© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/07 10. August 2007

"Ohne Herzblut geht nichts"
Italien: Der Familienkapitalismus ist die Stärke der Wirtschaft / Tradition und langfristige Planung statt ständiger Managerwechsel
Paola Bernardi

Und du bist raus - Wie Investoren die Traditionsfirma Grohe auspressen", das war der Titel einer WDR-Reportage, die im vergangenen Jahr den renommierten Deutschen Fernsehpreis erhielt. Sie dokumentiert, wie das traditionsreiche deutsche Familienunternehmen aus dem sauerländischen Städtchen Hemer von den in Deutschland "Heuschrecken" genannten internationalen Finanzinvestoren "ausgenommen" wird. Weitere Unternehmen könnten folgen, denn gesichtslose Private Equity-Firmen wollen mit zig Milliarden Euro bei deutschen Firmen einsteigen - und die Erben der Wirtschaftswundergeneration wollen immer häufiger "Kasse" machen, statt den Betrieb fortzuführen.

In Italien scheint es diesbezüglich besser auszusehen, wie man beispielsweise bei der diesjährigen Sechzig-Jahr-Feier der Emilio-Pucci-Moden sehen konnte. "Mein Vater hatte immer eine Leidenschaft für elegante Frauen und wollte sie noch schöner machen", erklärte Laudomia Pucci, die einzige Tochter des 1992 verstorbenen Florentiner Marquis und heutige Miterbin und Verwalterin der Pucci-Marke anläßlich des Jubiläums. "Er war damals bereits der Schöpfer von 'made in Italy'", sagte sie stolz. Vor ein paar Jahren stieg die französische Luxusgruppe Louis Vuitton Moët Hennessy (LVMH) in die Firma ein. Sie vermarkten seither das Unternehmen weltweit. Gerade wird in Bahrain und in Jekaterinenburg ein weiterer Pucci-Laden eröffnet. Doch die Rest-Familie Pucci wacht nach wie vor persönlich mit Argusaugen über die Kollek­tion und verwahrt die Musterbücher des Modeschöpfers wie einen Schatz.

Die 34jährige Chiara Lungarotti aus der bekannten umbrischen Weindynastie, die die Firmentradition des Gründers Giorgio Lungarotti fortsetzen soll, ist ein weiteres aktuelles Beispiel des italienischen Familienkapitalismus, der nicht nur weiter wächst, sondern gerade in diesen schwierigen Globalisierungszeiten höchste Blüten treibt. Immer mehr italienische Unternehmen rekrutieren ihre engsten Mitarbeiter aus der Familie und Verwandtschaft.

Leistung und Liebe, ja Leidenschaft für das Unternehmen - das ist der Glutkern des italienischen Familienmythos: "Eigenschaften, die ein Außenstehender überhaupt nicht aufbringen kann", glaubt die Agronomin Chiara Lungarotti. Ihr verstorbener Vater Giorgio "hat mich schon mit drei Jahren in die Weinberge mitgenommen. Er ließ mich barfuß gehen, um in mir dieses Heimatgefühl für unsere Erde zu wecken", erzählt sie.

Auch bei Benetton, dieser italienischen Familienmarke, scheint Blut dicker als Wolle. Gerade feierte die italienische Familienmarke ihr 42jähriges Bestehen. Längst ist aus der Textilfabrik aus dem 10.000-Einwohner-Städtchen Ponzano Veneto in der Provinz Treviso (Venetien) ein global player mit fast zwei Milliarden Euro Umsatz, die Benetton Group, geworden. Auch deren Stärke und Geheimnis ist die Macht der Familie. Wie ein vierblättriges Kleeblatt regieren sie geräuschlos zusammen: Luciano Benetton nach außen, Carlo der Industrieminister, Gilberto ist zuständig für die Finanzen und Giuliana, die Schwester, kümmert sich um das Geschmackliche. Die nachfolgende Generation steht schon bereit, in die Fußstapfen der Älteren zu treten. So übernimmt der Sohn Alessandro Benedetto, bisher Stellvertreter, künftig die Führungsrolle von seinem Vater Luciano. Auch seinen Kindern gab Luciano - wie vordem sein Vater - den Rat, wenn du in die Familienfirma eintrittst, dann mache deine Arbeit mit Begeisterung und vor allem auf lange Sicht. "Ohne Herzblut geht nichts", davon ist Luciano Benetton überzeugt.

Auch Giannola Nonino, die Frau des wohl bekanntesten italienischen Grappa-Produzenten, Benito Nonino, aus dem 1.100-Seelen-Dorf Percoto im Friaul, erinnert sich nur noch zu gut, wie ihre Eltern ihr schon von klein auf beigebracht haben, welche Bedeutung Familie und Heimat haben. "Wichtig ist der Zusammenhalt, dann können wir jede Schwierigkeit meistern, lautete das Credo meines Vaters", so die 70jährige Patriarchin, deren Familie seit 1897 Spirituosen in Percoto destilliert. Sie habe ihre drei Töchter in der gleichen Tradition erzogen. Und alle drei arbeiten seit frühester Jugend in der Firma. Die "Grappa-Sisters" sind längst weit über die Grenzen Italiens bekannt: Cristina (43) ist für den Vertrieb zuständig, Elisabetta (38) für das Auslandsgeschäft und Antonella (40) für die Werbung. Alle drei sind verheiratet, haben bereits eigene Kinder - eine friaulische Familiensaga lebt fort.

"Mit der Lehre von der einen Marktwirtschaft ist dem Phänomen des italienischen Familienkapitalismus nicht beizukommen", konstatiert Guido Corbetta, Professor an der Universität Bocconi in Mailand. "Die Familie gibt den Unternehmen Stärke", doziert er. Der Wirtschaftswissenschaftler nennt die Gründe dafür: Familienunternehmen planen auf langen Zeitraum hinaus, immerhin steht ihre eigene Reputa­tion auf dem Spiel. Dieses Denken steht im Gegensatz zu den Managern, die oft bereits nach ein oder zwei Jahren wieder fortgehen, meistens dann mit einer gewaltigen Abfindung. Außerdem seien Familienmitglieder wesentlich kostenbewußter als Außenstehende. Sie halten das Geld zusammen, schon im Hinblick auf ihre Erben. "Gerade in schwierigen Zeiten der Globalisierung, in denen niemand weiß, ob man den Herausforderungen der Zukunft gewachsen sein wird, sind Familienclans besonders tüchtig: Dann nämlich zeigen sie wirklich ihre Krallen und verteidigen ihre Firma", so Corbetta.

Mittlerweile scheint es, daß alles, was gut und teuer und unter "made in Italy" in der Welt seinen Namen erworben hat, nur noch von Familienunternehmen erschaffen wird. Denn die Familien-GmbHs sind vor allem erfolgreich im Mode-Export. Hier scheinen die italienischen Familienclans nicht zu schlagen zu sein: So wie zum Beispiel im "Kaschmir-Konzern" von Laura Biagiotti. Dort ist längst die 29jährige Tochter Lavinia eingestiegen. Sie kümmert sich um die Lizenzen der Marke. Die Biagiottis zählten zu den ersten italienischen Unternehmen, die nach China gingen. Außerdem hat Lavinia eine junge Damenlinie ("Roma") und eine Kinderkollektion ("Dolls") entworfen. Nach dem Tod ihres Vaters leitet sie inzwischen gemeinsam mit ihrer Mutter Laura Biagiotti das Mode-Imperium.

Auch im Hause Missoni stehen die Jungen Gewehr bei Fuß, um die Geschäfte weiter zu führen. Die Mode, die einst das Ehepaar Rosita und Ottavio Missoni in den sechziger Jahren aus Streifen kreierte, führt nicht nur längst Tochter Angela fort, sondern in der zweiten Generation bereits die 24jährige Margherita Missoni, die in New York die Familiengeschäfte vorantreibt. Trotz ihrer Jugend scheint sie ebenso kreativ und umtriebig wie einst die Großeltern: Schon sind die Umsatzzahlen in den USA um 50 Prozent gestiegen.

Gleiches geschieht im Etro-Clan und bei den Trussardis. Auch Giorgio Armani hat seine schöne Nichte Roberta Armani als PR-Verantwortliche in sein weltweites Mode-Imperium eingesetzt. Und auch seine zweite Nichte Silvana arbeitet längst mit im weltweiten Armani-Imperium. "Es ist nicht nur Tradition, sondern vor allem Liebe und Passion zum Unternehmen wie auch zur Heimat", so Corbetta. Schon spricht man von einer "modernen Aristokratie". Es sind die Barillas, die Agnellis, die Zegnas, die Benedettis - und auch die Berlusconis.

Denn nicht nur mittelständische Unternehmen setzen in Italien auf die Familien-AG, sondern auch die Großen. So hat Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi seine fünf Kinder aus zwei Ehen mit in seinen Medienkonzern Fininvest aufgenommen. An der Spitze steht Marina Berlusconi, die heute die mächtigste Managerin Italiens ist. Das Wirtschaftsmagazin Forbes zählte sie zu den einflußreichsten Frauen der Welt. "Marina, la zarina", wie man sie nennt, steht noch vor der Queen in England auf der Forbes-Liste. Als Berlusconi mit dem Gedanken liebäugelte, das Medienunternehmen an Rupert Murdoch zu verkaufen, war es die heute 40jährige Marina, die mit ihrem energischen Nein letztlich den Kauf verhinderte.

Daß sich das Investieren in Familienbetriebe lohnt, zeigt eine Studie der Credit Suisse. Daraus geht hervor, daß familienkontrollierte Großkonzerne am Aktienmarkt besser abschneiden als Firmen mit einer breit gestreuten Aktionärsstruktur. Laut der schweizerischen Studie erzielten in Europa die Unternehmen, bei denen die Gründerfamilie mit mindestens zehn Prozent des Aktienkapitals engagiert ist, über den Zeitraum 1997 bis 2006 hinweg eine zwei Prozent höhere Rendite pro Quartal als vergleichbare Großkonzerne - und dies über alle Branchen hinweg.

Foto: Carlo, Gilberto, Giuliana und Luciano Benetton (v.l.n.r.): In den Zeiten der Globalisierung erweisen sich Familienclans als besonders tüchtig


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