© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/07 27. Juli / 03. August 2007

Reif für die Insel
Wo Gram und Sorge ferngehalten werden können: Vom Inbegriff des Urlaubmachens
Günter Zehm

Nicht gerade passend zur Urlaubs- und Feriensaison hat vor zwei Wochen der Urlaubs- und Feriensender "terranova" seinen Betrieb in Köln kleinlaut eingestellt. Zu wenig Publikumsinteresse, zu wenig Werbe-umsatz. Es war ein merkwürdiger Sender, übrigens in französischem Besitz. Sehr oft gab es Filmchen über Hunde und Katzen, zwischendurch Beiträge über alle möglichen Winde, Tsunamis, Hurrikane, Taifune, Blizzards, einmal in der Woche versammelte der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit einige selbsternannte Experten, um mit ihnen die ökologische Weltlage im allgemeinen und die Klimakatastrophe im besonderen zu erörtern.

Der Hauptgang aber, die "pièce de résistance" des Senders, war das Urlaubmachen, genauer: das Urlaubmachen in Gestalt von "Inselhüpfen". Ein etwas strubbeliger, aber offenbar reicher Herr namens Antoine fuhr mit seinen Seegelbooten, darunter einem rassigen Katamaran, von einer Insel zur anderen, pries die insularen Schönheiten, feierte mit den Inselbewohnern lustige Grillparties, ließ sich die jeweiligen Spezialitäten schmecken, machte auch Vorschläge für ordentliches insular-ökologisches Touristenverhalten. Und dazu gab es schöne Musik.

Monatelang ging das so, in ewiger Wiederholung. Antoine in der Karibik und Antoine in Polynesien, Antoine auf den Seychellen und Antoine auf den Komoren, Antoine in Neufundland und Antoine in Neu-Guinea. Und immer in bester Laune und funkelnd vor Urlaubsglück. Der Zuschauer bekam schnell den Eindruck, daß "richtiges" Urlaubmachen an sich nur noch auf einer Insel möglich sei, und manchmal sagte es Herr Antoine selbst: "Urlaub und Insel sind identisch, wer seinen Urlaub nicht auf einer Insel verbringt, versäumt das Schönste am Urlaubmachen."

Die Behauptung hat durchaus etwas für sich, bereits vor Ankunft von "terra nova" hatte sie sich weit im Volksbewußtsein verbreitet. "Ich bin reif für die Insel" ist ein Neologismus, den inzwischen jeder kennt, und er meint eben: Ich bin reif für den Urlaub. "Insel" wird assoziiert mit allem, was einen idealen Urlaubsort ausmacht: landschaftliche Schönheit, Exotik, Abgeschiedenheit, einfache, übersichtliche Lebensverhältnisse, enges Beisammensein von Meerblick und Gipfelblick, Wellenspiel und (ruhendem) Vulkan bzw. Leuchtturm.

Meistens trifft das auch zu, man muß sich nur darüber verständigen, was eine Insel ist, wie groß sie sein darf, um noch den Namen "Insel" beanspruchen zu können. Ist Neu-Guinea jene Insel, als die sie Herr Antoine ohne Bedenken verkaufte, obwohl es doch fast so groß ist wie Deutschland und Frankreich  zusammengenommen? Hier kommt man in Definitionsschwierigkeiten. Aber nach Neu-Guinea fährt ohnehin kaum ein Urlauber. Dessen Größenbegriff läßt sich in etwa auf folgende Vorstellung bringen: Auf keinen Fall größer als Trinidad ohne Tobago (4500 qkm), Idealgröße vielleicht Ibiza (590 qkm), nach unten faktisch keine Grenzen.

Wichtig sind vor allem die Abgeschiedenheit und die Übersichtlichkeit, auch wenn sie nur eingebildet sein mögen. Oft hört man ja, daß zu einem "richtigen" Urlaub die Ent-Spannung gehöre und daß diese vorzüglich in Ab-Lenkung und Zer-Streuung bestehe. Die Sehnsucht der Urlauber nach der Insel widerlegt diese Reden. Urlaub, der etwas taugt und an den man sich gern erinnert, ist nicht Zer-Streuung, sondern im Gegenteil Sammlung, Bei-sich-selber-Ankommen. Die Insel in ihrer Absonderung und Übersichtlichkeit bietet willkommene Gelegenheit zu solcher Sammlung.

