© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/07 24. August 2007

"Neue Blüte für die Ehe"
Verunglimpft, angefeindet, totgesagt. Trotz ihrer Krise haben Ehe und Familie Zukunft
Moritz Schwarz

Herr Liminski, hat die Ehe noch Zukunft?

Liminski: Oh, davon bin ich überzeugt!

Die Zahl der Eheschließungen fällt. Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?

Liminski: Weil es ein menschliches Grundbedürfnis nach selbstloser Liebe gibt. Das Streben danach ist eine anthropologische Konstante. Thomas von Aquin etwa bezeichnet die Liebe als das Ur-Geschenk. Diese Liebe ist schöpferisch, sie prägt die Bilder in Herz und Hirn und gestaltet das Verhältnis von Personen zueinander, sie schafft existentielle Nähe. Und die dauerhafte Erfüllung dieses Naturbedürfnisses geschieht eben in Ehe und Familie.

Das scheint die Deutschen wenig zu beeindrucken. "Eheschließungen sinken auf Rekordminus", verkündeten jüngst die Zeitungen.

Liminski: Es ist unbestritten, daß Ehe und Familie in Deutschland in der Krise sind. Die moderne Gesellschaft mit ihrem Primat der Ökonomie, die Gesellschaftsexperimente der Achtundsechziger, der hedonistische Zeitgeist und das Versagen der bürgerlichen Politik angesichts dieser Herausforderungen, alle haben sie ihren Anteil daran. Es ist aber historisch gesehen noch nicht lange her, daß die Ehe als Zentrum der bürgerlichen Existenz im Bewußtsein jüngerer Generationen an Bedeutung verloren hat. Die Generation, die seitdem meint, ihre "Freiheit" von der Ehe zu genießen, wird in einigen Jahren alt werden und dann vor den Konsequenzen dieses Lebensentwurfes stehen: nämlich der Einsamkeit im Alter. Dann wird dieses Problem in ganz anderem Ausmaß in unser öffentliches Bewußtsein rücken als heute und unser Denken verändern. Dann könnte die Ehe nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ eine neue Blüte erleben.

Inwiefern qualitativ?

Liminski: Daß die Ehe nicht mehr als konventionelles Muß gesehen wird, hat immerhin den Vorteil, daß die Menschen, die sich zur Ehe trauen, dies bewußt und aus echtem inneren Antrieb tun.

Institutionen, die ihre gesellschaftliche Hegemonie verlieren, trösten sich stets damit, daß dafür die Freiwilligkeit angeblich die Qualität steigere.

Liminski: Die Ehe ist eine Institution mit einer gesellschaftlichen und mit einer personalen Komponente. Früher war der gesellschaftliche Aspekt in der Tat weit wichtiger. Ich würde aber deshalb den personalen, also den qualitativen Faktor nicht geringschätzen. Papst Paul VI. nannte die Ehe eine "besondere Form personaler Freundschaft". Und Aristoteles schrieb, die Freundschaft sei das Nötigste im Leben. Das will heißen: Die Ehe entspricht dem natürlichen Bedürfnis des Menschen nach Freundschaft. Die Qualität einer Ehe hängt deshalb von der Qualität der Beziehung, der Freundschaft in der Ehe ab. Und darum halte ich die Liebesheirat der Konventionsheirat auch für überlegen.

Manche heiraten dann gar drei- oder viermal. Die Ehe wird zur "Lebensabschnittspartnerschaft".

Liminski: Weil diese Leute Leidenschaft und Gefühl mit Liebe verwechseln - davon spreche ich aber nicht. Denn zu echter Liebe gehört konstitutiv die Selbstlosigkeit. Wenn natürlich, wie ich es schon in Norddeutschland erlebt habe, der Pastor bei der Trauung sagt: "solange es gutgeht", dann fehlen offensichtlich die ernsten Absichten. Das wahre Glück einer Ehe besteht auch in der Verläßlichkeit, sie schenkt Geborgenheit. Es ist ein Unterschied, ob ich nach Jahren noch sagen kann: "Du für immer!" oder nach einer gewissen Zeit stöhne: "Immer nur du!" Dazu gehört auch der Wille zur Treue und auch zur Vergebung. Werner Bergengruen läßt in seiner wunderbaren Novelle "Der spanische Rosenstock" die Hauptperson am Ende sagen: "Die Liebe bewährt sich in der Treue, aber sie vollendet sich in der Vergebung." Ehe ist eine Berufung zur selbstlosen Liebe. Nur: Ohne Metaphysik scheint mir das die menschlichen Kräfte heute zu überfordern, der Glaube schenkt der Selbstlosigkeit Tiefgang und Sinn.

Ist aber nicht gerade die Liebesehe, die uns heute als Ideal erscheint, das Problem? Nicht nur, weil sie für viele unerfüllt bleibt, sondern auch weil diese bürgerliche Erfindung, die im 19. Jahrhundert die bäuerlich-mittelalterliche Versorgungsgemeinschafts-Ehe abzulösen begann, den "Bund fürs Leben" von der Notwendigkeit zur Option gemacht hat?

Liminski: Zu diesem Schluß könnte man kommen, wenn man den Sachverhalt lediglich historisch betrachtete. Wenn Sie ihn aber anthropologisch erwägen, dann stellt sich das Fazit anders dar: Die Ehe ist die Lebensweise, die dem Menschen - zumindest der großen Mehrheit - gemäß ist, weil sie der menschlichen Natur entspricht. Die Natur selbst ist sozusagen die Gründungsakte der Ehe. Die Versorgungs- und Wirtschaftselemente sind nur Folgen des Liebesbundes. Es ist übrigens bezeichnend, daß auch in der wissenschaftlichen Literatur "die Erzeugung solidarischen Verhaltens" als ein Grund für den verfassungsrechtlichen Schutz der Familie genannt wird. Dies gilt als eine Leistung, die in Ehe und Familie "in einer auf andere Weise nicht erreichbaren Effektivität und Qualität" erbracht wird.

Der US-Soziologe Philip Longman (Interview in JF 25/06) sieht das pragmatischer. Er hält die Ehe für das überlegenen Prinzip, weil sich Gesellschaften, in denen die Ehe intakt ist, gegenüber solchen, in denen das nicht mehr der Fall ist und denen es demzufolge an Nachwuchs mangelt, historisch durchsetzen, indem sie sie früher oder später zahlenmäßig verdrängen.

Liminski: Das widerspricht nicht den Argumenten vom geistigen Fundament der Ehe. Ähnlich pragmatisch, aber eben auch mit einem Schuß Geist oder Solidarität argumentiert Frank Schirrmacher in seinem Buch "Minimum", wenn er prophezeit, daß es gerade die Familie, mithin ihr Kern, die Ehe, ist, die die anbrechende Zeit der erodierenden Sozialsysteme überleben werde. Interessant bei Longman ist übrigens auch seine Verknüpfung von Religion und Ehe. Tatsächlich belegen Erhebungen in den USA, daß Ehen unter gläubigen Menschen bei weitem besser halten. Demnach scheitert dort jede zweite "standesamtlich" geschlossene Ehe. Dagegen ist es bei Paaren, die ihren Glauben praktizieren und gemeinsam beten, nur jede 1.429te! Das zeigt, wie wichtig ein Glaubensfundament für die Ehe eigentlich ist.

Unter den muslimischen Einwanderern in Deutschland sind Religion, Ehe und Familie noch weit stärker ausgeprägt als unter uns Deutschen. Können wir uns diesen Umstand nicht zunutze machen? Motto: Von den Moslems lernen, heißt siegen lernen!

Liminski: Nein, wenn ich an die Rolle der Frau oder die Ehrenmorde denke, dann ziehe ich unser zwar defektes, aber aufgeklärtes und potentiell reparierbares Familienbild vor.

Dann wird sich über kurz oder lang erfüllen, was Longman prophezeit, die fertile moslemische Ehe-Kultur wird uns verdrängen?

