© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/07 29. Juni 2007

Reemtsmas Erben
Geschichtspolitik: Neue Wanderausstellung zur Wehrmachtjustiz stellt Deserteure pauschal auf eine Stufe mit Widerstandskämpfern
Felix Krautkrämer

Recht ist keine Frage der Mehrheit. Manchmal ist es nötig, gegen den Strom zu schwimmen", erläuterte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) ihre Rechtsauffassung vergangene Woche in Berlin anläßlich der Eröffnung einer neuen Wanderausstellung über die Wehrmachtjustiz. Sie ist den über 20.000 Soldaten und Zivilisten gewidmet, die zwischen 1939 und 1945 durch Wehrmachtgerichte verurteilt und hingerichtet wurden. Darunter waren mehr als 15.000 Deserteure, was bei insgesamt rund 18 Millionen im Zweiten Weltkrieg durch die Wehrmacht eingezogenen Soldaten einem Anteil von 0,1 Prozent entspricht.

Präsentiert wird die Ausstellung "'Was damals Recht war...' Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht" von der Stiftung "Denkmal für die ermordeten Juden Europas". Im Wissenschaftlichen Beirat sitzen unter anderem der Altmeister der deutschen Vergangenheitsbewältigung und ehemalige Kopf der "Roten Zelle" des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (MGFA), Manfred Messerschmidt, sowie der Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin, Wolfgang Benz.

Zum weiteren Unterstützerkreis gehört ebenfalls der linke Militärhistoriker Wolfram Wette - wehalb der Titel des Projektes auch nicht sonderlich überrascht, ist er doch an den bekannten Ausspruch "Was damals Recht war kann heute nicht Unrecht sein" des einstigen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und ehemaligen Marinerichter Hans Filbinger (CDU) angelehnt. Wette hatte sich - neben seiner Funktion als moralischer Anwalt couragierter Deserteure - in den vergangenen Jahren selbst zum Ankläger und hohen Richter über Filbinger ernannt.

Offizielle Lobesworte für das Projekt kommen neben Rita Süssmuth (CDU) und Klaus Wowereit (SPD) auch von Altbundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU), der in den Wehrmachtgerichten ein "Instrument des nationalsozialistischen Unrechtsstaates" sieht. Vor dem Hintergrund, daß es in von Weizsäckers Vita selbst Hinweise auf eine Desertion im April 1945 gibt (JF 23/07), mag diese Einschätzung verständlich sein.

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) würdigt die Ausstellung als ein "wichtiges gedenkpolitisches Zeichen", da sie über die Schicksale der 20.000 "Opfer der Wehrmachtjustiz" informiere. Unerwähnt läßt Thierse dabei, daß sich unter den "Opfern" auch verurteilte Plünderer und Vergewaltiger befanden. Diese Erkenntnis widerspräche auch seinem Engagement für die Hamburger Wehrmachtsausstellung, zu deren Kernaussagen schließlich gehörte, daß die von Soldaten der Wehrmacht verübten Verbrechen unbestraft blieben.

Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen neben einer Einführung in die Geschichte der Militärjustiz vor allem die Biographien von 14 "Opfern" (Verurteilten) und fünf "Tätern" (Richtern). An ihren Beispielen soll gezeigt werden, wie leicht man "Opfer" der Wehrmachtjustiz werden konnte und wie unbescholten die Militärjuristen in der Bundesrepublik nach 1945 Kariere machten. "Die DDR-Justiz", so wird betont, habe dagegen "Strafen gegen einzelne Wehrmacht­richter" verhängt.

Zu kritisieren ist aber vor allem die Gleichstellung der unterschiedlichen Schicksale der Verurteilten: Da ist das Beispiel des U-Boot-Kommandanten Oskar Kusch, der sich gegen den "Götzendienst" des nationalsozialistischen Systems aussprach, durch seinen Ersten Offizier denunziert und nach anschließendem Bordgerichtsverfahren 1944 hingerichtet wurde. Ihm wird der Fall Erich Batschauers gleichgestellt, der aus Angst vor seiner Bestrafung für mehrmalige "Urlaubsüberschreitung" desertierte, sich bei seinem Aufgreifen als "britischer Fliegersoldat" ausgab und schließlich im Dezember 1941 hingerichtet wurde. Oder der französische Kommunist Pierre Tourettes, der als Mitglied der Résistance an mehreren Anschlägen auf in Frankreich stationierte deutsche Soldaten beteiligt war und im April 1942 dafür erschossen wurde. Sie alle werden pauschal als "Opfer" dargestellt, die "durch Unrechtsurteile deutscher Wehrmachtgerichte ihr Leben verloren".

Ein weiteres Kapitel der Wanderausstellung, die durch Gelder der Bundesregierung, der Bundeszentrale für politische Bildung und des Hauptstadtkulturfonds finanziert wurde, widmet sich dem "Kampf um Rehabilitierung". Hier zeigt sich der eigentliche Zweck des Projekts. Nicht der historisch-wissenschaftliche Aspekt der Aufklärung steht im Vordergrund, sondern allein die Glorifizierung der Desertion. Diese soll mit den Taten des aktiven Widerstandes gleichgesetzt werden. Daher betonte Zypries in ihrer Eröffnungsrede auch die Ungerechtigkeit, daß "die wenigen Männer des 20. Juli" als Helden galten, wohingegen "die vielen, zumeist einfachen Soldaten vorbestrafte Deserteure" blieben. "Es schien fast so, als hätte man Oberst sein müssen, um Widerstand zu leisten." So frage sie sich auch, ob nicht gerade "hohe Offiziere den verbrecherischen Charakter des Krieges" hätten eher erkennen müssen und "der einfache Soldat für seinen Mut, nicht mehr mitzumachen" nicht viel mehr Anerkennung verdiene.

"Guter Namenspatron für eine Kaserne"

Nachdem der Bundestag bereits 2002 alle Urteile der Wehrmachtjustiz mit den Tatbeständen Desertion oder Feigheit pauschal aufgehoben habe, müsse man nun darüber nachdenken, ob nicht auch die "Verurteilungen wegen Kriegsverrats" insgesamt aufgehoben werden sollten, so die Bundesjustizministerin.

Nach ihrem Auftakt in der Berliner St. Johannes-Evangelist-Kirche wird die Ausstellung durch das Land ziehen. Zypries würde es begrüßen, wenn auch die Bundeswehr die Ausstellung zeigte, und beendete daher ihre Rede mit dem Vorschlag, daß vielleicht "manch mutiger Soldat, der zum Opfer der NS-Justiz wurde, auch ein guter Namenspatron für eine Kaserne" sei.

Foto: Die Ausstellung in der St. Johannes-Evangelist-Kirche in Berlin-Mitte (Auguststraße 90) ist noch bis zum 1. August zu besichtigen.


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