© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/07 10. August 2007

Fruchtbares Land
Israel: Die demographische Entwicklung des Staates ist ein Thema mit vielen Facetten / Bald mehr Aus- als Einwanderer
Oren Geller

Nicht nur in Deutschland, auch in Israel ist die demographische Entwicklung ein vieldiskutiertes Thema. Manche Pessimisten prognostizieren sogar schon Jahreszahlen, wann die jüdischen Israelis zur Minderheit im jüdischen Staat werden. In der jungen Generation denkt angeblich sogar jeder Zweite über eine Auswanderung nach - Berlin und New York seien bevorzugte Ziele.

Die im Frühjahr dieses Jahres zum 59. Unabhängigkeitstag präsentierten offiziellen Bevölkerungszahlen scheinen hingegen Entwarnung zu geben: Der Staat Israel hat demnach derzeit 7.150.000 Einwohner, davon sind 5.415.000 Juden. Das sind 76 Prozent der Bevölkerung, "nur" zwanzig Prozent sind Araber. Und mit mehr als 19.000 Einwanderern im Jahr 2006 scheint zumindest auch im siebten Jahrzehnt seit Gründung des Staates die Vision seiner Gründungsväter gesichert - zumal Israel seit diesem Jahr nun auch offiziell vor den USA das Land mit der größten mosaischen Gemeinde der Welt ist.

Doch diese aus israelischer Sicht eigentlich beruhigenden Statistiken sind umstritten: Die Linke steht den Zahlen skeptisch gegenüber, da von ihnen ein "rassistische Odeur" aufsteigen könnte. Die Rechte, die ihren göttlichen Anspruch auf das Westjordanland nicht von schnöden Zahlen unterminiert sehen möchte, ignoriert die Daten ebenfalls.

Arnon Sofer, Leiter des Geostrategischen Instituts der Universität von Haifa, interpretiert die statistischen Werte jedoch anders: In einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2004 konstatiert der Professor, daß die hohe Geburtenrate der zwischen Jordan und Mittelmeer heimischen Araber zu einem Bevölkerungswachstum zwischen 3,5 und 4,5 Prozent führt und sich so die Gesamtbevölkerung des Nahen Ostens alle 15 bis 30 Jahre verdoppelt. Darüber hinaus ist er der Meinung, daß im gesamten Gebiet des historischen Palästina die jüdische Bevölkerung nur einen Anteil von 48,5 Prozent ausmacht.

Der unabhängige Thinktank The Jewish People Policy Planning Institute (JPPPI) hat sogar eine Prognose für die nächsten 50 Jahre entwickelt. Im Positionspapier des Wissenschaftlers Sergio Della Pergola aus dem Jahr 2006 steht: "Juden als auch Nicht-Juden in Israel und den besetzten Gebieten bringen mehr Kinder zur Welt, als man von einer entsprechend sozio-ökonomisch entwickelten Gesellschaft erwarten würde, womöglich infolge einer werteorientierten Entscheidung in einem lang anhaltenden Konflikts hindeutet. Der unterschiedliche demographische Zuwachs in der israelischen und palästinensischen Gesellschaft wird die jeweilige Gewichtung beider Gesellschaftsgruppen in Israel und den Gebieten determinieren, und festlegen, wer die Mehrheit zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan besitzt und wie diese aussehen wird. Je nach unterschiedlichen geographischen Grenzen (mit oder ohne Westjordanland und Gazastreifen, O.G.), kann die jüdische Bevölkerung bereits 2010 zur Minderheit werden oder im Jahr 2050 weiterhin Majorität bleiben."

Diese Studie liefert noch weitere interessante Daten: So befindet sich die relative Anzahl der Juden auf der Welt im Rückgang, obwohl die jüdische Gemeinde in Israel am Wachsen ist. Der Grund liegt im Verhalten der Mitglieder der zwei großen jüdischen Zentren außerhalb Israels. Das amerikanische Judentum weist einen Rückgang von vier Prozent auf. Bei den französischen Juden sind es sogar fünf Prozent, was Della Pergola mit der allgemeinen europäischen Geburtenrate erklärt.

Die aktuellen Zahlen des israelischen Zentralbüros für Statistik bestätigen beide Studien. Obwohl die Geburtenhäufigkeit in Israel 2005 um vier Prozent zurückgegangen ist, brachte eine israelische Frau im Durchschnitt immerhin 2,84 Kinder zur Welt. Nach Glaubensgemeinschaften aufgeschlüsselt, bedeutet dies, daß eine drusische Frau heute 2,6 Kinder gebärt, eine christliche Araberin 2,2 und eine moslemische Araberin 4,0. Jüdische Frauen haben im Schnitt 2,7 Kinder. Diese hohe Fruchtbarkeit unter den muslimischen Israelis führt zu Problemen, mit denen der jüdische Staat nicht zurechtkommt. Laut Sofer stammen ein Drittel aller israelischen Kinder aus diesem Sektor, obwohl nur 20 Prozent der Bevölkerung arabisch ist, was zu enormen Engpässen in der schulischen Ausbildung und in der Bereitstellung von Gesundheits- und Sozialleistungen führt: "Kein Wunder, daß die Kriminalitätsrate im arabischen Sektor die höchste des Landes ist", so Sofer.

Auch die israelische Militärführung bangt um den nötigen Nachwuchs, obwohl 50 Prozent aller weltweiten Juden unter 15 Jahren bereits heute in Israel wohnen. Aufgrund des israelischen Gesetzes, dem zufolge orthodoxe Gläubige das Studium der Schriften dem Militärdienst vorziehen können, schlugen elf Prozent aller gemusterten Jugendlichen diesen Weg ein. Darüber hinaus zeigt die Statistik, daß 23 Prozent aller in diesem Jahr eingeschulten Kinder orthodoxe Juden sind - die es aller Wahrscheinlichkeit nach in zwölf Jahren wiederum vorziehen werden, keinen Wehrdienst zu leisten. Realistische Einschätzungen gehen sogar davon aus, daß in der Zukunft jeder vierte israelische Bürger aus religiösen Gründen nicht mehr zur Fahne gerufen wird.            


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