© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/07 17. August 2007

"Wir warten nicht auf die Eingebung"
Halbzeit bei den Salzburger Festspielen: Schlechtwetterverordnung hin oder her, der Umweg lohnt sich
Werner Veith

Am Anfang waren Gott, Tod und Teufel - personifiziert in Hugo von Hofmannsthal Theaterstück "Jedermann", das seit 1920 jedes Jahr bei den Salzburger Festspielen den Auftakt bildet. Sehr zur Freude des Publikums, das heuer Marie Bäumer als Buhlschaft und Peter Simonischek als "Jedermann" heftig applaudierte. Inzwischen ist Halbzeit in Salzburg, Zeit also für einige Impressionen von den Festspielen und aus der viertgrößten Stadt Österreichs.

***

Blitzlicht - Altmeister Flimm, Chef der Festspiele und Stehaufmännchen: "Wenn einige Stars absagen, bleiben wir nicht weinend in den Kisten liegen, wir schütteln uns einmal, und dann geht's weiter",  erzählt Jürgen Flimm kurz vor der Opernpremiere "Benvenuto Cellini" von Hector Berlioz. "Wie wir uns fühlen, ist egal, es geht nur um das Publikum. Einige sind zwar enttäuscht, aber auch ohne funkelnde Namen ist die 'Armida' von Joseph Haydn sehr erfolgreich. Und von Christine Schäfer als Ersatz für Netrebko waren die Zuhörer begeistert, ich sprech' doch mit den Leuten nach dem Konzert", betont Flimm in seiner etwas schnoddrigen norddeutschen Art.

Doch ganz so entspannt wie Flimm jetzt tut, war er am Tag von Nebretkos Absage auch wieder nicht. Immerhin sollte sie drei Tage später in Salzburg singen. "Von Nebretko sind wir tief enttäuscht. Daß sie uns hängen läßt ... Sie hätte wenigstens nach Salzburg kommen können. Dann hätte man gesehen, was los ist", schimpfte Flimm damals in den Salzburger Nachrichten. Vorher hatten schon der Pianist Pletnev und die Sopranistin Garanca ohne Begründung abgesagt, Vesselina Kasarova ereilte ein Bänderriß am Fuß, Neil Shikoff war mit den Nerven am Ende, weil er sich mit der Wiener Staatsoper zerstritt, und Rolando Villazon leidet unter Stimmschwäche. Wenigstens kommt Placido Domingo seit 1975 regelmäßig.

Wenn Flimm auf Visionen für Salzburg angesprochen wird, dann zitiert er nur Helmut Schmidt - "Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen" - und meint, daß er den Ball in Salzburg immer flach halte. "Wir arbeiten hier im Parterre, auch für unsere neuen Projekte gehen wir nicht ins Kloster, um in den ersten fünf Tagen nur zu schweigen. Wir warten nicht auf die große Eingebung." Plötzlich wird der Zottelige böse und schimpft auf das Image der Festspiele: "Wir werden denunziert, Salzburg gilt immer als Stadt des Geldes, der teuren Stars, der teuren Karten. Dabei stimmt es nicht: 50 Prozent der Karten sind unter 100 Euro, nur sieben Prozent über 300 Euro."

***

Blitzlicht - Altmeister Alfred Brendel, Chef am Klavier. "Nachtseite der Vernunft" lautet das Motto der diesjährigen Festspiele. Und das Programmheft zum Konzert mit Brendel und den Wiener Philharmonikern verortet die Musik jenseits von schnöder Ratio und Sprache, jenseits von Logik und Vernunft. Um so vernünftiger war dann das Konzert über weite Strecken.

Zu Beginn das "Lontano (deutsch: Ferne) für großes Orchester" von György Ligeti aus dem Jahre 1967. Es verzichtet gänzlich auf eine Melodie und schichtet statt dessen lineare Klänge gegeneinander. Anfangend mit einem einzelnen Streicherton, werden weitere Instrumente kontrastierend hinzugefügt. Spannung baut sich in diesem Klanggerüst durch Wechsel disharmonisch auf. Betont sachlich freilich ging das Orchester hier zu Werke und gab in schlanken Klängen der Struktur des Werkes den Vorrang. Es schuf ein Geflecht von Beziehungen, durch das ein Raum skizziert wurde, der sich nicht durchschauen läßt:    ein komplexes Hier und Nirgendwo, ein Utopia. Freilich wollte sich das Jenseitige in der bewußt gewählten Schlichtheit der Wiener Philharmoniker nur selten offenbaren.

Der Gegensatz könnte kaum größer sein, wenn auf Ligeti das Dritte Klavierkonzert von Beethoven mit seinen weit ausladenden und feingezogenen Melodiebögen folgt. Dem typischen, etwas näselnden Streicherklang der Wiener Philharmoniker kam das hörbar mehr entgegen. Mit Brendel hatte sich das Orchester einen Altmeister am Flügel eingeladen.

