© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/07 17. August 2007

Die Hamburger Zigarettenzaren
Eine sehr wohlwollende Familiengeschichte der Familie Reemtsma und ihrer Verstrickungen
Peter Lebitsch

Der Junge riecht nach Geld", sagte man über Philipp Fürchtegott Reemtsma. Philipp und seine Brüder Alwin und Hermann verwandelten die vom Vater geerbte Zigarettenfabrik in ein Imperium. Nach der Abstoßung des Konzerns 1980 rief Jan Philipp Reemtsma das Hamburger Institut für Sozialforschung ins Leben.   

Faktenreich erzählt Erik Lindner die Saga eines Clans, der dem verhängnisvollen Nikotin alles verdankt, Geld und Ruhm. Pure Freude entsteht trotzdem nicht. Denn es fehlen Analyse, historische Verortung, ein Werturteil. Da Lindner "hanseatische Zurückhaltung" bevorzugt, welche auch die Reemtsmas kennzeichne, schreibt er oftmals so, wie es Hofchronisten täten. Natürlich erfährt man in diesem Zusammenhang dann auch nirgends, wie viele Menschen durch Roth-Händle oder Peter Stuyvesant qualvoll starben. Insgesamt produzierte der Konzern Hunderte Milliarden Zigaretten. Aber der Tod vieler ihrer Kunden beeindruckte die Reemtsmas nicht. "Gesundheitsgefährdung spielte keine Rolle", heißt es lapidar. Damit erklingt die Grundmelodie der Skrupellosigkeit.   

Ende des 19. Jahrhunderts gründete Bernhard Reemtsma in Norddeutschland eine Zigarrenfabrik. 1908 ging er nach Thüringen und stellte fortan Zigaretten her. Damals verbrauchte Deutschland nur ein Hundertstel der heutigen Nikotinmenge. Nur Stadtmenschen rauchten die "hastige" Zigarette lieber als Pfeife oder Zigarre.

Früh expandierte die Firma und saß ab 1922 in Hamburg. Bernhards Sohn Philipp schuf  die "modernste deutsche Zigarettenindustrie". Philipp F. Reemtsma verdrängte andere Tabakfirmen gnadenlos. Betrügerisch wurde die Berliner Zigarettenfabrik Garbaty ausgeschaltet. Seit etwa 1928 kontrollierte Reemtsma den deutschen Markt und knüpfte Verbindungen zur Deutschen Bank.   Im Rahmen der Anti-Trust-Bewegung boykottierten Tabakhändler erfolglos die Hamburger Dynastie. En passant erwarb Zigarettenzar Fürchtegott während der Weltwirtschaftskrise unter anderem "eine Villa für ein Butterbrot". Wer hat, dem wird gegeben.

Eigentlich standen Philipp F. Reemtsma die liberalbürgerliche DDP und Kanzler Brüning nahe. Er wechselte das Pferd, als die Nationalsozialisten avancierten, obwohl ihn deren Anti-Monopol-Propaganda bedrohte. Daher sprach Philipp im Juli 1932 mit Hitler. Künftig durfte er NS-Zeitungen werbemäßig nutzen. Der Tabakkaiser überzeugte die Nationalsozialisten, daß nur ein großer Konzern gegen angelsächsische Magnaten bestehen könne.

Die schleswig-holsteinische Gauleitung der NSDAP erkannte: "Soweit es jedoch im Interesse des Unternehmens liegt, versteht er es meisterhaft, sich den jeweiligen Verhältnissen  anzupassen". 

Konzern und Regime harmonierten. Mitte 1933 schenkte Reemtsma der HJ ein Sportflugzeug und sponserte auch andere nationalsozialistische Verbände. Görings Kunstsammlung hat Reemtsma wesentlich mitfinanziert. Ungeachtet offizieller Kampagnen gegen das Rauchen erhielt der Konzern ein "Gau-Diplom für hervorragende Leistungen". Alwin trat der SS bei und organisierte später die deutsche Wirtschaftsverwaltung des Baltikums. Manchmal betrat er "in schwarzer SS-Uniform" das Hamburger Werk.

Reemtsma beteiligte sich am "arisierten" S. Fischer Verlag. Dennoch schreibt Linder beschönigend, daß "Arisierungen" der Firma  nichts eingebracht hätten. 1940 dominierte Reemtsma schließlich die deutsche Zigarettenbranche endgültig. Quer durch Deutschland wucherten Fabriken der legendär reichen Nikotinherren. Bald drehten polnische Zwangsarbeiterinnen die Glimmstengel. 1943/44 trafen Bombenangriffe und Tabakmangel Reemtsma schwer. Etliche Filialen des Konzerns wurden in Rüstungsbetriebe umfunktioniert. 

Englische Soldaten verhafteten 1945 Philipp und Alwin; beide erhielten wegen ihrer Begünstigung der Diktatur Geldstrafen. Reemtsma fusionierte 1956 mit der südafrikanischen Tobacco Corporation. Wenige Jahre danach starben die drei "großen Brüder". 1980 wurde die Firma verkauft. Immobilien- und Kapitalgeschäfte garantierten weiterhin prall gefüllte Konten.

Nun kam Jan Philipp Reemtsma und bekränzte neue Zeitgeister. 1984 gründeten er und der Trotzkist Ernest Mandel das Hamburger Institut für Sozialforschung, es sollte "marxistische, psychoanalytische, feministische Denktraditionen" erforschen. Gleichzeitig unterstützte Jan Philipp den linken Schriftsteller Arno Schmidt. Negative Schlagzeilen machte das Haus Reemtsma wegen seiner getürkten Wehrmachtsausstellung: Sechzig bis achtzig Prozent deutscher Ostfrontsoldaten hätten Verbrechen begangen. Kritiker entlarvten die Inhaltsleere solcher Spekulationen.    Trotz mancher Korrekturen blieb das Prinzip der Kollektivhaftung erhalten. Auch Lindner glaubt, "daß die Wehrmacht als Organisation an den Kriegsverbrechen im Osten beteiligt war". Ist jene "Organisation" von der Mehrheit unschuldiger Soldaten zu trennen? Auch geistiges Nikotin lähmt scheinbar die Sinne.                          

Erik Lindner: Die Reemtsmas. Geschichte einer deutschen Unternehmerfamilie, Hoffmann und Campe, Hamburg 2007, gebunden, 592 Seiten, Abbildungen, 25 Euro

Foto: Hermann (li.) und Philipp F. Reemtsma (re.) mit Hermann Göring, Juni 1936: Gewinnmaximierung mit Arisierungen und Sklavenarbeit


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