© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/07 06. Juli 2007

Siegeszeichen
Politische Zeichenlehre XXVI: Chi-Rho
Karlheinz Weissmann

Die großen Ausstellungen über Kaiser Konstantin in Trier haben weit über die Region hinaus Aufmerksamkeit erregt. Das hat nicht nur mit dem dauernden Interesse an Biographischem zu tun, sondern auch mit der Wahrnehmung einer gewissen Parallelität zwischen der spätantiken und der modernen Welt, vor allem in bezug auf Integrationsprobleme von multikulturellen und multireligiösen Systemen.

Die besondere historische Bedeutung Konstantins erklärt sich aus der Tatsache, daß er als erster christlicher Kaiser gilt. Nach der Überlieferung soll ihm am 27. Oktober 312, vor der Schlacht an der Milivischen Brücke gegen seinen Konkurrenten Maxentius, im Traum ein Chi-Rho-Zeichen erschienen sein, dazu habe er die Worte In hoc signo vinces ("In diesem Zeichen wirst du siegen") vernommen. Daraufhin ließ der Kaiser seinen Soldaten befehlen, das Chi-Rho auf ihren Rüstungen und Schilden anzubringen.

Das Chi-Rho steht für die griechischen Buchstaben, denen im lateinischen Alphabet "Ch" und "R" entsprechen; sie bilden den Anfang des Wortes christos ("Christus") und sind seit dem 4. Jahrhundert als Zeichen des christlichen Glaubens verbreitet. Konstantin hat die erwähnte Vision später durch einen Eid ausdrücklich bestätigt und mit dem Sieg seinen Übertritt zum christlichen Glauben begründet. Zu den politischen Motiven, die ihn zu diesem Schritt bewogen, dürfte gehört haben, daß die Reichseinheit immer stärker durch den ethnischen, kulturellen und religiösen Pluralismus bedroht wurde. Die Versuche, dem durch die Rückkehr zum alten Staatskult zu begegnen, waren ebenso gescheitert wie der von Konstantin favorisierte Plan, eine neue Religion einzuführen, in deren Mittelpunkt der Sonnengott Sol-Mithras stehen sollte (daher seine Festlegung des solis - "Sonntag" als wöchentlicher Feiertag).

Die praktische Umsetzung des plötzlichen Entschlusses von Konstantin zur Anbringung des Chi-Rho vor dem Kampf könnte man sich immerhin erleichtert vorstellen, wenn nur ein sowieso vorhandenes Sonnenkreuz (ein griechisches mit aufgelegtem Schrägkreuz) durch einen Bogen am oberen Ende zum Rho erweitert werden mußte. Für diesen Zusammenhang existieren allerdings keine quellenmäßigen Belege.

Die Einführung des Christentums als bevorzugter, ab 380 als Staatsreligion, im römischen Reich hatte gravierende Folgen für den bisherigen Symbolgebrauch. Die Tatsache, daß der Adler als heiliges Tier des Gottes Jupiter sehr eng mit dem alten Glauben verknüpft gewesen war, erzwang auch die - vorübergehende - Abschaffung der Legionsadler. Schon unter Konstantin war das "Labarum" als Hauptheeresfahne eingeführt worden, das vom Chi-Rho bekrönt wurde. Eusebius von Caesarea berichtet, der Kaiser habe es schon in der Schlacht an der Milvischen Brücke geführt, was aber eher unwahrscheinlich ist. Es bestand aus einer langen goldenen Lanze mit einem Querbalken, von welchem ein purpurfarbenes Tuch hing. An der Lanze waren darüber drei Bildnisse des Kaisers und seiner beiden ältesten Söhne befestigt. Am oberen Ende befand sich das Christusmonogramm, von einem Kranz umrahmt. Die Bewachung des Labarums übertrug Konstantin fünfzig der tapfersten Krieger, den labarii. Aufgrund von Münzbildern, die das Labarum zeigen, ist es allerdings auch möglich, daß das Chi-Rho auf dem Fahnentuch dargestellt gewesen sein könnte.

Das Chi-Rho hat bis heute eine erhebliche Bedeutung nicht nur als religiöses, sondern auch als politisches Zeichen. Das gilt bevorzugt für Christen in der Diaspora und unter diesen vor allem für Katholiken. Das ganze Motiv des "In diesem Zeichen siege" ist zusammen mit der Vorstellung von Fahnen, die vom Himmel fielen (etwa der Dannebrog) oder deren Bild in Visionen gesehen wurde, in der europäischen Glaubensgeschichte weit verbreitet und bis in die Neuzeit hinein auch zu politischen Zwecken umgeformt worden. Als spätes Beispiel für diese Wirkungsgeschichte wird in Trier eine prächtige Rekonstruktion des Labarums gezeigt, die Wilhelm II. im Jahr 1914 an Papst Pius X. überreichen ließ. Anlaß war der 1600. Jahrestag des Mailänder Toleranzedikts, durch das Konstantin und sein Mitkaiser Licinius das Christentum zur "erlaubten Religion" erklärt hatten.

Die JF-Serie "Politische Zeichenlehre" des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.


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