Das Konzert beginnt zunächst wie eine Symphonie mit einem langen Vorspiel, in dem man sich aber nicht ruhig auf die sehnsuchtsvollen Klänge einlassen kann, da sie schnell ins Dramatische wenden - oder sollte man besser sagen, ins Dämonische umschlagen? Welch ein Kontrast dann der zweite Satz, in dem eine beinahe idyllische Stimmung träumerisch verzaubert. Brendels Klangreichtum scheint hier unerschöpflich. Den Streichern hätte man etwas weniger Schmelz gewünscht. Aber die Ruhe des zweiten Satzes ist trügerisch. Sie wird im Finalsatz nochmals auf die Probe gestellt, den Dirigent Welser-Möst mit großer Klarheit und klanglicher Präsenz zum erlösenden Schlußakkord vorantreibt. Alfred Brendel überzeugt mit ungeheurer Brillanz und Stilsicherheit. Freilich - und das sei hier nur angemerkt, nicht kritisiert - wirkt Brendel noch eindrucksvoller, wenn er ganz alleine in der Konzerthalle spielt, ohne Orchester. Der Wettstreit mit anderen Instrumenten bremst wohl Brendels Klavierkunst, seine Dynamik und Kraft.

Den Abschluß des Konzerts bildete der "Titan", die erste Sinfonie von Gustav Mahler. Sie beginnt in der Natur, Vogelstimmen sind zu hören, Tierlaute werden imitiert und Volkslieder zitiert. Man glaubt "Ein Männlein steht im Walde" zu hören, und später läuten die Glocken für Bruder Jakob. Mahler führt dies in voller spätromantischer Opulenz mit großem Orchester aus. Er nutzt sehr geschickt die Charaktere der einzelnen Instrumente, so daß in Salzburg die Solisten durchweg brillierten. Im ersten Satz bleibt die Naturverbundenheit nicht bestehen, sie entschwindet immer mehr. Das Malerische entrückt hinter Brüche und Verwerfungen. Die Natur wird fremd, je mehr das Kulturelle - auch Volksmusik und Klezmertöne sind zu hören - vordringt. Erst der stürmische Finalsatz inszeniert die Versöhnung. Die Musik wird zu einem brausenden Orkan, um im nächsten Augenblick in tiefster Sammlung zu verharren. Alles drängt zur finalen Erlösung, die einem Orgasmus gleich sich entlädt. Die Streicher lassen durch den Einsatz von Hörnern und Posaunen verstärkt die Entfremdung von der Natur schmerzlich spüren, um sie zugleich auch wieder in freudigen Jubelrufen zu bewältigen. Dirigent Welser-Möst fordert hier das Orchester mit höchster Dynamik und zum Teil rasanten Tempi und läßt so doch noch eine Ahnung von den schwindelnden Abgründen des Jenseitigen, Unvernünftigen in der Musik aufkommen.

***

Blitzlicht - Ausländerverbot. Ausländer dürfen nicht nach Salzburg, wenn es regnet. Dann tritt nämlich die Schlechtwetterverordnung in Kraft, und die Polizei fängt alle Autofahrer mit ausländischem Kennzeichen an den Zufahrtsstraßen ab. Die Touristen dürfen gleichwohl mit dem Omnibus in die Stadt fahren. Bei Regenwetter strömten bisher die Urlauber von den Bergen runter nach Salzburg und blockierten damit die engen Straßen und Parkhäuser. Ein schlauer Spanier kam mit dem Auto seines österreichischen Hoteliers an, fragte einen Polizisten nach dem Weg und durfte vor der Stadt aussteigen.

***

Blitzlicht - Und was macht der muslimische Mitbürger in Salzburg? Er verhält sich ruhig, erholt sich von der heißen Sonne Arabiens und flaniert vornehm gekleidet mit verschleierter Frau und Kindern durch Parkanlagen und Geschäfte. Andere verkaufen Döner (meist Bosnier) oder betreiben Internet-Cafés, Neben Solidaritätsplakaten für Palästina heißt es dort: "Bitte surfen Sie nicht auf diversen Sexseiten." Und Bier gibt es auch keins: Abends um zehn bekommt man im Salzburger Bahnhofsviertel keine Flasche Alkohol mehr zu kaufen  - statt dessen zählt ein Döner-Verkäufer die Nachteile des Alkohols auf.

***

Blitzlicht - Aktuelle Empfehlungen. Bis zum 31. August ist die Stadt an der Salzach einen Umweg wert. Für die klassischen Konzerte und Liederabende kann man die Karten fast blind kaufen, ebenso für die Opern "Armida", "Eugen Onegin" oder "Benvenuto Cellini" mit dem Regisseur Philipp Stölzl. Er faszinierte bisher mit Videos für Madonna und Rammstein in den Bildern von Leni Riefenstahl. Der "Freischütz" ist leider flach und zerfließt ins Alltägliche, ohne Wald und Teufelsschlucht. Um so aufregender spielt Barbara Sukowa in "Quartett", einem Theaterstück von Heiner Müller. Schließlich öffnet Daniel Barenboim die Proben seines West-Östlichen-Diwan-Orchesters und gibt Meisterkurse im Hören und Dirigieren (in englischer Sprache). Näheres im Internet unter www.salzburgfestival.at, Kartentelefon: 00 43 /662 / 8045 500, günstige Übernachtungen im Familiengästehaus Salzburg, Tel. 00 43 / 662 / 842670.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen