© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/07 06. Juli 2007

"Opfer des Staatsterrorismus"
Südtirol: Begnadigungen von Aktivisten nochmals aufgeschoben / Streit um Denkmal für italienische Opfer
Beatrix Madl

Ihr Treffen schürte neuerliche Hoffnungen für die Südtiroler Aktivisten der sechziger Jahre: Als sich in der vorigen Woche die Staatsoberhäupter Italiens und Österreichs, Staatspräsident Gior­gio Napolitano und Bundespräsident Heinz Fischer, in Wien wiedersahen, wurden auch die möglichen Begnadigungen der alten Kameraden "kurz angesprochen". Südtirol bezeichneten die beiden als "starkes, positives Element, das Österreich und Italien verbindet".

Die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Staaten diesseits und jenseits des Brenner seien bestens. Einigkeit herrsche in bilateralen Fragen wie dem Brennerbasistunnel ebenso wie in gemeinsamen europäischen Projekten wie der Integration der Westbalkanstaaten. An den Beziehungen sei hart gearbeitet worden.

Der 82jährige Napolitano kündigte an, "neue Gesten" der Freundschaft setzen zu wollen. Dies war der entscheidende Satz, der die Hoffnung auf Begnadigung in Südtirol anfachte. Jedoch blieb die erhoffte Geste bislang aus, die einstigen Aktivisten dürfen immer noch nicht nach Südtirol einreisen, ohne eine Verhaftung aufgrund von völkerrechtswidrigen Abwesenheitsurteilen zu riskieren.

Und dabei war wirklich unter Freunden über das heiße Eisen gesprochen worden: Bereits bei einem ersten Treffen der beiden im Juli 2006 in Florenz betonte der einstige SPÖ-Klubobmann Fischer die "freundschaftlichen Beziehungen" zum einstigen Spitzenfunktionär der Kommunistischen Partei Italiens (PCI): "Präsident Napolitano ist ein guter alter Freund von mir, seit etwa 20 Jahren." Und bei der folgenden Begegnung, als Fischer im vergangenen Oktober Napolitano in Rom besuchte, waren die beiden schon weiter gekommen, als es jetzt wieder den Anschein hat.

Damals hatte Fischer vor Medienvertretern noch mehr über das Thema Begnadigungen zu berichten als beim aktuellen Besuch Ende Juni: "Napolitano hat mir versichert, daß er Kontakte zum Justizminister aufnehmen und überprüfen wird, welche Möglichkeiten im Rahmen der italienischen Rechtsgebung bestehen: Es wäre ein Fehler, zu große Erwartungen zu haben. Napolitano hat jedoch versichert, daß er sich persönlich mit der Frage beschäftigen wird. Wir können nur hoffen, daß es in diesem Fall zu Bewegung kommt."

"Es wäre ein Fehler, zu große Erwartungen zu haben"

Einer, der den Fehler, zu große Erwartungen zu haben, sicher nicht begangen hat, ist der ehemalige Südtirol-Kämpfer Peter Kienesberger, ein österreichischer Staatsbürger, der heute in Nürnberg lebt. "Es hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder geheißen, jetzt geht es, jetzt wird ein Schlußstrich gezogen. Aber jedesmal kam etwas dazwischen. Entgegen den oft euphorischen Stellungnahmen von Medien und Politikern waren wir Betroffene immer skeptisch", erklärte er im JF-Gespräch.

Kienesberger war zusammen mit weiteren Angeklagten 1971 in Florenz in Abwesenheit wegen eines Anschlags vom 25. Juni 1967 auf der Porzescharte, einem Grenzübergang zwischen Osttirol und der italienischen Provinz Belluno, zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Auf der Porzescharte waren drei Carabinieri-Beamte und ein Alpini-Soldat durch Minen getötet worden, ein weiterer Carabiniere wurde schwer verletzt. Während des Prozesses saß er in Österreich wegen desselben Vorwurfs in Haft, von dem er und die anderen in der Alpenrepublik schließlich freigesprochen wurden.

Kienesberger und die Mitangeklagten hatten demnach keine Möglichkeit der Verteidigung in Florenz, darüber hinaus wurde ihm eigenen Angaben zufolge nie ein Urteil zugestellt. Die Südtirol-Aktivisten machen ihrerseits Geheimdienstkreise für den Anschlag auf der Porzescharte verantwortlich, was nicht aus der Luft gegriffen ist: Eine parlamentarische Untersuchungskommission kam bereits 1991 in Rom zu dem Schluß, italienische Geheimdienste hätten schon in den sechziger Jahren die Attentäterszene in Südtirol durchdrungen.

Später hätten teilweise dieselben Offiziere die sogenannte Strategie der Spannung verfolgt, wobei Mitarbeiter oder ganze Abteilungen italienischer Geheimdienste an Attentaten und Massakern von Rechtsterroristen beteiligt gewesen seien, die dann offiziell Links­terroristen zugeschrieben wurden.

Völkerrechtswidriges Abwesenheitsurteil

Diese Erkenntnisse decken sich aber keineswegs mit der allgemeinen Geschichtsauslegung in Italien. Gerade innerhalb der italienischen Rechten ist diese Sicht umstritten: Alessandro Urzì, der Südtiroler Landtagsabgeordnete der rechtsnationalen Alleanza Nazionale (AN), hatte es kürzlich in einer hitzigen Landtagsdebatte als "Unerhörtheit" bezeichnet, von "Opfern des Staatsterrorismus" zu sprechen. Die Debatte war durch den Antrag seiner Partei entfacht worden, ein Denkmal für die italienischen Opfer der Südtirol-Attentate der sechziger Jahre zu errichten.

Die italienische Rechte sieht die Attentäter ausnahmslos als Verbrecher an. Unter den deutschen Südtirolern herrscht die Meinung vor, die Aktivisten von damals hätten Menschenleben schonen wollen, die Weltöffentlichkeit durch die Sprengung etwa von Strommasten auf die fortschreitende Italienisierung auch nach Ende des Faschismus aufmerksam gemacht und damit letztlich zur Verwirklichung einer echten Autonomie beigetragen.

Die AN, die 1995 aus dem postfaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) hervorgegangen ist, legt jetzt auch noch nach: Sie will durch eine Anfrage geklärt haben, warum Südtirol zur Gedenkfeier anläßlich des 40. Jahrestags des Anschlags auf der Porzescharte keinen Kranz in die Provinz Belluno geschickt habe. Etwa 2.000 Menschen hatten am letzten Juni-Wochenende am Tatort der Opfer gedacht, darunter zahlreiche Politiker und Vertreter des Heeres.

Die Antwort auf die Frage der AN ist naheliegend: Die Teilnahme an offiziellen Trauerakten würde auch die durch ein völkerrechtswidriges Abwesenheitsurteil zustande gekommene offizielle Version von einer Verantwortung der Südtirol-Aktivisten für diese grausame Tat stützen.

Auch wenn Kienesberger und die anderen nun begnadigt würden, ändert dies nichts an  dem Zwiespalt. "Begnadigung setzt voraus, daß wir das Urteil sowohl rechtlich als auch moralisch anerkennen. Genau das tun wir aber nicht", sagt Kienesberger. Und das kann auch Südtirol nicht tun, ohne sein eigenes geschichtliches Selbstverständnis umzuwerfen.

Foto: Präsidenten Napolitano (l.) und Fischer: Möglichkeiten im Rahmen der italienischen Rechtslage suchen


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