Ihr wohnt (selbst wenn auf ihr modernste, hochkomplexe Zivilisationsverhältnisse herrschen) stets ein Zug zur Vereinfachung und Intensivierung zwischenmenschlicher Kommunikation inne, ihre heimliche Devise lautet immer (um es mit dem Titel eines berühmten Bestsellers zu sagen): "Simplify your life". Der alltägliche Umgangston auf Inseln ist kerniger, herzlicher, kameradschaftlicher als auf dem "Festland". Man singt dort auch öfter und achtet genauer auf die umgebende Natur. Es herrscht größere kollektive Geborgenheit, obwohl (oder gerade weil) der einzelne in der Regel mehr gefordert wird.

Große Dichter haben die anspruchsvollsten Vergleiche dafür gefunden. Es gibt ein Gedicht von Schiller, "Der spielende Knabe", das sogar den Mutterschoß zur Kennzeichnung des Insellebens heranzieht, respektive es bemüht die Insel zur Kennzeichnung des Mutterschoßes, wo der Knabe geborgen spielt: "Spiele, Kind, in der Mutter Schoß! Auf der heiligen Insel / Findet der trübe Gram, findet die Sorge dich nicht."

Nicht zufällig gingen die Weltverbesserer und sozialen Glücksschmiede aller Zeiten, von Platon und Jambulos bis Thomas Morus und Francis Bacon, wie selbstverständlich davon aus, daß trüber Gram und Sorge am schnellsten und wirkungsvollsten von einer Insel ferngehalten bzw. von ihr verbannt werden könnten.  Die utopischen Sozialentwürfe oder Technologie-Entwürfe dieser Leute waren durch die Bank Schilderungen fiktiver Inselstaaten, und zwar nicht nur, weil sich Inseln leichter gegen schädliche äußere Einflüsse abschirmen ließen als Staaten auf dem Festland, sondern auch, weil der Inselstatus ganz offenbar von sich aus Wohlverhalten und Gemeinschaftsglück beförderte.

Die (vermeintlich) paradiesischen Zustände, die die großen Kapitäne der frühen Neuzeit, Cook, Bougainville, auf ihren Forschungsreisen zu entdecken glaubten, herrschten, wie die "Entdecker" mit Erstaunen registrierten, exklusiv auf sogenannten "glücklichen Inseln". Das Inseldasein war gewissermaßen die Voraussetzung des Glücklichseins, es lud die Abendländer geradezu von sich aus zum Urlaubmachen ein.

Indes, Urlaub im modernen Sinne gab es damals noch gar nicht; was es gab, waren Feste, wo man momentweise über die Stränge schlagen, sich dionysisch austoben durfte. Statt sich also sympathetisch und einfühlsam auf den waltenden Inselgeist einzulassen, verstanden die Cook und Bougainville, zumindest ihre Matrosen und Maaten, die Einladung lediglich als Aufforderung, über die Stränge zu schlagen. Sie "machten den Ballermann", wie es heute heißt, und damit war es mit der ganzen Urlaubsherrlichkeit auch schon wieder vorbei.

Auch heute kann dergleichen noch passieren. Die schöne Sehnsucht nach der Insel ist zwar überall da, aber es gibt nach wie vor auch noch den Drang, den Ballermann zu machen. Urlaubs- und Inselsender  wie "terranova" sind da an sich nützlich und notwendig. Sie wirken wie ein guter Reiseteil in der gedruckten Presse, sie orientieren und kultivieren, bei aller geschäftstüchtigen Verlogenheit im einzelnen. Daß "terranova" jetzt so ruhmlos verröchelte, ist an sich kein gutes Zeichen, vergleichbar mit einer Strecke allzu kühler Regentage auf der Lieblingsinsel.             

Foto: Papa Beach auf der griechischen Insel Samos: Das Inseldasein war für die Entdecker der Neuzeit die Voraussetzung zum Glücklichsein


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