© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/07 13. Juli 2007

Adieu, Kabeljau!
Fischerei: Der einst liebste Speisefisch der Deutschen stirbt aus
Michael Howanietz

Das Ende der Fische?", so war vorige Woche das ZDF-Wissenschaftsmagazin mit Joachim Bublath betitelt, das mit eindrucksvollen Bilder und Fakten den Raubbau in den arktischen Gewässern thematisierte. Was den Kabeljau (Gadus morhua) angeht, kann das Fragezeichen wohl bald weggelassen werden - denn der einst liebste Speisefisch der Deutschen steht vor seiner kommerziellen Ausrottung. Ein untrügliches Zeichen: Die Fischstäbchenproduktion von "Käpt'n Iglo" & Co. ist schon vor Jahren zwangsweise auf Seelachs oder Seehecht umgestiegen.

Der Kabeljau (vor der Geschlechtsreife und in der Ostsee Dorsch genannt) ist ein Bewohner nördlicher Gewässer. Er kann bis zu 150 Zentimeter Körperlänge und ein Lebensalter von über 30 Jahren erreichen - wenn die Fischfangindustrie ihn ließe. Der schlanke Raubfisch, der sich vor allem von Krebsen, Würmern und Weichtieren ernährt, ist selbst eine gefragte Beute. Alleine im Nordatlantik beliefen sich die Fänge des beliebten Speisefisches bis vor kurzem auf 1,5 Millionen Tonnen jährlich. Nicht immer wurde dabei auf das von der Nordsee-Konvention ursprünglich festgelegte Mindestmaß von 30 Zentimeter Länge geachtet.

Da immer mehr Jungtiere vor Erreichen der Geschlechtsreife abgefischt wurden, und sich daher ganze Generationen von Fischen nicht fortpflanzen konnten, brach ein Bestand nach dem anderen ein. So kommt es, daß etwa in Cuxhaven im Jahre 2000 nur noch 68 Tonnen Kabeljau angelandet wurden, während es 1980 noch 20.000 Tonnen waren. Nicht nur Cuxhaven, auch die einst reichen Fischerorte an der Küste Neufundlands gleichen heute einem Schiffsfriedhof, in dem rostende Wracks und ausgediente Kutter an der Kaimauer schlingern. Die Fischhallen stehen leer, die Menschen sind arbeitslos. Die maritime Grabesstimmung freilich ist hausgemacht. Seit den siebziger Jahren grasten immer größere Fischereiflotten die Meere ab. Die DDR hatte seinerzeit die weltgrößte Fangflotte. Gewaltige "volkseigene" Frosttrawler verarbeiten bis zu 100 Tonnen Seefisch am Tag.

Mit Treib-, Stell- und Schleppnetzen, Dreh- und Ringwaden, Reusen und Bundgarn stellte man dem Kabeljau nach und war damit derart "erfolgreich", daß er heute vielerorts nur noch eine Erinnerung an goldene Fischerei-Zeiten und längst versponnenes Seemannsgarn ist. Vor Kanada wurde der Kabeljau bereits vor 15 Jahren kommerziell ausgerottet. Europas Fischer versäumten es, aus diesem warnenden Beispiel zeitgerecht Schlüsse zu ziehen und die Netze für eine mehrjährige Schonfrist einzuholen. Vor Island, Grönland, Norwegen und Neufundland wurde auch fortan ungehemmt Raubbau an den schrumpfenden Schwärmen getrieben. Mit modernster Ortungstechnik rückte man den letzten größeren Beständen auf den schuppigen Leib, um den Markt auch weiterhin mit Tiefkühl- und Dörrfisch, Räucherwaren und Konserven beliefern zu können. Aus der begehrten Dorschleber wurden bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts über 60.000 Tonnen Lebertran jährlich produziert.

Und heute? Heute gelten halbherzige EU-Fangquotenreduktionen, die zu spät kommen, die nicht mehr greifen können, da nur noch eine längerfristige Nullquote die endgültige Auslöschung der einst gigantischen Schwärme verhindern könnte. Wenig überraschend war es die Großindustrie, die den ansässigen Fischern, deren Familien ihrem Gewerbe seit vielen Generationen nachgingen, die Lebensgrundlagen unter dem Kiel wegangelte. Die kleinbetrieblich strukturierte bundesdeutsche Fischfangflotte, die nur 3,4 Prozent der europäischen Gesamtfänge anlandete, wurde fast vollständig abgewrackt.

Ein Mitgrund der fischereiwirtschaftlichen Katerstimmung ist die Fahrlässigkeit der gesetzgebenden Organe. Maßnahmen wurden ungenügend durchdacht, zu spät umgesetzt und schließlich zur Undurchführbarkeit nivelliert und novelliert. Kaum waren die Kutter auf die vorgeschriebenen 35-Zentimeter-Dorsch-Netze umgerüstet, verordnete eine neue Regelung 38-Zentimeter-Netze. Gefangene Dorsche, die eine Körperlänge zwischen 35 und 38 Zentimeter aufweisen, gehen demnach wieder über Bord. Um die ihnen zugebilligte Quote dennoch ausfischen zu können, bleiben die Fischer länger auf See, um mehr erwachsene Tiere zu fangen.

Wie realitätsfern die EU-Bestimmungen aber auch sein mögen - ihre Kontrolle unterliegt den Mitgliedsstaaten. Daß diese mit sehr unterschiedlichem "Eifer" kontrollieren überrascht nicht. Der "Dumme" ist wie so oft der deutsche Fischer, dessen Regierung die Brüsseler Richtlinien umsetzt. Für den Kabeljau freilich spielt es keine Rolle, an welcher Küste der ihn an Bord hievende Kutter seinen Heimathafen hat. Hinzu kommen immer mehr "Piratenfischer" unter exotischen Flaggen, die sich nicht an das Fischereiabkommen für den Nordostatlantik halten. Laut Greenpeace-Schätzungen werden allein in der Barentssee jährlich bis zu 150.000 Tonnen Kabeljau illegal gefangen.

Die durchschnittliche Lebenserwartung des Kabeljaus liegt daher inzwischen nur noch bei 2,5 Jahren. Der Strahlenflosser reagierte allerdings binnen weniger Jahrzehnte auf die galoppierende Überfischung, indem er seine Geschlechtsreife erheblich vorverlegte. War der Hochseefisch früher erst mit einer Größe von einem Meter und in einem Alter von zehn Jahren fortpflanzungsfähig, so kann er heute bereits mit sechs Jahren bzw. 65 Zentimetern Körperlänge für Nachwuchs sorgen.

Die Ursache liegt in der Abfischung der größten, ältesten Tiere. Als Folge bleibt für die restlichen Fische der schrumpfenden Population mehr Futter übrig. Sie wachsen schneller und werden früher geschlechtsreif. Eine Erholung der Bestände vermag dieser Akt naturgefügter Selbsthilfe allerdings nicht zu bringen. Das Ende des Kabeljaus bleibt absehbar. Das letzte "Adieu!" scheint eine Frage weniger Jahre.


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