Liminski: Es gibt lediglich 3,5 Millionen Moslems in Deutschland, mit Dunkelziffer sind es vielleicht vier. Man sollte das Problem also nicht dramatisieren. Aber es stimmt, daß eine Gesellschaft, die Ehe und Familie nicht mehr pflegt, ins Wanken gerät, weil sie den Pfeiler erschüttert, auf dem sie ruht. Ehe und Familie gehören, wie der ehemalige Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde sagt, zu den Voraussetzungen, die der Staat nicht schaffen kann, von denen er aber lebt. Staat und Gesellschaft, die eine Erosion dieser Grundlagen zulassen, werden zwangsläufig brüchig und amorph. Da hilft auch kein neues Nationalgefühl, wie sich das die Parteien seit einiger Zeit wieder wünschen, um diese Grundlagen zu ersetzen.

Das hört sich nach einem Versagen der Politik an, aber ist sie wirklich schuld? Schließlich sind es die Bürger, die nicht heiraten!

Liminski: Natürlich müssen sich viele, die keine Kinder haben, selbst an die Nase fassen. In der Tat haben wir es bei manchem mit einem grundlegenden, zeitgeistigen Mißverständnis in Sachen Selbstverwirklichung und Freiheit zu tun. Freiheit ist nämlich nach Definition der philosophischen Klassiker die Freiheit zu und für etwas oder jemanden, Thomas von Aquin nennt sie die vis operans, die tätige Entscheidungskraft. Freiheit bedeutet eben nicht, eine Entscheidung ständig offenzuhalten, und sei es nur aus Angst vor Bindung. Wer das tut, der kann zwangsläufig das Glück nicht finden und verfehlt deshalb auch die damit eigentlich angestrebte Selbstverwirklichung. Glück, das bestätigt uns die Glücksforschung, ist immer ein Nebenprodukt auf der Suche nach Sinn. Das Engagement für den Ehepartner - das Streben, ihn glücklich zu machen - und später für die Kinder schafft sozusagen als Beiwerk die persönliche Erfüllung, nach der sich die meisten von uns sehnen. Gleichwohl: Es ist die Politik, die den Rahmen für all das schafft. Und da muß man sagen, wenn sich diese Rahmenbedingungen für Ehe und Familie in Deutschland änderten, dann würde sich sicherlich auch das generative Verhalten der Deutschen ändern. Denn der Ehe- und Kinderwunsch ist bei den meisten da!

Was also ist falsch an den politischen Rahmenbedingungen?

Liminski: Leider muß man feststellen, daß die Ehe auch bei der Union in schlechten Händen ist. Heute schreibt sich die Große Koalition auf die Fahnen, eine Politik für Ehe und Familie zu betreiben - das genaue Gegenteil ist der Fall! Denn Tatsache ist, daß die Regierung Merkel Ehen und Familien um etwa zehn Milliarden Euro geschröpft hat! Ich nenne nur die Streichung der Eigenheimzulage, die ja für viele Familien die einzige machbare Form privater Altersvorsorge war. Ich nenne die Kürzung des Kindergeldes um zwei Jahre, die Einführung von Studiengebühren, die Kürzung der Pendlerpauschale, die vor allem die Familien trifft, die Erhöhung der Mehrwertsteuer  usw. usf. Insgesamt ein Beutezug ohnegleichen, wie es ihn selbst unter Rot-Grün nicht gegeben hat! Und nun hat man auch noch die Chuzpe, sich als familienpolitische Vorkämpfer darzustellen und sich für die Ausschüttung von lediglich 1,5 Milliarden Euro aus dieser "Beute" feiern zu lassen. Im Klartext: Die Regierung verdient an den Familien! Und sie betreibt einen skandalösen Finanztransfer von den Familien zu den Kinderlosen!

"Die verratene Familie" heißt dementsprechend Ihr kommendes Buch.

Liminski: Ja, aber es ist nicht nur die Politik, es ist ebenso das mediale Establishment, das uns ständig weismachen will, Familie  und vor allem die Ehe seien Auslaufmodelle. Fakt ist, daß neun von zehn Paaren in Deutschland in Ehe leben, wie uns der Mikrozensus sagt, und daß drei von vier Kindern bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen. Aber man sollte wissen, daß dagegen zwei Drittel der Journalisten kinderlos sind und daß die Politik ebenso fern von der Familienwirklichkeit lebt und ihr Familienbild vorwiegend aus den Medien bezieht. Dennoch sind es aber diese beiden Gruppen, die die Debatte beherrschen, weil sie die veröffentlichte Meinung produzieren. So entsteht der irrige Eindruck, als denke die ganze Gesellschaft so, während die vorherrschende Lebenswirklichkeit im Lande in der öffentlichen Kommunikation kaum dargestellt wird. Von Verrat spreche ich aber nicht zuletzt auch wegen der Motive vieler Journalisten und Politiker, die nicht einfach nur von Ahnungslosigkeit geleitet sind, sondern sich bereitwillig Gesellschaftsideologen oder dem Ökonomismus unterwerfen. Ganz so übrigens, wie das Karl Marx gedacht hat, der schon formulierte, daß Fabrikation und Erziehung zusammengehören, und konsequenterweise für Krippen plädierte.

