© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/07 20. Juli 2007

Die weltweite Wanderschaft geht immer weiter
Einwanderung: Der "International Migration Outlook 2007" der OECD enthält aufschlußreiche Zahlen und weltfremde Interpretationen / Der Druck steigt
Michael Paulwitz

Der Migrationsdruck auf die entwickelten Industrieländer steigt unvermindert. Vier Millionen Menschen sind 2005 in die OECD-Länder eingewandert, zehn Prozent mehr als im Vorjahr, konstatiert der "International Migration Outlook 2007" der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Familienzusammenführung und Arbeitssuche sind die wichtigsten Auswanderungsgründe; fast die Hälfte aller Einwanderer (1,8 Millionen) haben ihre Heimat verlassen, um als Gastarbeiter zeitlich befristet im Ausland Geld zu verdienen. Hauptzielländer sind die englischsprachigen Staaten USA, Großbritannien und Kanada sowie Spanien. An Deutschland appelliert die OECD, mehr für die berufliche Integration bereits eingewanderter Ausländer zu sorgen.

Die Zahl der Asylbewerber in den OECD-Ländern ist dagegen ausweislich des Migrationsberichts, der statistische Daten der einzelnen Mitgliedstaaten komparativ auswertet, im Schnitt um 15 Prozent gesunken. Inwieweit dem eine Zunahme neuer Formen illegaler Einwanderung entspricht, wird von den herangezogenen Statistiken nicht erfaßt. Gleichwohl nimmt Deutschland mit einer absoluten Zahl von 30.000 Bewerbern für 2005 gleichauf mit Großbritannien den zweiten Platz hinter Frankreich mit 50.000 Asylgesuchen ein; es folgen Österreich, die USA und Kanada mit jeweils 20.000 bis 25.000 Asylbewerbern, wobei die Alpenrepublik relativ zur Bevölkerungszahl mit 2.700 Asylanträgen auf eine Million Einwohner sogar einen Spitzenplatz einnimmt.

Hinsichtlich der Herkunfts- und Zielländer verzeichnet der OECD-Bericht größere Verschiebungen. Für Eu­ropa hat die Osterweiterung der EU und die engere Anbindung Rumäniens und Bulgariens im Berichtsjahr 2005 zu einem verstärkten Zustrom von Osteuropäern geführt. Afrikanische Einwanderer kommen vor allem aus den Regionen diesseits der Sahara. Südeuropa, voran Spanien, ist aufgrund erleichterter Arbeitsmöglichkeiten für afrikanische Einwanderer deutlich attraktiver geworden; aber auch in den USA ist die Zahl der legal ins Land gekommenen Afrikaner 2005 um fast ein Drittel gestiegen.

Der deutlich angewachsene Auswandererstrom aus China und Indien, in dem nicht wenige der vielgesuchten "Hochqualifizierten" mitschwimmen dürften, geht dagegen an Europa fast völlig vorbei und richtet sich vor allem auf Amerika, Australien, Neuseeland und die asiatischen Industriestaaten Japan und Korea. Auch für ausländische Studenten, deren Zahl seit Beginn des Jahrtausends jährlich um rund neun Prozent zunimmt, bleiben die USA das Wunschland Nummer eins.

Zwar preist die OECD Einwanderung nicht gerade als Allheilmittel, aber doch als unerläßlich für die Lösung der anstehenden demographischen und Arbeitsmarktprobleme. Unter diesem Aspekt nimmt der Bericht insbesondere Deutschland ins Visier, das ebenso wie Japan bei Annahme künftiger Nullzuwanderung bereits im laufenden Jahrfünft mit einem absoluten Rückgang der arbeitenden Bevölkerung rechnen müsse.

Ein Schwerpunkt des diesjährigen OECD-Migrationsberichts ist die Arbeitsmarktintegration von Einwanderern und ihren Nachkommen, die in Australien, Kanada und der Schweiz immerhin mehr als dreißig Prozent und in Deutschland, Schweden, den USA, den Niederlanden, Frankreich und Großbritannien bereits zwanzig bis dreißig Prozent der 20- bis 29jährigen ausmachen. Die "mangelnde Nutzung von Fähigkeiten und Qualifikationen der Einwanderer" sei in den OECD-Staaten weit verbreitet; 25 bis 50 Prozent der Einwanderer seien im Schnitt arbeitslos oder hätten Jobs, für die sie überqualifiziert seien. Vor allem Deutschland habe da Nachholbedarf.

Der Befund stützt sich freilich mehr auf Zahlen als auf differenzierte Gesamtbetrachtung. Besonders ausländische Akademiker seien in Deutschland dreimal so häufig arbeitslos wie einheimische, wird moniert. Unberücksichtigt bleibt dabei allerdings, daß akademische Titel und Anforderungsprofile zwischen Deutschland und den Herkunftsländern kaum direkt vergleichbar sind; bereits innerhalb Europas weist der Akademikerbegriff bekanntlich bereits eine große Spannweite auf.

Einseitig betrachtet der OECD-Bericht die Frage der Arbeitsmarktintegration von Einwanderern unter dem Gesichtspunkt staatlicher Maßnahmen und Versäumnisse. Die Frage, ob wirklich jeder Einwanderer integrierbar ist oder ob nicht in manchen Fällen Rückführung von Integrationsverweigerern die bessere Lösung wäre, wird gar nicht erst erörtert. Die Rüge, daß besonders die Potentiale und Qualifikationen eingewanderter Frauen brachlägen, entspricht zwar politisch korrektem "Gender Mainstreaming", scheint aber angesichts der realen Verhältnisse in europäisch-islamischen Parallelgesellschaften eher weltfremd.

Ebenso irritierend ist die OECD-Kritik an Einschränkungen des Familiennachzugs durch mehrere Regierungen. Die Begrenzung dieser Hauptquelle für Zuwanderung sei "menschlich und ökonomisch" kontraproduktiv, weil sie frühzeitige Integration verhindere und qualifizierte Kräfte abschrecke. Daß Familienzusammenführung, nicht nur in Deutschland, bislang vor allem ein Einfallstor für unqualifizierte und nicht integrierbare Zuwanderer ist, bleibt außen vor.

Wenig überzeugend ist schließlich auch der Versuch, Bedenken wegen der neokolonialen Abwerbung von Fachkräften aus ärmeren Ländern zu zerstreuen. Nicht der "Brain drain" von Ärzten und Krankenschwestern sei schuld am medizinischen Notstand der Entwicklungsländer; auf jeden afrikanischen Arzt, der zu Hause fehle, weil er emigriert sei, kämen sieben, die gar nicht ausgebildet worden seien. Abgesehen davon, daß diese zusätzlichen Ärzte vielleicht auch emigriert wären: Daraus einen Freibrief abzuleiten, vom ohnehin knappen Personal auch noch die letzten abzuwerben, klingt eher nach Rabulistik als nach einer tragfähigen Lösung.

Der "International Migration Outlook 2007" findet sich im Internet unter www.oecd.org


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen