© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/07 27. Juli / 03. August 2007

Demographische Krise als Wirtschaftsfaktor
Bevölkerungsentwicklung: Im Jahr 2035 wird Deutschland das Land mit der ältesten Bevölkerung sein / Von der Leyen stellt Studie vor
Josef Hämmerling

Deutschland ist auf dem Weg zu einem traurigen Rekord: Bereits 2035 wird es hierzulande die weltweit älteste Bevölkerung geben. Fast jeder Deutsche wird dann 50 Jahre und älter sein. 2005 lag dieser Anteil erst bei 37 Prozent. Dabei gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Je höher das Alter, desto größer der Anteil der Frauen. Dies ist das Ergebnis der von der Unternehmensberatung Roland Berger erstellten Studie "Wirtschaftsmotor Alter", die in der vergangenen Woche von Familienministern Ursula von der Leyen (CDU), deren Ressort auch für Senioren zuständig ist, in Berlin vorgestellt wurde.

Obwohl dieser demographische Wandel seit langem bekannt ist, hat sich die Wirtschaft der Studie zufolge hierauf noch nicht ausreichend eingestellt. So seien bereits heute fünfundvierzig Prozent der Käufer von hochwertigen Konsumgütern älter als 50 Jahre. Und die über 75jährigen würden heute doppelt so viel für Gesundheitspflege ausgeben wie 20- bis 49jährige. Prognostiziert wird aber noch weiteres Wachstum, beispielsweise im Gesundheitssektor bis zu vierzig Prozent sowie bis zu zehn Prozent bei Reisen und Hotels. Zu den Verlierern würden dagegen die Bereiche Kleidung, Schuhe, Schmuck und Unterhaltungselektronik gehören.

 Dennoch überwiegen nach Ansicht der Ministerin die Wachstumschancen, besonders auch bei den über 65jährigen. Ihr Anteil am Gesamtkonsum werde in den kommenden achtundzwanzig Jahren von knapp achtzehn Prozent auf über sechsundzwanzig Prozent steigen. Zwar würden sich die Unternehmen zunehmend auf diesen demographischen Wandel einstellen, "aber insgesamt steckt der Seniorenmarkt noch in den Kinderschuhen", erklärte von der Leyen. Da Deutschland es sich aber nicht leisten könne, diesen wichtigen Zukunftsmarkt anderen zu überlassen, habe ihr Ministerium jetzt das Unternehmensprogramm "Wirtschaftsfaktor Alter - Unternehmen gewinnen" gestartet. Damit sollen Unternehmen unterstützt und gleichzeitig ältere Menschen als Verbraucher gestärkt werden. Für den Aufbau einer Geschäftsstelle, die sowohl eine Informations- und Kontaktbörse als auch ein Forum für den Austausch zwischen Wissenschaft, Senioren- und Verbraucherorganisationen sein soll, werde der Bund deswegen in den Jahren 2008 bis 2010 rund vier Millionen Euro zur Verfügung stellen.

 Bislang werden die Potentiale des Seniorenmarktes oder, wie von der Leyen es nennt: der "Silver Economy", nach Feststellung der Forscher  noch nicht in allen Branchen und nicht von der Breite der Unternehmen ausgeschöpft. Vorreiterunternehmen kämen hauptsächlich aus den Bereichen Körper- und Gesundheitspflege, Touristik sowie Banken und Versicherungen. Vor allem gebe es für die immer älteren Konsumenten auch viel Raum für innovative Produkte und Dienstleistungen. Da der deutsche Seniorenmarkt sich in Europa als erster "hochdynamisch entwickeln" werde, biete dieses den Unternehmen auch sehr gute Exportmöglichkeiten.

Welche Wachstumschancen dieser Markt bietet, sieht man an folgendem Fazit der Studie: "In keiner einzigen der untersuchten Gütergruppen sind die 20- bis 49jährigen eine 'Wachstumszielgruppe'. Das bedeutet: Ihr Anteil an der Gesamtnachfrage wird in keiner einzigen der betrachteten zwölf Gütergruppen wachsen oder auch nur konstant bleiben."

Bemängelt wird in der Studie allerdings, daß die Unternehmen die Senioren als Konsumenten nicht ernst genug nähmen. Bislang würde sich das Angebot vor allem auf solche Waren erstrecken, die auf die Bedürfnisse älterer Menschen ausgerichtet seien, also etwa einfach zu bedienen wären. So gebe es zum Beispiel bei den Männern überdurchschnittlich viele Porsche- und Harley-Davidson-Fahrer, aber in diesem Marktsegment bislang keine speziell auf sie zugeschnittenen Produkte.

Fehler gebe es auch noch beim Marketing. So wirke etwa die Bezeichnung "altersgerecht" eher abschreckend. In den Vereinigten Staaten habe man dagegen für Senioren den verkaufsfördernden Begriff "best ager" (frei übersetzt "Leute im besten Alter") geprägt.

Berücksichtigt werden muß der Untersuchung zufolge zudem, daß der Alterswandel sich auch auf die Zahl der Haushalte auswirkt. So stieg deren Anzahl zwischen 1991 und 2004 um elf Prozent, während das Bevölkerungswachstum nur 2,4 Prozent betrug. Dementsprechend gesunken ist die durchschnittliche Mitgliederzahl der Haushalte. Die Zahl der Einpersonen-haushalte ist seit 1991 mit 22,4 Prozent deutlich am stärksten gewachsen - doch auch die Zweipersonenhaushalte haben innerhalb der Gruppe der Mehrpersonenhaushalte stark zugenommen. Der Trend zu kleineren Haushalten bleibt auch in Zukunft bestehen.

Die Bedeutung des "Konsummotors Alter" wird nach Ansicht der Forscher wesentlich davon abhängen, wie sich die sozialen Sicherungssysteme und andere Einkommensfaktoren älterer Menschen in der Zukunft entwickeln. Vonnöten seien auf jeden Fall "weitere Reformen, um negative Wachstumsraten aufgrund der demographischen Entwicklung abzumildern". Vergessen werden darf dabei laut Berger auch folgendes nicht: Mit umfassenden Reformen und einer Stärkung des technologischen Fortschritts - etwa durch Innovationen im Seniorenmarkt - können in Zukunft positive Beschäftigungseffekte erzielt werden.


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