzu flapsige Wertungen verlieren die Enthüllungen der Autoren an Glaubhaftigkeit. Dabei zählt Jürgen Roth laut Internet-Lexikon Wikipedia zu "Deutschlands bekanntesten Vertretern des investigativen Journalismus".

Es wird von Opfern kinderpornografischer Gewalt berichtet, deren Anzeigen gegen die Täter nicht verfolgt werden, weil - so die Autoren - "nicht sein kann, was nicht sein darf". Im Fall des Finanzamtes Frankfurt am Main V wird über das Schicksal eines besonders kreativen und außerdem dem Gerechtigkeitsprinzip verpflichteten Steuerfahnder berichtet, der dafür von seinen Vorgesetzten gemobbt wurde. Auch wenn beinahe täglich Urteile veröffentlicht werden, die der normale Bürger als skandalös empfindet, bleibt beim Lesen dieses Buches Skepsis. Im vierten Kapitel beispielsweise beschäftigen sich die Autoren unter der Überschrift "Verschweigen als System - das Beispiel Plauen" mit der Prostitution im deutsch-tschechischen Grenzgebiet. Beschrieben wird im Boulevard-Stil die Situation der Prostituierten und das Engagement deutscher Sozialarbeiter in Böhmen. Aber nicht einmal die Ortsbeschreibung stimmt. Denn Plauen liegt keineswegs "im fernsten Osten Deutschlands", wie die Autoren dem Leser glaubhaft machen. Und demonstriert wurde hier im revolutionären Herbst des Jahres 1989 sonnabends und nicht montags. Und wieso die Stadt "durch gedämpfte Stimmung geprägt ist (...), in deren trüben Sumpf sich allenfalls Neonazis freudig tummeln" bleibt auch beim weiteren Lesen unklar.

Dafür gibt es Schauergeschichten. Der für Gewaltprävention zuständige Plauener Kripobeamte "soll" seine Frau schwer mißhandelt haben. Die Klagen der sozialen Hilfsorganisation Karo gegenüber dem sächsischen Sozialministerium sind nicht haltbar. Im Gegenteil, eigentlich müßte sich die Behörde rechtfertigen, warum sie so lange die vor allem im Nachbarland tätige Organisation Karo mit deutschen Steuermitteln finanziert hat. Konkrete Beispiele für die Vorwürfe (das weiß der Rezensent aus eigenen Recherchen) sind die Sozialarbeiter stets aus angeblichen Datenschutzgründen schuldig geblieben.

Auch vom "Plauener Spinnennetz" bleibt bei Licht betrachtet wenig Brisantes. Sicher, nach der Wende sind überall in mitteldeutschen Städten mehr oder weniger kriminelle Geschäftemacher aufgetaucht, die versuchten, sich mit der alten Machtelite zu arrangieren. Plauen ist keine Ausnahme und die geschilderten Fälle allenfalls interessant für die Lokalhistoriker. Nicht glaubhafter werden die angeblichen Politikskandale durch die bunte Mischung aus Zeitungszitaten und anonymen Zeitzeugen wie einer "Stimme im Dorf". Ein Verfahren gegen den Oberbürgermeister von Plauen wegen des Verdachts auf Beihilfe zur Untreue wurde inzwischen als ergebnislos eingestellt. Ist das nun ein erneutes Indiz auf "eine blinde oder ohnmächtige Justiz" und damit Wasser auf die Mühlen der Autoren, oder waren die Vorwürfe tatsächlich nicht belegbar? Das Buch gibt darauf keine Antwort.

Inzwischen hat Sachsens Landespolizeipräsident Bernd Merbitz Strafanzeige gegen Roth wegen übler Nachrede gestellt. Der Autor hatte behauptet, daß der 51jährige früher bei der politischen Polizei der DDR, der eng mit der Staatssicherheit kooperierenden "K1", tätig war. In Wirklichkeit war Merbitz aber Leiter der Leipziger Mordkommission. Wenn das wenige, was der Leser aus eigener Kenntnis prüfen kann, nicht oder nur teilweise stimmt, schadet dies der Glaubwürdigkeit des ganzen Buches. Im letzten Kapitel geben die Autoren einen Ausblick, was geändert werden kann. Sie fordern eine ausreichende Kontrolle der Richter und vor allem eine "bessere personelle und qualitative Ausstattung der Justiz mit ausreichenden Finanzmitteln". Als Vorbild für unabhängige Staatsanwälte und Richter wird ausgerechnet Italien genannt. Dort sei es deswegen auch gelungen, ein verkrustetes mafioses System teilweise zu zerschlagen.

Fazit: Die Erwartung an das mit viel medialem Aufruhr begleitete Enthüllungsbuch "Anklage unerwünscht" war groß, die Enttäuschung größer.

Jürgen Roth, Rainer Nübel, Rainer Fromm: Anklage unerwünscht. Korruption und Willkür in der deutschen Justiz. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2007, gebunden, 304 Seiten, 19,95 Euro


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen