© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/07 27. Juli / 03. August 2007

CD: Klassik
Mustergültig
Andreas Strittmatter

Opernfanatiker, die sich gelegentlich fragen, warum die Theater vorzugsweise unbekanntes Neues vor leeren Reihen oder altbekannt Gewohntes vor vollem Haus, aber selten unbekanntes Altes vor interessiertem Publikum spielen, stranden irgendwann bei der britischen Plattenfirma Opera Rara. Seit der Gründung 1970 hat Opera Rara vernachlässigte Preziosen vorzugsweise der italienisch-romantischen Oper zusammengetragen - viele Einspielungen hiervon sind mit Unterstützung der Peter Moore Foundation (einer Art "Belcanto-Caritas") hausgemacht, manche aus anderen Quellen übernommen, neuerdings nicht wenige mit Festivals und Theatern koproduziert.

Im Gegensatz zu einigen Labels, die Unbekanntes oft in gruseligen Mitschnitten auf den Markt werfen, setzen die Briten auf Mindestanforderungen, so daß die Aufnahmen mindestens mit dem Prädikat "solide" bedacht werden können. Meistens sind sie aber sogar deutlich besser.

Vor allem Gaetano Donizetti (1797-1848), der rund siebzig - größtenteils erhaltene - Opern komponierte, profitiert häufiger von diesen Ambitionen. Jüngst fand nun "Dom Sébastien, roi de Portugal" ins Programm, Donizettis letztes wirklich gewaltig dimensioniertes Werk, welches der in Bergamo geborene (und dort auch gestorbene) Komponist für die Pariser Grand Opéra schrieb und ebenda 1843 erstmals zur Aufführung brachte.

Der erste Eindruck dieses Konzertmitschnittes des französischen Originals (bislang lag nur die spätere italienische Fassung auf Platte vor) dürfte zumindest jene irritieren, die mit Donizetti vor allem liebesgetränktes Brio verbinden. Das liegt nicht allein an Mark Elder, der dem Orchester der Londoner Covent Garden Oper zwar geziemend, aber nicht zügellos den Takt vorgibt, sondern letztlich am Werk selbst.

Schon zu Zeiten der Uraufführung teilte die Kritik keineswegs Donizettis Eigeneinschätzung des "Dom Sébastien" als einer "hochgewichtigen Arbeit", sondern attestierte ein "Begräbnis in fünf Akten". Dunkle Orchesterfarben dominieren das Drama. Den Erwartungen der französischen Grand Opéra gemäß wartet es zwar mit einer (unglücklich endenden) Liebesgeschichte zwischen einem süd­europäischen König und einer nordafrikanischen Mohren-Maid auf, die für ein exotisches Sujet bürgt, beschwört aber sonst Säbelrasseln, Dunkelmänner (ein intriganter Großinquisitor vorne weg), Schlachten und einen Leichenzug ohne allzu vordergründig effektbedachtes Musiktheater.

An manchen Stellen weist die kompositorische Faktur so nachdrücklich auf den 1867 gleichfalls in Paris uraufgeführten "Don Carlo" voraus, daß man mit Fug und Recht annehmen kann, daß Giuseppe Verdi bei der Arbeit an seiner bedeutendsten Grand Opéra den "Dom Sébastien" im Hinterkopf gehabt haben muß. Die wenngleich sehr lockere thematische Verbindung zwischen beiden Werken verstärkt diesen Eindruck.

Vokal bietet Opera Rara angesichts der nicht geringen Anforderungen dieses Werkes eine weitgehend mustergültige Besetzung auf. Der Tenor Giuseppe Filianoti schlägt sich achtbar in der Titelpartie. Bei aller profunden Tiefe könnte man sich den Großinquisitor (Gegenspieler eins) mit einem sich machtvoller verströmenden Baß vorstellen, als Alastair Miles ihn beisteuert. Gegenspieler zwei ist der Muselmanenfürst Abayaldos, von Simon Keenlyside prägnant und mühelos charakterisiert. Daß Carmelo Corrado Caruso in der Partie des Dichters Camoëns ausgerechnet die erste große Soloszene zufällt, ist angesichts des anfangs recht ungeschliffen agierenden Baritons bedauerlich. Rundum überzeugt Vesselina Kassarova als Zayda. Im Duett mit Sébastien singt sie einmal von der Liebe, die ihre Stimme bewege: "L'amour inspire ma voix" - dem ist nichts hinzuzufügen. 


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