© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/07 29. Juni 2007

Kunst ist immer
Wenn Idioten Farbfeste feiern: Johannes-Grützke-Retrospektive in Oldenburg
Matthias Schultz

Die einstigen Herren der gewesenen DDR hätten an seiner Malerei ihre hellste Freude gehabt. Nicht aber an den Inhalten. Denn Johannes Grützke ist zwar rein technisch gesehen ein Realist, ja man darf schon fast sagen ein Alter Meister, und in diesem Sinne auch ein Verwandter der Leipziger Schule und Kollegen wie Bernhard Heise. Aber seine Akteure sind alles andere als Helden der Arbeit. Wild gewordene Biedermänner und -frauen mit grotesk verzerrten Fratzen tummeln sich da auf den Leinwänden: Karikaturen der Gesellschaft.

Mitunter sind sie aber auch ganz nett anzuschauen. Denn der Akt war für den 1937 in Berlin geborenen und auch heute noch immer dort im Westteil der Stadt lebenden Grützke gerade in seinen früheren Jahren eines seiner beliebtesten Sujets. Die "Darstellung der Architektur" zum Beispiel aus dem Jahre 1974 zeigt drei entblößte Damen in pyramidaler Anordnung. Unten lagert ein auf den rechten Ellenbogen gestützter Rückenakt mit diagonal erhobenem Bein, darüber beugt sich ein Mädchen, und zum Abschluß bekrönt ein überdimensionaler, frontal gesehener Torso das Bild und streckt dem Betrachter seinen linken Fuß entgegen.

Auch "Die Befreiung der Frau durch die Frau, dargestellt durch Vera Lier" von 1972 präsentiert dem Betrachter dreimal ein und dieselbe Grazie, wie sie sich selbst die auf den Rücken gebundenen Hände befreit und anschließend das Bändchen lässig in der linken Hand hält. Doch so wirklichkeitsnah die Schilderung der Körper auch hier ausfallen, die Gesichtszüge sind stets zu einer Grimasse verzogen, zumindest jedoch zu einem leicht deformierten Antlitz. Die Akteure scheinen selbstselig und sinnestrunken durch den kleinen, von Grützke ihnen abgesteckten Kosmos zu schweben wie auf dem Bild "Unser Fortschritt ist unaufhörlich". Dann fallen zwei Herren in weißen Hemden und schwarzen Hosen im wörtlichen Sinne aus allen Wolken und freuen sich dabei noch wie die Kinder.

Ruhe vor dem Sturm hingegen verheißt die Darstellung "Vor der letzten Walpurgisnacht" aus dem Jahre 1980. Sechs splitterfasernackte Gesellen mit blank geputzten Hörnchen auf den Hirnen lagern da unter Bäumen, lasziv die Glieder ineinander verschlungen und sich gegenseitig fast liebkosend, allerdings mit bemerkenswert teilnahmsloser Mimik.

Hektisch wiederum geht es auf der ein Jahr später entstandenen Arbeit "Europa erscheint" zu. Eine Dame im weißen Kittel mit Putzeimer und Schrubber steigt durch den Dunst eine Treppe herab, während sich im Vordergrund eine Meute von glatzköpfigen Herren gegenseitig fast die Klamotten vom Leib reißt.

Grützke, der 1987 mit der Ausmalung der Rotunde in der Frankfurter Paulskirche beauftragt wurde und 1991 das mit drei Metern Höhe sowie 33 Metern Länge monumentale Gemälde "Der Zug der Volksvertreter" als sein Hauptwerk fertigstellte, macht immer viele Anspielungen. Die Kunstgeschichte ist ihm ein Hort der Befruchtung, die Großen Meister sind ihm Lehrer und Verpflichtung zugleich. Denn mit der Moderne, mit der Abstraktion kann Grützke rein gar nichts anfangen: "Ich bin jetzt soweit, daß ich laut sage: moderne Kunst ist Blödsinn. Ich habe damit nichts zu tun, ich bin kein moderner Künstler, ich bin Klassiker! Kunst ist nicht modern, sondern immer!"

Damit reicht er sich die Hände mit Zeitgenossen wie Horst Janssen, aber auch über die Jahrhunderte hinweg mit Größen wie Corinth oder noch weiter bis hin zu Caravaggio. Die überdrehten Posen der Manieristen sowie die schwelgerischen, ja fast orgiastischen Farbfeste des Barock stehen ihm näher als jede nüchterne, asketische Sezierung und Reduzierung der Wirklichkeit aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Grützke ist ein Einzelgänger, ein Unangepaßter. Im Westen stand er lange Zeit alleine auf weiter Flur, und auch heute noch sind die Preise für seine Arbeiten moderat, die meisten seiner Werke in Privatbesitz. Das ist übrigens auch der Grund, warum die Qualität der Abbildungen im Katalog leider weit hinter den strahlenden Farben der Originale, besonders beim hellen Inkarnat und den hellblauen Himmelspartien, zurückbleibt. Denn die 60 ausgewählten Arbeiten kamen erst für diese große Retrospektive zu Grützkes 70. Geburtstag in Oldenburg zusammen, und so mußte notgedrungen auf alte Abbildungen zurückgegriffen werden.

 

Die Ausstellung "Johannes Grützke: Malen ist Denken" ist noch bis zum 22. Juli im Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg, Elisabethstraße 1, täglich außer montags von 9 bis 17 Uhr, Do. bis 20 Uhr und Sa./So. ab 10 Uhr zu sehen. Der Katalog mit 124 Seiten kostet 22 Euro.

Fotos: Johannes Grützke, "Der Kaktus" (1989): Mit der Abstraktion kann er gar nichts anfangen, und doch sind seine wild gewordenen Biedermänner und -frauen alles andere als Helden der Arbeit; Johannes Grützke, "Selbst 6. 12. 2005"


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen