© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/07 20. Juli 2007

Außerparlamentarische Opposition auf türkisch
Einwanderung: Der "Nationale Integrationsplan" klammert die drängendsten Probleme in den deutschen Großstädten aus
Paul Rosen

Und wieder ein Gipfel in Berlin. Ob die Treffen zum Thema Kinderkrippen oder Integration abgehalten werden: Das Ergebnis könnte man schon vorher aufschreiben. Und wie immer sprach Kanzlerin Angela Merkel nach dem jüngsten Integrationsgipfel im Berliner Kanzleramt von einem "Meilenstein in der Geschichte der Integrationspolitik" und von einem "fast historischen Tag". Woher die CDU-Chefin ihren Optimismus nimmt, bleibt schleierhaft. Denn zum ersten Mal in der Geschichte der Berliner Themengipfel gab es einen Boykott des Treffens. Einige türkische Verbände hatten ihre Teilnahme wegen des neuen Zuwanderungsgesetzes abgesagt.

Wenn Integration bedeutet, daß Einwanderer nach Deutschland die hier vorherrschende Sprache wenigstens ansatzweise beherrschen und sich an Sitten und Gebräuche des Aufnahmelandes halten, dann kann eigentlich niemand an dem Zuwanderungsgesetz Anstoß nehmen. Das soeben von Bundestag und Bundesrat beschlossene Gesetz schreibt rudimentäre Deutschkenntnisse - etwa 200 bis 300 Wörter - vor. Außerdem dürfen nachziehende Ehegatten von Eingewanderten nicht jünger als 18 Jahre sein. Das verwundert nicht in einem Land wie der Bundesrepublik, wo es üblich ist, nicht vor Vollendung des 18. Lebensjahres in den Stand der Ehe zu treten.

Die Reaktionen der Zuwandererseite waren bezeichnend. Das Sprachrohr der türkischen Bewohner Deutschlands, die Zeitung Hürriyet, warf der Bundesregierung "schlichten Rassismus" vor. Das Zuwanderungsgesetz sei "rassistisch und diskriminierend". "Das Zuwanderungsgesetz ist eine Ausgrenzung der Türken", beklagte sich Ahmet Külahci, Korrespondent von Hürriyet. Das Gesetz widerspreche dem Grundgesetz und den Bestimmungen der Europäischen Union. Es lege außerdem "Dynamit an die Integration". Mehrere türkische Verbände, darunter die "Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion", hatten das Gipfeltreffen bei der Kanzlerin boykottiert. Sie verlangten eine Zurücknahme des Zuwanderungsgesetzes. Sonst würden sie nicht teilnehmen. Merkel konterte mit der Bemerkung: "Der Bundesregierung stellt man keine Ultimaten." Auch wer an diesem Gipfel nicht teilgenommen habe, sei zur weiteren Mitarbeit eingeladen. Mit leichtem Anflug von Verzweiflung sagte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Staatsministerin Maria Böhmer (CDU), der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, man dürfe sich bei der Integrationsarbeit "nicht nur auf die Lautstarken beschränken".

Dabei zeigte das Verhalten der türkischen Organisationen, die sich weigerten, in das Kanzleramt zu kommen, daß der Gipfel und eigentlich auch die Integrationspolitik gescheitert sind. Weder Kanzlerin noch Integrationsbeauftragte fanden deutliche Worte zu dem Vorgang, daß eine außerparlamentarische Opposition (so muß man die Verbände wohl nennen) von gewählten demokratischen Institutionen wie Bundestag und Bundesrat verlangt, Gesetzesbeschlüsse wieder rückgängig zu machen, weil sie ihnen nicht in den Kram passen. Heute ging es nur um das Nachzugsalter von bereits vielleicht im Kindesalter verheirateten Menschen (was unserer Kultur massiv widerspricht). Morgen geht es vielleicht darum, daß Migranten-Verbände verlangen, die Scharia in das deutsche Strafgesetzbuch einzufügen. Was sagt die Kanzlerin dann?

Dabei hatte sich die Bundesregierung solche Mühe gegeben, das Treffen mit mehr als 100 Teilnehmern zu einem Erfolg werden zu lassen. Es war in den letzten zwölf Monaten ein "Nationaler Integrationsplan" erstellt worden. Er enthält mehr als 400 Selbstverpflichtungen. Die Regierung verpflichtet sich zum Beispiel, mehr für die Sprachförderung von Ausländern zu tun. Außerdem sollen von Ausländern geführte Firmen mehr Ausbildungsplätze bereitstellen. Das Fernsehen soll Einwanderern mehr Sendezeit zur Übermittlung ihrer Ansichten zur Verfügung stellen.

Auf die zentralen Probleme beim Zusammenleben von Deutschen und Ausländern geht der Aktionsplan erwartungsgemäß nur am Rande ein. Man hat zwar eine Vielzahl von Detailmaßnahmen zusammengefaßt, aber nicht einmal die Problemlage in etlichen Stadtvierteln deutscher Großstädte aufgeschrieben, wo ganze Viertel wegen des zu großen Ausländeranteils bereits umgekippt sind und sich Parallelgesellschaften mit zum Teil mafiösen Strukturen gebildet haben. Auch die angekündigten Maßnahmen für bessere Schulausbildung klingen wie ein hilfloses Pfeifen im Walde. In Wirklichkeit wird ignoriert, daß in vielen Schulen in Stadtbezirken mit sehr hohem Ausländeranteil der Schulbetrieb de facto zusammengebrochen ist. Bürger wehren sich in vielen Städten gegen den Bau von Moscheen, deren Minarette zum eigentlichen Wahrzeichen der jeweiligen Kommune werden sollen.

Und die Kanzlerin spricht von einem "fast historischen Tag". In vielen bereits existierenden Moscheen sind Haßprediger aktiv, die vor ihren Zuhörern die deutsche Kultur und Lebensart verdammen. Dazu war auf dem Integrationsgipfel kein Wort zu hören.

Dabei ist die deutsche Politik gegenüber Einwanderern erheblich in Vorleistung getreten. Kinder von Ausländern erhalten im Regelfall die deutsche Staatsbürgerschaft, wenn sie hier geboren werden. Auch für Erwachsene ist es eine leichte Übung, die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen. Mit Millionen-aufwand werden Integrationsbemühungen vor allem auf kommunaler Ebene gefördert. Um negative Eindrücke in der Öffentlichkeit zu vermeiden, wurden selbst die Polizeiberichte inzwischen von ethnischen Hinweisen bereinigt. Aber Erfolge wollen sich nicht einstellen.

Dennoch war der Integrationsgipfel eine wichtige Veranstaltung. Er hat aufgezeigt, daß ein Teil der Einwanderer nicht bereit ist, die demokratischen Strukturen in Deutschland zu akzeptieren, wenn sie mit ihren traditionellen Vorstellungen nicht in Übereinstimmung zu bringen sind. Und man sieht, daß die Bundesregierung hilflos von Integration redet, obwohl die Grenzen der Integrierbarkeit längst überschritten zu sein scheinen.

Foto: Deutsche und türkische Ausgabe des Integrationsplanes: Erhebliche Vorleistungen der Politik


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