© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/07 29. Juni 2007

Schalmeienklänge
Große Koalition: Die SPD sucht nach Alternativen / Union unter Druck
Paul Rosen

Wenn Hubertus Heil sagt, bald werde die zweite Halbzeit der Großen Koalition angepfiffen, dann erinnert das Gehabe des SPD-Generalsekretärs mehr an das sprichwörtliche Pfeifen im Walde. Die SPD-Genossen machen auf fröhlich, aber in Wirklichkeit wollen sie so schnell wie möglich aus dem Bündnis mit der Union raus, um die wie ein Vampir an ihnen saugende Linkspartei des Oskar Lafontaine und Lothar Bisky abzuschütteln und andere Mehrheiten zu suchen. Aber ist das Land schon reif für Rot-Rot-Grün? Die SPD will von den Schalmeienklängen eines Lafontaine derzeit nichts wissen. Das sei "nicht ernst zu nehmen", beschied SPD-Chef Kurt Beck das Angebot Lafontaines, Beck mit der im Bundestag heute schon vorhandenen linken Mehrheit von SPD, Grünen und Linkspartei zum Kanzler zu wählen.

Aber Lafontaine hat eine für die SPD unangenehme Wahrheit ausgesprochen. Die zunächst schwungvoll, mit einigen Reformideen und vielen Steuererhöhungen gestartete Große Koalition ist längst im täglichen Machtkampf erstarrt. Einigungen erfolgen höchstens noch auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Und selbst der wird oft genug nicht gefunden. Derweil klettert CDU-Kanzlerin Angela Merkel mit außenpolitischen Erfolgen wie beim jüngsten EU-Gipfel auf dem Sympathietreppchen nach oben. Das Wahlvolk schaut ohnehin nicht so genau hin, was beim EU-Gipfel beschlossen wurde. Es reicht die Meldung, Merkel habe Europa gerettet.

Zurück bleibt eine fassungslose SPD, die nicht weiß, wie ihr geschieht. Die CDU läuft ihr außenpolitisch den Rang ab, obwohl das Außenministerium von den Sozialdemokraten beherrscht wird. Und die Linkspartei nimmt der SPD mit klaren Positionen für einen Mindestlohn, für einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, gegen die Rente mit 67 und gegen Hartz IV bei den Umfragen Wähleranteile ab. In Bremen gelang der Lafontaine-Truppe bereits der Einzug in die Bürgerschaft; nach Erkenntnissen der Demoskopen hat die Linkspartei auch bei den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen Ende Januar nächsten Jahres Chancen. Diese Erfolge würden zu Lasten der SPD gehen.

Es muß also aus Sicht der Sozialdemokraten etwas geschehen. Mit ihrem Vorsitzenden Beck sind sie alles andere als glücklich. Ihre einzige Reserve ist Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der nächster Kanzlerkandidat werden könnte. Doch woher die Mehrheiten nehmen? Eines steht allerdings fest: Der Vorrat an Gemeinsamkeiten mit der Linkspartei ist seit der Fusion der ostorientierten PDS mit der WASG gewachsen. Afghanistan und Mindestlohn sind zwei thematische Schwerpunkte, bei denen die große Mehrheit der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion kein Problem hätte, mit der Linkspartei eine gemeinsame Basis zu finden. Nur für eine Koalition reicht es derzeit noch nicht.

Die andere Variante, Rot-Grün und FDP, scheitert derzeit an der Westerwelle-FDP, die starke programmatische Schmerzen mit dem SPD- und Grünen-Gedankengut bekommen würde. Umgekehrt ist die Union nicht in der Lage, mit FDP und Grünen eine schwarze Ampel zu bilden. Besonders für die CSU wäre eine Koalition mit einer Partei, zu deren führenden Köpfen Renate Künast und Jürgen Trittin gehören, der Anfang vom Ende. Das mag der machtversessenen Kanzlerin Merkel gefallen, ist aber weder mit Günther Beckstein noch mit Horst Seehofer oder Erwin Huber zu machen.

So schleppt sich die Große Koalition weiter dahin. Es ist schon erstaunlich, wenn der Vizekanzler und Arbeitsminister Franz Müntefering seiner Chefin "ideologisch bestimmte Ignoranz" vorwirft. Und noch erstaunlicher ist, wenn sich SPD-Fraktionschef Peter Struck in einem Interview über Merkel drastisch äußert: "In der Frage des Mindestlohns hätte die Kanzlerin einsehen müssen, daß ein soziales Problem gelöst werden muß. Ich bin empört über die Verweigerung der CDU." Die Spitzenvertreter von Union und SPD hatten sich in einer nächtlichen Koalitionsrunde weder auf das Mindestlohnmodell der SPD noch auf den von der Union favorisierten Kombilohn verständigen können. Die meisten Fachleute favorisieren den Kombilohn, weil die staatlichen Zuschüsse für Niedriglohnempfänger nicht das Gehaltsgefüge durcheinanderbringen. Beim Mindestlohn hingegen werden Massenentlassungen befürchtet.

Etwa 70 Prozent der Bundesbürger lassen in Umfragen erkennen, daß sie für den Mindestlohn sind. Die Sozialdemokraten werden daher während des Sommers versuchen, den Druck auf die Union weiter zu erhöhen. Auch die "Friedensfront" könnte neu eröffnet werden. Im Frühherbst stehen wichtige Abstimmungen im Bundestag über die Verlängerung der Bundeswehr-Mandate in Afghanistan an. Die Linkspartei wird der SPD an dieser Stelle keine Ruhe lassen.

Das alles ist auch für die Unionsparteien und Merkel keine leichte Situation. Mit einem Partner, dem das Wasser bis zum Hals steht, regiert es sich schwer. Besonders sind damit keine Probleme wie auf dem Arbeitsmarkt zu lösen. Daher bleibt eine alte Erkenntnis: Wenn die derzeitige Mehrheit keine Probleme lösen kann, werden sich die Probleme später andere Mehrheiten suchen. Das wird dann eine linke Mehrheit sein.


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