© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/07 06. Juli 2007

Drohende Niederlage
Bundeswehr: Die anstehende Verlängerung der Afghanistan-Mandate könnte die Große Koalition in eine Krise stürzen
Paul Rosen

Der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr entwickelt sich erwartungsgemäß zu einer Belastungsprobe für die Große Koalition in Berlin. Drei Mandate müssen im Herbst vom Bundestag verlängert werden, und es mehren sich inzwischen die Einschätzungen, daß Union und SPD es nicht schaffen werden, für alle drei Mandate Mehrheiten zu bekommen. Dem Regierungsbündnis droht also die erste schwere Abstimmungslage im Parlament, was durchaus zu einer Regierungskrise ausarten könnte.

Im Bundestag muß bis Mitte Oktober das Isaf-Mandat wieder für ein Jahr verlängert werden. Innerhalb dieses Mandates hat Deutschland 3.000 Soldaten nach Afghanistan geschickt, die vor allem im Norden des Landes und in Kabul eingesetzt sind. Bei der zweiten Abstimmung geht es um den Einsatz der sechs Tornado-Aufklärungsflugzeuge, die ebenfalls im Norden (Masar-i-Scharif) stationiert sind, aber im Luftraum von ganz Afghanistan eingesetzt werden können. Der dritte Einsatz ist die Operation Enduring Freedom (OEF). Innerhalb der OEF stellt Deutschland 100 Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) für Afghanistan, aber auch Marine-Einheiten für den Einsatz am Horn von Afrika. Die SPD reibt sich besonders am Einsatz der KSK-Soldaten.

Eigentlich wollen die Sozialdemokraten (beziehungsweise eine Mehrheit der Fraktion) die deutschen Truppen, die sie nach den Anschlägen vom 11. September nach Afghanistan geschickt hatten, so schnell wie möglich wieder zurückholen. Doch die Koalitionsräson verbietet das, da die Union an dem Einsatz unbedingt festhalten will. So konzentrieren sich die Sozialdemokraten auf das umstrittene OEF-Mandat mit den KSK-Soldaten. Der Marine-Einsatz wird nicht in Frage gestellt.

Auch die Datenlösch-Aktion, der viele Berichte über KSK-Aktivitäten 2002 in Afghanistan zum Opfer gefallen sein sollen, dürfte nicht zur Vertrauensbildung beigetragen haben. Der stellvertretende Fraktionschef und frühere Verteidigungs-Staatssekretär Walter Kolbow (SPD) macht den Unmut in seiner Fraktion deutlich: Er forderte, die deutsche Beteiligung an dem OEF-Einsatz müsse "überprüft" werden, weil die Akzeptanz dafür zusehends schwinde.

Selbst in der Union ist Skepsis festzustellen

Kolbow sagte, einer der Gründe sei die steigende Zahl von afghanischen Zivilisten, die während OEF-Operationen "zu Schaden gekommen, getötet oder verletzt" worden seien. Deshalb müsse Deutschland "beurteilen, ob dieser Einsatz noch weiter sinnvoll ist". Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold forderte, "das Mandat der Realität anzupassen". Wenn man die KSK-Soldaten nicht mehr benötige, könne man statt dessen Ausbildungskräfte für die afghanische Armee und Fernmeldetechniker im Süden einsetzen.

Selbst in der Union ist Skepsis festzustellen. Für Aufsehen sorgte ein von dem CSU-Außenpolitiker Karl-Theodor zu Guttenberg zusammen mit dem SPD-Außenpolitiker Hans-Ulrich Klose verfaßter Namensartikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Beide schlagen darin vor, die bestehenden drei Mandate in einem Mandat zu verschmelzen. Die Isaf sei nicht nur für den zivilen Aufbau Afghanistans zuständig, sondern auch dazu da, "aktiv gegen Feinde des Friedens und des Wiederaufbaus" vorzugehen. "Der Umfang dieser Anforderungen rechtfertigt unseres Erachtens, daß sich Deutschland mit seinen beschränkten Ressourcen militärisch auf Isaf konzentriert und auch seine bisher für OEF angezeigten Spezialkräfte in den Dienst der Isaf stellt", schreiben die beiden Politiker.

Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) befinden sich in einem Dilemma: Wenn sie die Dinge weiter treiben lassen und die drei Mandate getrennt zur Abstimmung stellen, gehen sie das Risiko einer parlamentarischen Niederlage im Bundestag ein. Dies hätten sie vor allem Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) zu verdanken, dem die Brisanz der Mandatsverlängerung für den sozialdemokratischen Koalitionspartner längere Zeit nicht aufgefallen war. Als selbst Jung die Augen nicht mehr verschließen konnte, stellte er sich stur und wollte unbedingt drei getrennte Abstimmungen, statt frühzeitig auf eine andere Strategie umzusteigen.

Andererseits: Sollten Merkel und Steinmeier dem überforderten Jung das Heft aus der Hand nehmen (was wahrscheinlich ist), dann sind sie den Begehrlichkeiten der Alliierten ausgesetzt, die unbedingt auch im umkämpften Süden Afghanistans deutsche Truppen sehen wollen. Vor allem die Vereinigten Staaten werden nicht hinnehmen, daß Deutschland bei OEF seine KSK-Spezialeinheiten abmeldet, ohne Kompensation an anderer Stelle, das heißt im Süden des Landes zu geben.

Bei den Koalitionstruppen in Afghanistan fehlt es an allen Ecken und Enden. Der deutsche Generalmajor Bruno Kasdorf, der Stabschef bei Isaf ist, machte dies kürzlich deutlich. Die Stärke von 40.000 Soldaten, die derzeit zu Isaf gehören, sei "ganz eng genäht", sagte Kasdorf. "Einige tausend Soldaten könnten schon einen Unterschied machen." Nötig seien auch mehr Lufttransportkapazitäten im ganzen Land. Hier hat die Bundeswehr keine Reserven; Soldaten könnte sie noch mehr schicken. Was der deutschen Regierung jedoch fehlt, ist ein Afghanistan-Konzept. Statt dessen schlittert man immer tiefer in den Konflikt hinein - und in Berlin in eine hausgemachte Koalitionskrise.


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