© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/07 29. Juni 2007

Ein Präsident in ständiger Eile
Frankreich: Teilerfolg für Sarkozy bei EU-Gipfel / Innenpolitische Reformpläne sollen noch vor der Sommerpause ins Parlament
Alain de Benoist

Noch leben die Franzosen in der V. Republik, aber fast könnte man meinen, dies sei schon die VI. Kaum war Nicolas Sarkozy in einer Präsidentschaftswahl zum neuen Staatschef gekürt worden, die die politische Landschaft in Frankreich völlig umkrempelte (Gründung von François Bayrous UDF-Nachfolger Mouvement Démocrate, Untergang der Grünen und der Kommunistischen Partei, Krise der Sozialisten, Rückfall des Front National auf den Stand von vor fünfzehn Jahren), hat er das Amt bereits mit seinem persönlichen Stil geprägt. Und der ist emphatisch "postmodern" - ein Präsident, der joggt, in seinen Pressekonferenzen "Okay" sagt und sich in Sätzen von höchstens 25 Wörtern äußert. Es ist ein Stil von außerordentlicher Vulgarität. Der Zyklus von François Mitterrand bis Jacques Chirac ist ein für allemal zu Ende.

Helfer in den Medien, Freunde in der industriellen Lobby

Sarkozy ist ein Mann in Eile. Als Mensch seines beschleunigten Zeitalters lebt der 52jährige ganz im gegenwärtigen Augenblick. Zwar blieb die angekündigte "blaue Welle" bei den Parlamentswahlen letztlich hinter den Erwartungen zurück, doch seine UMP hat eine klare absolute Mehrheit von 313 Mandaten in der 577sitzigen Nationalversammlung (JF 26/07). Mit deren Rückendeckung sowie der Kontrolle über die großen Medien dank seiner Freunde aus der militärisch-industriellen Lobby schlägt der neue Präsident ein forsches Tempo an. Schon in diesem Sommer sollen die wichtigsten Reformvorhaben angestoßen werden (neuer Universitätsstatut, Mindestversorgung bei Streiks im öffentlichen Verkehr, neue Sicherheitsgesetze, Steuerreform).

Um seine Glaubwürdigkeit zu beweisen, mußte Sarkozy beim Brüsseler EU-Gipfel wenigstens den Anschein des Erfolges erwecken. Das ist ihm gelungen, denn immerhin haben sich die 27 Mitgliedsstaaten auf die Einberufung einer Regierungskonferenz geeinigt, die einen "vereinfachten Vertrag" erstellen soll. Tatsächlich haben die EU-Granden zwar die Sarkozy-Idee akzeptiert - der Inhalt bleibt aber noch recht nebelhaft. Bekannt ist lediglich, daß der EU-Vertrag das Abstimmungsprinzip der doppelten Mehrheit beinhalten soll (55 Prozent der Mitgliedstaaten und 65 Prozent der Bevölkerung). Dieses wird 2017 den komplizierten Auszählungsmodus ersetzen, der seit dem Vertrag von Nizza in Kraft ist. Alles weitere wurde auf später vertagt. Der EU-Beitritt der Türkei? Theoretisch ist Sarkozy nach wie vor dagegen. Mit dem Ex-Sozialisten Bernard Kouchner hat er jedoch einen Mann zum Außenminister ernannt, der ebenso vehement dafür ist.

"Wie läßt sich ein gemeinsamer Nenner finden zwischen 18 Staaten, die die Verfassung bereits ratifiziert haben und es nun ablehnen, sich selber zu widersprechen, zwei Staaten, die sie abgelehnt haben und nun keinesfalls einen Rückzieher machen wollen, und sieben Staaten, die sich noch nicht geäußert, aber um so mehr darüber nachgedacht haben, denn sie teilen zumeist deren Bedenken?" grübelte kürzlich Sarkozys enger Berater Michel Barnier. Sarkozys Chance liegt momentan darin, daß er es mit einer Opposition zu tun hat, die sich noch nicht derart gefestigt hat, daß er sie mit seinem unbestreitbaren Talent nicht umstimmen könnte.

Bei den Präsidentschaftswahlen ist es ihm immerhin schon gelungen, dem Front National zwei Drittel seiner Wähler abspenstig zu machen. Sarkozy begriff, daß die bürgerliche Rechte nicht an zwei Fronten zugleich kämpfen kann, und brach mit der Taktik seines Vorgängers Jacques Chirac, sich mit einem cordon sanitaire nach rechts abzugrenzen. Indem er am 20. Juni im Zuge der Beratungen mit allen Parteivorsitzenden auch Jean-Marie Le Pen im Élysée-Palast empfing, zeigte er, daß in seinen Augen der FN eine "Partei wie alle anderen" ist.

Gleichzeitig konnte er bei den Parlamentswahlen einen Großteil der Bayrou-Wähler für die UMP gewinnen, nachdem er sich der Unterstützung der meisten Abgeordneten aus Bayrous früherer christliberaler UDF versichert hatte. Auf der Linken wiederum stiftete Sarkozy Unruhe, indem er in seine Regierung nicht nur mehr Frauen berief als je zuvor in der französischen Geschichte, sondern auch prominente Linke - Kouchner, Martin Hirsch, Eric Besson, Jean-Marie Bockel - sowie Vertreter der "sichtbaren Minderheiten".

Die heutige Linke ist nur noch eine Anti-Rechte

Die Sozialistische Partei (PS) stürzt indes jeden Tag tiefer in die Krise. An einer Erneuerung und Modernisierung der verkrusteten Parteistrukturen führt kein Weg vorbei. Wie sie zu bewerkstelligen wäre, läßt sich nicht so einfach beantworten. Nach der dritten verlorenen Präsidentschaftswahlen in Folge muß die Partei sich endgültig von ihrem veralteten Programm und längst überholten Bündnissystem trennen. Gespalten zwischen Anhängern und Gegnern der gescheiterten PS-Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal, ohne unumstrittene Führungsfigur, lädt sie den Begriff der Gerechtigkeit moralisch auf, da sie nicht mehr imstande ist, ihm politische Inhalte zu geben.

Die französische Linke hat seit dem Fall der Berliner Mauer und dem Untergang der Sowjetunion keine eigenständigen politischen Ziele mehr. Statt gegen Ausbeutung zu kämpfen, kapriziert sie sich auf "Intoleranz" und neigt dazu, die wirtschaftlichen und politischen Probleme auf "kulturelle" Faktoren zu reduzieren. Dem global entfesselten Kapitalismus weiß sie nichts entgegenzusetzen außer Jeremiaden, Wehklagen und Gestaltungsvorschlägen, während die sozioökonomischen Entwicklungen immer besorgniserregender werden. Die heutige Linke in Frankreich ist eine Anti-Rechte, die keine positive Bedeutung für den Begriff "links" mehr kennt.

Es bleibt das Problem der Repräsentation. Die Bipolarisierung als scheinbares Ergebnis der letzten Wahlen ist eine optische Täuschung, die sich aus dem reinen Mehrheitswahlrecht ergibt. Im Mai 2005 stimmten 55 Prozent der Franzosen gegen die EU-Verfassung. Das neue Parlament wird zu 95 Prozent von UMP und PS dominiert, zwei Parteien, die die Verfassung befürworten. Das "wahre Frankreich" scheint von dem "offiziellen Frankreich" erdrückt zu werden. Früher oder später wird es sich dagegen wehren.

Foto: Sarkozy (l.) mit Merkel und den Außenministern Steinmeier und Kouchner: Ein forsches Tempo


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