© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/07 27. Juli / 03. August 2007

Monokultur in Deutschlands Gärten: Kein Garten Eden
Seelenlose Scheinwelt
Christoph Martinkat

Ohne gestalterische Hand gibt es keinen Garten, sondern nur Wildwuchs. Ohne den Eingriff des Menschen wächst nichts, wie er es sich wünscht, sondern lediglich so, wie es der Natur beliebt. Was der Natur beliebt, ist zwar oft verschwenderisch, jedoch für den Menschen nur selten nutzbar oder zu wenig nach seinem Geschmack. So kennt die wildwachsende Natur keinen Rasen. Auch Rosenstöcke kennt sie nicht. Die ungeschnittene Rose verkümmert, wird von weniger edlen, dafür stärkeren Pflanzen überwuchert. Da hilft nur ein gezielter Eingriff. Er hilft wachsen. Gärtner wissen das.

Gärten zeigen seit jeher die Veränderungen an, die in der Welt vor sich gehen. Sie sind Ausdruck gesellschaftlicher Vorstellungen wie individuellen Lebens. Heute jedoch finden wir vor allem eines in unseren Gärten: Monokultur. Einen anderen Schluß jedenfalls läßt der unverstellte Blick auf privates wie öffentliches Grün kaum zu. In Privatgärten gibt es zumeist Rollrasen, zwei Blumenbeete aus dem Gartencenter, dazu die blickdichte Hecke zum Nachbarn hin, dazu einen Gartenteich, eine Grillecke. Schlimmer wird's noch, wenn ein Pavillon mit Plastikstühlen das ohnehin karge Bild vollends zerstört.

Jeder Garten, so heißt es, entstehe aus einer bestimmten Geisteshaltung heraus. Sollte dem so sein, dann ist es um unsere Geisteshaltung schlecht bestellt. So mußte der gute alte Privatgarten mit seiner Repräsentations- und Nutzfunktion, entstanden aus ersten Entwürfen zu Jugendstil-Villen nach 1900, längst dem Einheitsrasen weichen. Dieser dient nun der Ausdehnung der Wohnstubenkultur ins Freie hinein sowie der Zurschaustellung des Immergleichen, das sein spärliches Spannungselement aus seiner Vergleichbarkeit zieht: größerer Carport, schönerer Pool.

Im Gegensatz zum traditionellen Nutzgarten ist der heutige Privatgarten auch kein Land zur Versorgung mit Gemüse, Obst und Blumen mehr, sondern lediglich eine Parzelle, auf der die Habseligkeiten plaziert werden, die ins Reihenhaus nicht hineinpassen. Wirkliche Gärten mit einer vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt finden sich allenfalls in ausgesuchten Pfarr-, Kloster-, Schloß- oder Tiergärten oder im TV.

Fast alles, was uns an täglichem Grün umgibt, ist mittlerweile so umgestaltet worden, daß es als leb- und seelenlose Scheinwelt daherkommt. Gärten, öffentliche Parks und Plätze, sie alle sehen gleich aus: eintönige Rasenflächen, pflegeleichte Nadelbäume aus fernen Klimazonen, Zierblumenbeete und große Flächen exotischer, steriler Bodendecker. Einheimische Sträucher, Bäume und Wildkräuter sucht man hingegen vergeblich, folglich auch eine Vielfalt an Insekten, Kleintieren und Vögeln.

In ländlichen Siedlungsräumen ist das nicht anders als in der Stadt: Auf Äckern und Feldern verschwinden Hecken und Obstbäume. Auch stufig aufgebaute, artenreiche Waldränder und Ackersäume fehlen. Bäche wurden kanalisiert, Wildkrautfluren vernichtet. Die Vielgestaltigkeit von Landschaft - eine Voraussetzung zur Stabilität der Ökosysteme - wurde zugunsten von Wirtschaftlichkeit und Produktionssteigerung trivialisiert.

Schon jetzt sind viele Lebensräume und zahlreiche Tier- und Pflanzenarten verschwunden. Und mit ihnen das Wissen darüber. Wer sich heutzutage in sein verlängertes Wohnzimmer, also auf den Rasen vor dem Haus wagt, den erwartet nicht selten sein blaues Wunder.

Laut Statistik der Allianz nämlich landen jährlich etwa zehntausend selbsternannte Hobbygärtner im Krankenhaus. 32 Prozent verletzen sich bei Stürzen auf dem Rasen, 26 Prozent landen auf Stein oder Beton - oder schlimmstenfalls auf Waschbeton. Gartenschläuche werden zur Stolperfalle, aber auch Arbeiten mit elektrischer Gartenschere oder Sense gehen oft böse aus. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Es handelt sich bei der Gartenarbeit für die meisten um eine ungeübte Handarbeit, die zudem in einem Tempo absolviert wird, als gelte es die Welt zu retten.

Doch während sich unser Leben pausenlos beschleunigt und uns der Natur gänzlich entfremdet, bleibt das Tempo des Gartens selbst unverändert. Er besitzt nicht den oberflächlichen Reiz-Reflex-Mechanismus unseres Alltagslebens. Selbstangelegte Gemüsebeete und Kräutergärten belohnen uns zwar niemals sofort, dafür aber nachhaltiger als Gurken aus dem Supermarkt. Ein Sprichwort sagt: "Wer in seiner Jugend Bäume pflanzt, kann sich im Alter in ihren Schatten setzen." Doch dazu muß man Bäume lieben und mit der Natur leben wollen.


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