© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/07 20. Juli 2007

BRIEF AUS BRÜSSEL
Kein Vorsitz für Europa
Andreas Mölzer

Er wolle die Gunst der Stunde nutzen, um den sogenannten Reformvertrag, wie die zum Leben wiedererweckte EU-Verfassung neuerdings genannt wird, fertigzustellen, erklärte José Sócrates, der neue Ratsvorsitzende der Europäischen Union. Und dabei kann es dem Portugiesen offenbar nicht schnell genug gehen. Denn die wesentlichen Arbeiten sollen noch während des Sommers, also zur Urlaubszeit, über die Bühne gehen. Mit dieser Vorgehensweise soll in EU-erprobter Manier sichergestellt werden, daß die Bürger von der "Regierungskonferenz", die dem "Reformvertrag" den Feinschliff geben soll, so wenig wie möglich Notiz nehmen. Und das geschieht aus der Sicht Brüssels mit gutem Grund: Denn immerhin wird mit dem "Reformvertrag" die EU-Verfassung - nach einigen kosmetischen Korrekturen und mit einem neuen Namen versehen - den Bürgern untergejubelt. Um die Interessen einer abgehobenen politischen Pseudo-Elite zu befriedigen, werden die europäischen Nationalstaaten in ein zentralistisches Korsett gezwängt.

Die Rede Sócrates' zeigte einmal mehr, worin für Brüssel die Prioritäten liegen. So sprach der portugiesische Sozialist zwar immer wieder von den "europäischen Gesellschaften" und auch die vielzitierten und vielstrapazierten "europäischen Werte" durften nicht fehlen. Aber der Begriff "Völker" kam ihm nicht über die Lippen. Die historisch gewachsenen Ethnien Europas sollen also durch eine dem politisch korrekten Zeitgeist verpflichtete Beliebigkeit ersetzt werden. In diesem Zusammenhang erweist sich die Ankündigung des neuen EU-Vorsitzenden, auf die Zuwanderungspolitik  "besonderens Augenmerk" zu legen, als eine gefährliche Drohung. Nicht der Schutz der Völker Europas vor den Folgen der schrankenlosen Massenzuwanderung steht im Vordergrund, sondern die Interessen der Wirtschaft. Schließlich leisteten, so Sócrates, die Zuwanderer einen "unverzichtbaren Beitrag zum Wirtschaftswachstum". Daß die Überalterung Europas langfristig aber auch durch eine geburtenfördernde Politik bekämpft werden kann, kam ihm natürlich nicht in den Sinn.

Als ein weiteres Ziel der portugiesischen Ratspräsidentschaft bezeichnete Sócrates die gemeinsame Terrorbekämpfung. Natürlich ist Europa ein potentielles Terrorziel islamischer Fundamentalisten. Aber die von Socrates angekündigte Ausarbeitung von Strategien, um die "Offenheit und Toleranz" der europäischen Gesellschaften zu gewährleisten, wird die Sicherheit der Bürger nicht wesentlich erhöhen können. Denn es fehlt vor allem die Bereitschaft, das Übel an der Wurzel zu packen und durch einen Zuwanderungsstop, insbesondere für islamische Länder, das Einsickern potentieller Attentäter zu verhindern.

Auch die geplante Schwerpunktsetzung Portugals auf Afrika wird Europa nichts bringen. Denn ein medienwirksam inszeniertes Gipfeltreffen kann die Wanderungsbewegungen gen Norden nicht aufhalten, sondern allenfalls die Eitelkeit der EU-Granden befriedigen. Und auch in diesem Punkt fehlt die Bereitschaft zu einer konsequenten Linie: Aber anstatt eine konsequente Linie zu zeigen und die Gewährung von Entwicklungshilfe an die Bereitschaft der afrikanischen Staaten zu koppeln, ihre aus der EU ausgewiesenen Bürger zurückzunehmen, soll vor allem das schlechte Gewissen mancher früherer Kolonialmächte beruhigt werden.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Zur Zeit" und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter.


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