© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/07 27. Juli / 03. August 2007

Späte Folge des Divide et Impera
Die Briten legten den Keim für die nach 1947 erfolgte blutige Teilung des indischen Subkontinents zwischen Hindus und Moslems
Daniel Schikora

In weltökonomisch erfolgreichen Gesellschaften Ost- und Südostasiens wird dem universalistischen Geltungsanspruch der Werte und Institutionen der liberalen Demokratien oft eine brüske Absage erteilt. So stellte etwa der langjährige Ministerpräsident Malaysias, Tun Mahathir bin Mohamad, den individualistisch ausgerichteten Menschen- und Bürgerrechtskatalogen des "Westens" traditionelle "asiatische" Auffassungen des Verhältnisses zwischen Individuum und Gemeinschaft gegenüber. Demgegenüber läßt sich (neben dem "japanischen Modell") auf die demokratiepolitische Erfolgsgeschichte der Indischen Union (Bharat) verweisen.

Allerdings setzte sich das Staatsorganisationsmodell der vor sechzig Jahren ins Leben gerufenen "größten Demokratie der Welt" nur in einem Teil des indischen Subkontinents durch. Denn "Britisch-Indien" wurde am 15. August 1947 geteilt in die Unabhängigkeit entlassen. So erhielt neben der (mehrheitlich hinduistischen) Indischen Union auch der "Muslim-Staat" Pakistan den Status eines Dominion im Commonwealth of Nations. Und in den vergangenen sechs Jahrzehnten konnten sich wirkungsmächtige parlamentarisch-demokratische Institutionen nach indischem Muster weder in Pakistan noch in Bangladesch (dem früheren "Ostpakistan", seit 1971 unabhängig), weder in Burma (1937 von Britisch-Indien abgetrennt, seit 1948 unabhängig) noch in Ceylon (1948 unabhängig, seit 1972 Sri Lanka) durchsetzen. Insofern stellt Bharat, seinem Anspruch nach einemsäkularen, auf die Prinzipien eines föderalistischen Republikanismus gegründetes Gemeinwesen, innerhalb Südasiens einen "Sonderweg" dar.

Das Gewicht, das die britische See- und Kolonialpolitik Indien, dem "Brillanten" des Empire, beimaß, kommt in hervorragender Weise zum Ausdruck in der Proklamation der Königin Victoria als "Kaiserin von Indien" im Jahre 1876 - ein Titel, der als Äquivalent zu dem des Kaisers des Deutschen Reiches konzipiert worden war. Durch Eroberungskriege hatte die britische Ostindien-Kompanie bis Mitte des 19. Jahrhunderts sechzig Prozent des Subkontinents in ihre Gewalt gebracht, während die übrigen vierzig Prozent nach wie vor unter der Herrschaft einheimischer Fürsten standen, die nach außen hin durch Großbritannien vertreten wurden. Erst infolge der Niederschlagung des Sepoy-Aufstandes von 1857 (JF 27/07), eines großen antikolonialen Aufstandes mit Beteiligung indischer Regimenter, nahm Großbritannien die formelle Auflösung des muslimischen Mogulreiches in Angriff und löste die Ostindien-Kompanie auf. An deren Stelle sollte ein Indienministerium unter unmittelbarer Kontrolle des Parlaments in London treten.

Bereits 1858, als Britisch-Indien in den Status einer Kronkolonie erhoben wurde, versprach Königin Victoria eine angemessene "Beteiligung fähiger Inder an Verwaltung und Regierung" des der "Pax Britannica" unterworfenen Subkontinents. Auf der anderen Seite bemühte sich die britische Kolonialverwaltung in Indien jedoch jahrzehntelang darum, Bestrebungen einer Industrialisierung der Kolonie weitgehend zu unterbinden, da das kolonialpolitische Interesse der Briten sich vorrangig auf einen Erhalt der indischen Absatzmärkte richtete. In diesem Sinne wurden die Pläne des Parsen Jamshedji Tata, eine indische Textil- und Schwerindustrie zu begründen, durch Verweigerung englischen Kapitals durchkreuzt.

Charakteristisch für den antikolonialen indischen Nationalismus, wie er seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von den städtischen Eliten Britisch-Indiens getragen wurde, war der Respekt vor den Errungenschaften des "Westens" vor allem auf technisch-industriellem Gebiet, aber auch in der Sphäre der politischen Institutionen. In der Kolonialmacht Großbritannien sahen die "modernistischen" indischen Nationalisten (zunächst) einen "politischen Führer und moralischen Lehrer". Die erfolgreiche Geschichte Großbritanniens habe das unterworfene Indien "jene Grundsätze der Freiheit gelehrt, die wir schätzen wie das Blut unseres Lebens", erklärte Surendranath Banerji, einer der führenden Köpfe des 1885 ins Leben gerufenen Indischen Nationalkongresses (INC). Allerdings bildete sich innerhalb des INC, der unter Beteiligung liberaler Engländer gegründet worden war, auch eine hinduistisch-traditionalistische Fraktion heraus.

Gegenüber dem INC, der sich zunehmend als Massenbewegung formierte, setzten die Briten auf die Mobilisierung der muslimischen Minderheit (aber auch der kastenlosen Hindus), der eine Zusammenarbeit mit der Kolonialmacht vielfach als Garant gegen die Gefahr einer hinduistischen Majorisierung erschien. So ließ sich die 1906 konstituierte Muslim-Liga - aus der die politische Klasse Pakistans hervorgehen sollte - auf eine strategische Kooperation mit Großbritannien ein, mit dem Ziel, den INC in seiner Autorität als Repräsentanz aller Inder zu erschüttern. Im Rahmen ihrer Vorstöße zu einer begrenzten Demokratisierung Britisch-Indiens legte die britische Kolonialverwaltung 1932 - unter dem Vorzeichen des Schutzes religiöser Minderheiten - eine Wahlregelung fest, nach der es den Muslimen ermöglicht werden sollte, sich über getrennte Wahllisten als eine "Nation in der Nation" repräsentieren zu lassen.

Das durch den Zweiten Weltkrieg ökonomisch und weltpolitisch geschwächte Großbritannien sah sich ab 1945 - unter Verantwortung der Labour-Regierung Clement Attlee - genötigt, in Südasien einen Prozeß der Entkolonialisierung einzuleiten, der versprach, London - über die Institutionen des Commonwealth - ein Minimum an Einflußmöglichkeiten in dieser Weltregion zu belassen. Genau zwei Jahre nach der Kapitulation Japans - des Hoffnungsträgers auch vieler nationalistischer Inder - zogen sich die Briten aus Indien zurück. Die "Vivisektion" (Mahatma Gandhi) des indischen Subkontinents entlang religiöser "Bruchlinien" brachte jedoch Vertreibungen und Massenmorde riesigen Ausmaßes mit sich, von welchen Millionen Hindus, Sikhs und Muslime in Mitleidenschaft gezogen wurden. So verloren etwa die Sikhs durch die Gründung Pakistans mehr als die Hälfte ihres angestammten Siedlungsgebietes und ihrer Wallfahrtsstätten.

Foto: Lord Louis Mountbatten vor der Vereidigung zum Generalgouverneur des Dominions Indien, Neu-Delhi am 15. August 1947: Ein Minimum an Einflußmöglichkeiten in dieser Weltregion behalten


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