© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/07 20. Juli 2007

Umwerfende Neuigkeiten
von Thorsten Hinz

Die Neuigkeiten sind wahrhaft umwerfend: Die Schriftsteller Siegfried Lenz und Martin Walser, der Kabarettist Dieter Hildebrandt sowie die alte Speerspitze der SPD-Linken, Erhard Eppler, sind 1944, im Alter von knapp 17 Jahren, Karteileichen der NSDAP geworden - unwissentlich, wie sie glaubhaft versichern. Was höchstens eine Kurzmeldung wert ist, hat eine Diskussion ausgelöst, die wie eine Parodie auf die deutsche Vergangenheitsbewältigung wirkt. Wie jede Parodie hebt sie die unangenehmen Eigenschaften der Vorlage scharf hervor: den aggressiven Moralismus, die Lust am medialen Totschlag, das Desinteresse an den Zeitumständen. Dabei reproduzieren die Kritiker Eigenschaften, die sie an den Objekten ihrer Denunziation als typisch nazistisch herausstellen.

"Keineswegs haben wir uns seit der Nazi-Zeit geändert: Wir sind genau die geblieben. die wir schon unter dem Führer waren: Die Nation der Denunzianten!" Der Satz stammt von Rolf Hochhuth, was eine besondere Pikanterie besitzt, war er doch selber nie zimperlich mit seinen politisch-moralischen Verdammungsurteilen.

Diesmal werden die Enthüllungen folgenlos bleiben. Jedoch nicht, weil die Betrachtung und Bewertung differenzierter geworden wäre, sondern weil die Lächerlichkeit dieser Enthüllungen drei Meilen gegen den Wind stinkt. Nachdem die Vergangenheitsbewältigung hiermit ihre eigene Lächerlichkeit parodistisch bekundet hat, ist es an der Zeit, endlich die wissenschaftliche, politisch zweckfreie Beschäftigung mit dem Dritten Reich zu eröffnen.


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