© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/07 22. Juni 2007

Hauptsache, beide Beine auf dem Boden
Zwischen Kilt und Nadelstreifen: Warum heute alle, Männer wie Frauen, die Hosen anhaben wollen
Ellen Kositza

Sie wolle nicht neugierig sein, meinte die Klassenlehrerin beim Elterngespräch. Sie wisse ja, ich sei sicher in keiner Sekte oder so. Aber interessieren würde es sie, warum meine Töchter immer Röcke oder Kleider trügen, sommers wie winters. Nein, keinesfalls habe sie damit ein Problem, aber es falle eben jedem auf. Und dabei seien die Mädchen doch so selbstbewußte Kinder!

Die Antwort lag eigentlich auf der Hand. Genauso wie Kinder von buchabstinenten Eltern wenig lesen und Nachwuchs dauerdiätender Müttern selbst bald Kalorien zählt, so bevorzugen Töchter röcketragender Mütter eben Röcke. Sollte der Geschmack mal abweichen, so darf er das gern. Bis dahin gammeln die Hosen im Schrank, bis sie der Nächstjüngeren passen - theoretisch.

Die umgekehrte Frage ist interessanter: Warum tragen Frauen heute meistens Hosen? Eine kurzzeitige Modeerscheinung ist das nicht. Aus Darstellungen alter Völker (bei den asiatischen Skythen, aber auch Kelten und Germanen) kennen wir behoste Frauen, andererseits wurden kleidähnliche Gewänder bis in die Neuzeit in sämtlichen Kulturen von Männern getragen. Amerikanische Frauenrechtlerinnen kämpften bereits vor über 150 Jahren für das zweiröhrige Beinkleid, während andernorts Uneinigkeit darüber herrschte, ob die Frauenhose ein lohnenswertes emanzipatorisches Ziel sei. In Deutschland vermochte sich der Künstler Hugo Höppner alias Fidus mit seinen Pumphosenentwürfen nicht durchzusetzen.

Bubikopfträgerinnen in den verwegensten Salons der zwanziger Jahre trugen gelegentlich Anzüge, später machte Marlene Dietrich die weiten Hosenbeine für einen avantgardistischen Kreis populär. Bald nachdem Coco Chanel 1964 mit einer Hosenkollektion reüssierte, wurde die Frauenhose schließlich auch in Kaufhäusern Stangenware. Üblicher bleiben dennoch für lange Zeit Kleid und Rock, der neue Typus der Hosenträgerin sorgte für gesellschaftliche Debatten und wurde bisweilen zum Politikum: 1970 noch drohte Bundestagsvizepräsident Richard Jäger (CSU), er werde jede Frau des Saales verweisen, die es wage, in Hosen zur Plenarsitzung zu erscheinen. Angeblich fällt der zweiröhrige Business-Chic für Frauen noch heute mancherorts (gerüchteweise bei BMW in München sowie auf der Wall Street) zumindest unter ein informelles Verbot. Doch das sind Relikte.

Daß der Siegeszug der Frauenhose in der Alltagsgarderobe mit dem Zeitalter der Emanzipation zusammenfällt, ist offensichtlich. Doch so ganz zusammengehen will das nicht: Die leggingbewehrte Hausfrau, die konservative Pfarrersfrau im Hosenanzug, die biedere Sachbearbeiterin mit ihren modischen Cargohosen, Frau Müller (straßbesetzte Fingernägel und falsche Wimpern) von der Sparkasse in Nadelstreifenhosen, der jeansbehoste Teenie und die Rentnerin in Bundfalten - alle infiziert vom Nachklang eines lila Latzhosengeistes? Das erscheint wenig plausibel. Man darf mal nachfragen, wahllos reihum: Warum tragt ihr keine Röcke?

Zugegeben, hochsommerliche Frühlingstage sind nicht ganz der richtige Zeitpunkt für dieses Thema. Wann, wenn nicht jetzt, wird der kesse Minirock hervorgeholt oder das luftige Blümchenkleid? Sonnentage lassen die private Statistik, aufs Jahr gesehen, aber nur geringfügig kippen.

C., die Sportliche, findet es unpraktisch, unökonomisch eigentlich, weil man eine Strumpfhose dazu brauche. S. sagt, sie habe in der Pubertät mit dem Hosentragen begonnen, um sich von den Kichermädchen, den Tussis, abzusetzen. Sie habe gehofft, sich durch androgyne Garderobe die alte Kameradschaft zu Jungen zu erhalten.

T. wiederum findet die heutige Kleidermode unpassend für ihre zwar schlanke, doch sehr weibliche Figur. Was man heute an Röcken kaufen könne, sei weitgehend zugeschnitten auf knabenhafte Hüften, darunter würde ihr Becken beulengleich hervorstehen. Ein paar schöne Röcke habe sie selbstgenäht, verspüre aber eine Scheu, sie im Alltag zu tragen: "Das wirkt doch heute völlig unkonventionell." Dazu fehle ihr schlicht der Mut. Mit Rock fühle sie ihre Verletzlichkeit noch stärker betont, die Hose suggeriere wenigstens etwas Stärke.

Der Trend zum Männerrock setzt sich nicht recht durch

Bei M. ist die Sache heikel. Es sind keine paar Kilo, sondern nach heutiger Maßgabe vielleicht ein ganzer Zentner zuviel, den sie zu tragen hat. Auf dem platten Land sind solche Frauen keine Seltenheit. Von "Vollweibern" zu sprechen, wäre ein Euphemismus schon deswegen, weil ihnen die ewige Bluejeans, in die sie sich pressen, jede Würde nimmt. Bluse und langer Rock statt bedrucktem T-Shirt über blauer Wursthülle - dann könnte man von einer stattlichen Frau sprechen. M. ahnt das nicht: Jagen - ausgerechnet! - könne man sie mit Röcken. Wie unbequem! Und dazu habe sie einfach nicht die "Figur".

Das meint auch N., die modebewußte Erfolgsfrau. Nach ihrer Ansicht sind es aber die dünnen Stelzen, die viele Frauen zur kaschierenden Hose greifen lassen. Nur bei Geschäftsterminen, so N., weiche sie auf den Rock aus: "Die Herren sind dann einfach konzilianter."

Politikerinnen dagegen pflegen gerade nicht auf solche nonverbalen kommunikativen Mittel zu setzen. Die eigene Geschlechtszugehörigkeit zu unterstreichen - die Rede geht von "überkommenen Stereotypen" -, mag ihnen als unlauterer Wettbewerb erscheinen. Die meisten Rockträgerinnen dürften sich ausgerechnet bei den Grünen finden - womöglich ein Überbleibsel vom leider toten Gleis des Differenz-Feminismus. Wer politisch die Hosen anhat, drückt das auch kleidungstechnisch aus. Daher ist generell sowohl für Merkel als auch ihre Parteikolleginnen der Hosenanzug die Garderobe der Wahl. Als die FAZ kürzlich den Vorabdruck von Alice Schwarzers neuem Traktat ("Die Antwort") ankündigte, bildete sie die Kanzlerin beim Staatsbesuch in Saudi-Arabien ab. Schwarzer: "Da steht sie in ihrem festen Schuhwerk und dem schwarzen Anzug und reicht den Scheichs selbstbewußt die Hand." Recht verkniffen und mit hochgezogenen Augenbrauen (sollte man sagen: anzüglich?) grüßt Merkel milde lächelnd die Araber in ihren Wallegewändern.

Die Frage nach Rock oder Hose ist heute keine generationenspezifische. Zumindest nicht im herkömmlichen Sinne, wonach ein emanzipatorischer Gestus eben der fortschrittliche und damit ein Betätigungs- und Kommunikationsfeld vornehmlich jüngerer Frauen sei. Die meisten reinen Hosenträgerinnen - analog übrigens auch die meisten Frauen mit "praktischem" Kurzhaarschnitt - finden wir in der Altersklasse etwa ab 45. Das Argument des "Praktischen" erscheint dabei generell als ein haariges: Es überzeugt bei der Kurzhaarfrisur (die doch mindestens im Zweimonatsrhythmus einen Friseurbesuch erfordert) genausowenig wie bei der Bevorzugung der Hose. Zumal im Zeitalter der Dienstleistungsgesellschaft, wo frau längst nicht mehr röckeraffend Haus- und Hofarbeit zu erledigen hat. Ob unterm Schreibtisch die Beine ein- oder zweiröhrig langgemacht werden - das ist, salopp gesagt, Jacke wie Hose.

Im übrigen dürfte gerade jene Frauengeneration der Post-68er einen Großteil jener Hunderttausenden ausmachen, die 1989/90 den autobiographischen Bestseller "Ich wollte Hosen" der damals zwanzigjährigen Sizilianerin Lara Cardella geradezu verschlungen haben. Thema war eigentlich ein Mißbrauchsdrama - was hängenblieb, war jedoch der verhaßte Rock als Symbol der Unterdrückung. Botschaften wie diese graben sich ein, auch ohne konkret erinnert zu werden. Dazu paßt, daß der Verkauf von Damen-Hosenanzügen nach 1990 um knapp 170 Prozent (Quelle: C&A) anstieg.

Ein Ausgleich seitens der Männer findet dabei nicht wirklich statt. Seit sich der Modeschöpfer Jean Paul Gaultier vor dreißig Jahren an den Männerrock gewagt hat, wird zwar regelmäßig ein diesbezüglicher Trend herbeigeunkt, doch erscheinen jenseits des Laufstegs selbst auf großstädtischen Flaniermeilen männliche Rockträger als Kuriosa. Soweit scheint der berüchtigte Boulevard-Trend der "Metrosexualität" nicht gehen zu wollen. Exotisch wie andererseits ganz häuslich (also keineswegs sexuell obsessiv) wirkt der biedere 49jährige Ingenieur, der unter maennerrock.de.vu selbstbewußt seine von ihm als bequem gelobte Rock-Masche vorführt. Andernorts freilich wird der Rock traditionell von Männern getragen, in Südostasien der Sarong, in Griechenland und Albanien die Fustanella, in Schottland der Kilt. Die Schotten übrigens setzten 2002 im Europäischen Parlament ein gesetzliches Verbot durch, wonach der Rock nicht als genuin weibliches Kleidungsstück bezeichnet werden darf. Seither hat der Versandhandel die entsprechende Bekleidung als "Damenrock" zu führen.

Eine feministisch gestimmte Kommilitonin ("Rock tragen bedeutet, den Zugriff zu erleichtern!") erklärte mir ihre Kleidungsvorliebe einmal mit pleonastischer Logik: Sie trage Hosen, weil sie ebendiese anhabe. Für sie verdeutliche es, mit beiden Beinen auf dem Boden zu stehen. Meine Gegenargumente, der kurze Rock zeige diese bodenständigen Beine doch noch deutlicher, während der lange Rock den selbstbewußten Eindruck verschaffen könne, eben über den Dingen zu stehen, verhallten bei ihr. Wohl hatte sie das "Weibliche in ihr" gerade nicht überwunden, wie sie stets betonte. Im Gegenteil: In dieser Hinsicht hatte sie die Hosen tüchtig voll. Das wäre mal eine starke Devise jenseits modischer Obligationen: Let's rock!

Foto: Rockträgerin: Wie unkonventionell


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