© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/07 17. August 2007

"Der Vorwurf ist absurd"
Unter den DDR-Opfern schwelt eine schwere Krise. Politisch an den Rand gedrängt stehen sie vor der Spaltung
Moritz Schwarz

Herr Diederich, unter den organisierten SED-Opfern brodelt es. Seit Monaten spitzen sich die Querelen unter einigen Mitgliedsverbänden des deutschen Dachverbandes UOKG zu.

Diederich: Ja, inzwischen herrscht leider offener Streit.

Steht der Dachverband vor der Spaltung?

Diederich: Ich fürchte ja, die Differenzen sind inzwischen so grundlegend, daß ich glaube, es ist besser, wenn wir in Zukunft getrennte Wege gehen.

Konkret geht es um die zwei von Ihnen geführten Verbände, die Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) und den Bund der Stalinistisch Verfolgten (BSV).

Diederich: Der Dachverband UOKG hat inzwischen so viele Mitgliedsverbände, daß sein Profil einfach nicht mehr scharf genug ist, um uns, die ehemaligen Häftlinge des SED-Regimes, noch gezielt zu vertreten. Als unabhängiger Verband könnten wir wieder mehr Profil gewinnen.

Nicht nur Sie halten eine Trennung für besser, die UOKG, die Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft, hat bereits mehrfach versucht, VOS und BSV auszuschließen.

Diederich: Zweimal haben sie das schon versucht, dabei handelt sich aber nur um zwei bis drei Gruppierungen in der UOKG mit einer Handvoll Mitgliedern. Das erste Mal im März und dann erneut im Juli - beide Male aber war der Ausschluß nicht gültig, weil formale Kriterien nicht beachtet wurden. Inzwischen hat uns aber der neue Vorsitzende der UOKG mitgeteilt, daß der Ausschlußantrag gegen die VOS vorläufig vom Tisch ist.

Gehen Sie dennoch davon aus, daß die Versuche, VOS und BSV loszuwerden, weitergehen?

Diederich: So ist es, unsere Gegner werden keine Ruhe geben.

Wenn Sie selbst die Trennung von der UOKG befürworten, warum verlassen VOS und BSV nicht von sich aus den Verband?

Diederich: So wird es wahrscheinlich auch kommen. Die Austrittsfrist aus der UOKG beträgt vier Monate. Das Votum unserer erweiterten Vorstände für einen Austritt haben wir bereits. Übrigens: Auch andere Opferorganisationen planen diesen Schritt.

Das wäre das Ende der einheitlichen öffentlichen Vertretung der deutschen Kommunismus-Opfer. Müßte eine solche strategische Schwächung im Sinne der gemeinsamen Sache nicht um jeden Preis vermieden werden?

Diederich: Ich sehe das nicht so, im Gegenteil. Die Aufgabe von VOS und BSV ist die Vertretung der ehemaligen politischen Häftlinge der DDR gegenüber Politik und Öffentlichkeit. Wir haben feststellen müssen, daß das Profil dieser Vertretung durch unsere Mitgliedschaft im Dachverband gelitten hat. Erstens weil seitdem nicht mehr wir, sondern vielfach die UOKG als Repräsentant und Ansprechpartner gilt. Ein Beispiel: Als eines Tages gewisse Einladungen aus dem Bundesinnenministerium ausblieben und wir uns nach dem Grund dafür erkundigten, bekamen wir die Antwort, die UOKG bekomme die Einladungen, da sie der übergeordnete Ansprechpartner sei. Zweitens weil die UOKG seit ihrer Gründung durch die Aufnahme immer neuer Verbände aus unserer Sicht ihr Profil verwischt hat. Mitgliedsverbände wie der Bund der Vertriebenen, die DDR-Doping-Opfer oder Verein für den Wiederaufbau der von den Kommunisten 1968 gesprengten Universitätskirche in Leipzig haben nur wenig mit den politischen Häftlingen der DDR zu tun. Wenn die UOKG aber auch all diese Anliegen vertritt, dann muß automatisch die öffentliche Wahrnehmung der politischen Häftlinge darunter leiden. Wir müssen heute zurückblicken und abwägen: Ich komme dabei zu dem Schluß, der Beitritt zur UOKG hat uns doch eher Nachteile als Vorteile gebracht.

Ist der eigentliche Grund für Ihre Vorbehalte nicht vielleicht ein "machtpolitischer", nämlich daß VOS und BSV zu den größten Verbänden im Dachverband gehören, aber wie die kleinen Mitgliedsverbände nur je eine Stimme haben?

Diederich: Ich will nicht leugnen, daß auch das eine Rolle spielt. Es ist doch schon seltsam, wir vertreten knapp 4.000 Mitglieder -  2.550 die VOS und 1.350 der BSV - und haben dennoch je nur soviel Stimmrecht wie ein Verband, der vielleicht nur acht Mitglieder oder wie in einem Fall sogar nur ein einziges Mitglied hat. Und falls die anvisierte Fusion von VOS und BSV klappt, dann hätten wir sogar nur noch eine einzige Stimme.

Ihre Argumente sind nachvollziehbar, aber müssen Sie sich da nicht vorwerfen lassen, daß Sie die Einheit der Kommunismus-Opfer für eine politische Eitelkeit aufs Spiel setzen?

Diederich: Ich halte das nicht für Eitelkeit, denn als Verband haben wir die moralische Pflicht, Stimme der politischen Häftlinge zu sein. Wenn diese Stimme nicht mehr entsprechend gehört wird, dann müssen wir,  der Vorstand, das gegenüber unseren Mitgliedern rechtfertigen.

Wäre statt eines Austritts nicht eine Reform der UOKG denkbar, die ähnlich wie bei der geplanten EU-Reform künftig auch die zahlenmäßige Größe der Mitglieder berücksichtigt?

Diederich: Um das Abstimmungsprinzip in der UOKG zu ändern, ist eine Mehrheit von 75 Prozent nötig, die bekommen die wenigen großen Verbände, die alle ja nur eine Stimme haben, nie und nimmer zusammen. Dafür sehe ich also keine Chance. Und außerdem wären auch damit die von mir zuerst genannten Gründe nicht beseitigt.

Tatsächlich gibt es auch noch ganz andere Streitpunkte, zum Beispiel, daß Teilen der UOKG Ihre beiden Verbände "zu rechts" sind.

Diederich: Auch das stimmt. Diese Vorwürfe sind sogar zwar nicht der Grund, aber der Anlaß für die jüngsten Ausschlußversuche.

Konkret geht es um ein Tonband, um das schon seit längerer Zeit Streit herrscht. Darauf zu hören sind angebliche antisemitische Äußerungen des ehemaligen VOS-Vorsitzenden Bernd Stichler.

Diederich: Ich würde sagen, Teile der UOKG nehmen das zum Anlaß, um die VOS loszuwerden, obwohl Herr Stichler deshalb ja bereits zurück- und ausgetreten  ist - und eine Sippenhaftung gab es wohl in der DDR, aber doch nicht in unserer freiheitlichen Demokratie.

Kennen Sie das Tonband?

Diederich: Ja.

Hat Herr Stichler sich tatsächlich entsprechend geäußert?

Diederich: Das Band ist lang und etliche Jahre alt. Ich habe das Band zudem nur einmal vorgespielt bekommen. Es gibt darauf einige mißverständliche Bemerkungen, aber aufgrund der bisher vorliegenden Begebenheiten vermag ich nichts Konkretes dazu zu sagen.

Warum?

Diederich: Das Band wurde angeblich auf einer VOS-Mitgliederveranstaltung aufgenommen und erlaubt viele Interpretationsmöglichkeiten. Jeder kann da heraushören, was er heraushören will. Jedoch wenn solche Äußerungen tatsächlich gefallen sind, sind sie zu verurteilen.

Was meinen Sie nun konkret damit?

Diederich: Ich will Ihnen ein anderes Beispiel geben: In unserem Mitglieder-Magazin, der Freiheitsglocke, erschien im Januar 2005 ein Text, in dem der Autor die Bundesrepublik Deutschland einen "Miststaat" nannte. Ich möchte vorwegschicken: Der Autor besteht darauf, daß das ein Druckfehler war, er meinte "Mißstaat". Der Punkt ist: Das Wort "Miststaat" wurde uns von den notorischen Gegnern der VOS als Verunglimpfung der freiheitlich demokratischen Grundordnung ausgelegt. Tatsächlich aber hatte der Text nichts damit zu tun, die "Verunglimpfung" galt vielmehr dem Versagen unserer Demokratie - wie es der Autor sieht - angesichts unseres heutigen Umgangs mit Tätern und Opfern der DDR. Das ist ein Thema, das bei vielen unserer Mitglieder extreme Enttäuschung über unsere Demokratie hervorgerufen hat. Denn ihnen, den Opfern, widerfährt bei weitem nicht die Gerechtigkeit, die sie sich 1989 von der freiheitlichen Bundesrepublik für ihr in der DDR erlittenes Unrecht erhofft haben. Statt dessen müssen sie erleben, wie die Täter und Nutznießer von einst heute ihre Pensionen genießen und teilweise sogar wieder Positionen besetzen, in denen sie über die Opfer verfügen können. Das ist für die Opfer ein ganz unerträglicher Zustand! Wenn sie sich nun darüber den Frust von der Seele schreiben, ist es geradezu infam, ihnen dann noch zu unterstellen, sie seien Gegner der Freiheit. Der Autor meint nicht, die Demokratie ist mies, sondern genau das Gegenteil, daß es mies ist, daß unsere Demokratie - im dargestellten ethischen Sinne - so wenig Demokratie ist.

Können Sie kein Beispiel aus dem Tonband nennen?

Diederich: Ich habe das Tonband vor längerer Zeit gehört, da der Streit darum ja auch schon älter ist, und ich habe jetzt kein Beispiel parat.

Sie müssen den Fall doch untersucht haben, zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

Diederich: Hören Sie, Herr Stichler ist zurück- und ausgetreten, damit betrachte ich den Fall als abgeschlossen. Ob er sich nun etwas zuschulden hat kommen lassen oder nicht, vermag ich nicht zu sagen. Fakt ist, er hat als damaliger Vorsitzender die politische Verantwortung übernommen - was will man mehr? Daß die Gegner der VOS diesen Umstand ignorieren und weiterhin deshalb gegen uns schießen, zeigt doch, daß es ihnen in Wirklichkeit gar nicht um das Tonband geht, sondern darum, die VOS zu treffen. Jetzt haben Sie mich als stellvertretenden Vorsitzenden ins Visier genommen. Ich war auf der Mitgliederversammlung damals natürlich auch dabei, habe aber nichts Ehrenrühriges gehört. Also, alles was man mir vorwerfen kann, ist, daß ich anwesend war. Und das soll jetzt ein Skandal sein? Absurd! Außerdem, bezüglich des BSV gibt es kein solches Tonband, und trotzdem versucht man, den Verband aus der UOKG zu werfen. Da merkt man doch, woher der Wind weht.

Sie meinen, daß einigen in der UOKG die grundsätzliche politische Ausrichtung von VOS und BSV nicht paßt?

Diederich: Eben. Das Problem ist, daß die DDR-Opfer - grob gesprochen - aus zwei Gruppen bestehen: Anti-Kommunisten und Reform-Kommunisten. Die einen - diese Gruppe finden Sie vor allem bei BSV und VOS - lehnen den Kommunismus in toto als totalitär ab und sind obendrein oft eher konservativ, viele auch patriotisch eingestellt. Die anderen - Stichwort Bürgerrechtler - sind dagegen eher links. Viele waren zu DDR-Zeiten oft selber sozialistisch gesonnen und hatten eher mit der SED als mit dem Kommunismus an sich ein Problem. Sie träumten nicht wie die erste Gruppe von der Wiedervereinigung und dem freiheitlichen Westen, sondern eher von einem "Dritten Weg", von einem "Sozialismus mit menschlichen Antlitz". Mit Mißtrauen beäugen sie heute den Konservatismus der Anti-Kommunisten, so wie diese ihren Linksdrall, der nämlich sogar so weit geht, daß sie oft weniger Berührungsängste mit PDS/Linkspartei und den Tätern von einst haben als mit ihren eigenen konservativen Schicksalsgenossen.

Dann wäre der Vorwurf der verfassungsfeindlichen Gesinnung an die Adresse der konservativen SED-Opfer doch absurd.

Diederich: Eben! Denn diese waren es, die in DDR-Haft von genau dieser Verfassung - vom Westen und von der Bundesrepublik - geträumt haben! Und nun wird er von Leuten erhoben, die damals meist selbst nicht viel mit dem Grundgesetz im Sinn hatten, sondern von einem anderem Kommunismus träumten!

Dennoch bleibt, daß eine Spaltung der Opfer letztlich nur dem gemeinsamen Gegner nützt. Deutschland ist das einzige ehemals (teil-)kommunistische Land in Europa, in dem es die Opfer geschafft haben, einen einzigen großen Dachverband zu gründen. In den übrigen ehemaligen Ostblockstaaten können die Opfer davon nur träumen.

Diederich: Es ist mir klar, daß viele glauben, wir würden eine Errungenschaft preisgeben. Auch ich hatte mir einmal viel mehr von einem gemeinsamen Dachverband versprochen, aber leider haben sich diese Hoffnungen nicht erfüllt. Nun haben wir den anderen ehemaligen Ostblocksstaaten eine Erfahrung voraus. Vielleicht können sie daraus lernen und so Fehler vermeiden, die wir erst machen mußten.

Im Juni hat der Bundestag die sogenannte DDR-Opferrente beschlossen - die allerdings diesen Namen kaum wert ist. Wenn in Zukunft die SED-Opfer mit zwei Stimmen sprechen, werden die Ergebnisse dann nicht noch magerer sein?

Diederich: Noch einmal: Ich gehe davon aus, daß sich die Schlagkraft der politischen Häftlinge erhöht, wenn wir wieder als eingenständiger Verband erkennbar sind, zumal wenn es gelingt, VOS und BSV zu vereinen. Schon in puncto Opferrente konnten wir, auch wenn wir das Gesamtergebnis für einen politischen Skandal halten, durch unsere Lobbyarbeit doch viele Verbesserungen erreichen. Das Grundproblem der DDR-Opferentschädigung in Deutschland sind nicht die Opferverbände, sondern daß in unserer Gesellschaft und vor allem in Presse und politischer Klasse das Interesse fehlt, wirklich für Gerechtigkeit zu sorgen. Wir DDR-Opfer sind - um es ganz klar zu sagen - noch immer Opfer zweiter Klasse!

 

Hugo Diederich ist Vorsitzender des Bundes der stalinistisch Verfolgten (BSV) und - als deren Vize - de facto-Vorsitzender der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS), seit deren Bundesvorsitzender im Dezember kurzfristig zurückgetreten ist. Damit vereinigt Diederich in Personalunion die beiden größten DDR-Häftlingsverbände. Der Diplomkaufmann saß wegen eines Fluchtversuchs elf Monate in DDR-Haft, bevor die Bundesrepublik Deutschland ihn im Juni 1987 freikaufte. Geboren wurde er 1954 im thüringischen Eichsfeld.

 

VOS, BSV und UOKG: Die Vereinigung der Opfer des Stalinismus und der Bund der Stalinistisch Verfolgten vereinigen knapp 4.000 ehemalige politische Häftlinge der DDR. Die VOS wurde 1950 in Berlin von ehemaligen Insassen der sowjetischen Speziallager gegründet und avancierte zum führenden Verband ehemaliger Kommunismus-Häftlinge in Westdeutschland. Der BSV entstand dagegen erst 1990 in Leipzig und ist weitgehend auf die neuen Bundesländer beschränkt. Beide Verbände gehören  der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) an, dem seit 1992 existierenden Dachverband der deutschen Kommunismus-Opfer, und zählen dort zu den zahlenmäßig stärksten der 33 Mitgliedsvereinigungen.

 

Information und Kontakt: Vereinigung der Opfer des Stalinismus und Bund der Stalinistisch Verfolgten, Stresemannstraße 90, 10963 Berlin, Telefon: 030 / 26 55 23 80, im Internet: www.vos-fg.de , BSV ohne Internetpräsenz

Union der Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft, Genslerstraße 66, 13055 Berlin, Telefon: 030 / 98 60 82 468, im Internet:  www.uokg.de

 

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