Sie sprechen aber nicht nur von "Verrat", sondern gar von einem "permanenten Verfassungsbruch".

Liminski: Die Große Koalition wird für die breite Thematisierung der Familie viel gelobt. Eigentlich gebührt das Lob aber dem Bundesverfassungsgericht, denn dieses hat mit seinen Urteilen die Regierung dazu gezwungen, das Thema aufzugreifen. Der permanente Verfassungsbruch besteht nun darin, daß die Politik den Geboten des Gerichts bis heute nicht folgt: So ist zum Beispiel das Existenzminimum von Kindern immer noch nicht steuerfrei. Oder: Laut Gericht ist Eigenbetreuung von Kindern der Fremdbetreuung gleichzustellen. Das versucht die Familienministerin permanent zu hintertreiben. Seit neuestem versucht sie es mit dem Trick sogenannter "Bildungsgutscheine", die für meine Begriffe besser "Entmündigungsgutscheine" heißen sollten, weil sie nichts weiter sind als ein Instrument der Gängelei, das den kalten Hauch der DDR spüren läßt.

Also was tun?

Liminski: Weiter dafür kämpfen, daß die Familien Leistungsgerechtigkeit erfahren und echte Wahlfreiheit bekommen. Das kann man direkt erreichen, indem man die Vorgaben des Verfassungsgerichts umsetzt, oder indirekt, indem man das Familienwahlrecht einführt. Vermutlich ist der Frust bei vielen Familien bereits so groß, daß sich die CDU noch wundern wird, warum so viele ihrer Wähler am Wahltag zu Hause bleiben. Ich glaube übrigens, daß das schon der Grund für die Beinahe-Niederlage der Union bei der Bundestagswahl 2005 war. Leider hat Frau Merkel aber die Signale nicht verstanden.

 

Jürgen Liminski: Der Publizist und Moderator beim Deutschlandfunk widmet sich besonders der Gesellschafts- und Familienpolitik. Als Fachmann und Autor schreibt er Gastbeiträge für verschiedene Zeitungen mit einer Gesamtreichweite von vier Millionen Lesern und ist immer wieder Gast in Talksendungen wie "Sabine Christiansen", "Hart aber fair" oder "Berliner Runde". Zuvor war er Ressortleiter beim Rheinischen Merkur und bei der Welt. Geboren wurde Liminski 1950 in Memmingen, er ist verheiratet und hat zehn Kinder. Im Oktober erscheint sein neues Buch "Die verratene Familie. Politik ohne Zukunft" (Sankt Ulrich Verlag).

 

Ehe in der Krise:

1. Trauungen: Seit Anfang der neunziger Jahre nimmt die Zahl der Eheschließungen in Deutschland ab. Dieser Trend wurde nur in den Jahren 1999, 2002 und 2004 unterbrochen, setzte sich aber 2005 (388.451 Hochzeiten) und 2006 (373.681) fort. Von den rund 20 Millionen Ehepaaren in Deutschland haben sechs Prozent zwei, fünf Prozent einen ausländischen Ehepartner.

2. Scheidungen: Im gleichen Zeitraum ist auch die Zahl der Trennungen kontinuierlich gestiegen. Eine Ausnahme war nur das Jahr 1999. 2004 (213.691 Scheidungen) und 2005 (201.693) sank die Zahl erstmals zweimal in Folge. 2005 waren 85 Prozent der geschiedenen Ehen nicht älter als ein Jahr. 56 Prozent wurden auf Wunsch des Mannes, 36 Prozent auf Wunsch der Frau, die übrigen auf beiderseitigen Wunsch aufgelöst.

 

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