© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/07 22. Juni 2007

Auf Adenauer war Verlaß
Veteranenplausch: Günter Grass, Martin Walser und Joachim Kaiser erinnern sich an die Gruppe 47
Thorsten Hinz

Es war ein kleines Veteranentreffen der Gruppe 47 knapp 60 Jahre nach ihrer Gründung und fast 40 Jahre nach ihrem Aus. Zum Wirken und Nachwirken der Gruppe mag man stehen, wie man will, aber wenn sich 240 geschichts- und erfahrungsgesättigte Lebensjahre auf der Bühne des Berliner Ensemble versammeln, stellt sich unwillkürlich Respekt ein. Aufgebracht wurden sie von drei Männern um die 80: Günter Grass, Joachim Kaiser, Martin Walser, wie Moderator Wolfgang Herles alphabetisch korrekt aufzählte. Herles tat dann das Beste, was er tun konnte: Er machte sich unsichtbar.

In der Mitte saß Grass, mit erhobenem Zeigefinger und näselnder Stimme. Der Dichterfürst hielt Hof und gab zugleich den Feuerkopf: Wie Freund Martin bloß in einer Springer-Zeitung publizieren könne! Hatte er nicht selbst vor 40 Jahren die Resolution zum Springer-Boykott formuliert? Noch immer habe der Verlag sich nicht bei der Familie des attackierten Heinrich Böll entschuldigt! Grass berauschte sich an der Schlacht von gestern und verfehlte die Gegenwart: Wie kann das weichgespülten Allerweltsblatt Die Welt ein Gegner sein, geschweige denn ein Feind?

Gewiß, eine Woche zuvor hatte Tilman Krause dort einen vergifteten Pfeil abgeschossen, hatte die Gruppe 47 - das Mitglied Nicolaus Sombart zitierend - symptomatisch für die Herrschaft der Kleinbürger ("der Zwerge") in der Bundesrepublik genannt. Grass steckte den Angriff locker weg und spottete seinerseits über "verklemmte Kleinbürger", die im Feuilleton aufgestiegen seien und sich dort als Großbürger aufspielten. Also hält auch er die Machtfrage längst für geklärt!

Walser gab sich gutmütig, etwas tüttelig, brachte Orte und Jahreszahlen durcheinander und verwechselte mehrmals den Schriftsteller Franz Joseph Schneider mit Franz Joseph Strauß - ein liebenswerter Großvater. Der Literaturkritiker Joachim Kaiser war der Grandseigneur der Runde.

Die Machtfrage hält auch Grass für längst geklärt

Ein Doppelinterview mit Grass und Walser vom Vortag in der Zeit hatte Spektakuläres erwarten lassen. Grass war über die deutsche Presse hergezogen, die sich für ungeheuer differenziert und vielfältig hält und am Ende doch nur "unisono" daherkommt in ihrer Lust am Niedermachen. Äußerungen der Fernsehkritikerin Elke Heidenreich seien "an Dummheit und Unverschämtheit nicht mehr zu übertreffen".

Walser zürnte wider den Zeitgeist, nannte Botho Strauß' Essay "Anschwellender Bocksgesang" den "gescheitesten, erleuchtetsten, am weitesten reichenden Text" eines deutschen Intellektuellen seit 1945 und Peter Handke den einzigen, der ein "realistisches Geschichtsverhältnis" zum Jugoslawien-Konflikt habe. Erfahrungen seien nicht wählbar, Meinungen schon und daher nicht wirklich ernst zu nehmen. Dies seinen flinken, aber erfahrungslosen Journalistenkritikern ins Stammbuch, um dann noch zu ätzen, "die Ära der hypermoralischen Söhne von nationalsozialistischen Vätern läuft zeitbedingt aus".

Es blieb im Berliner Ensemble beim erinnerungsseligen Plausch, was die Stimmung im ausverkauften Haus nicht drückte. Das Publikum war durchweg wohlgesonnen, augenscheinlich mit der Gruppe 47 aufgewachsen, auf jeden Fall in ihrem Geist sozialisiert worden, der Rest bestand aus Studenten. Es wurde gelacht, geklatscht, und das noch beim donnernden Bekenntnis zum gesellschaftlichen Engagement der Literatur! Das ZDF-Kulturmagazin "aspekte" sendete Ausschnitte daraus am späten Abend.

Warum wurde die Gruppe 47 zum Mythos? Joachim Kaiser sprach von der gemeinsamen Generationserfahrung, vom Krieg, vom Gefühl, noch einmal davongekommen zu sein, die zusammenschweißten. Weder Vorkriegsautoren noch Emigranten erhielten Zugang zum Kreis. Alle beseelte der Wille, aus der Zukunft etwas Besseres zu machen. Und (das sagte er zwar nicht direkt) man konnte sich auf Adenauer verlassen. Er vermittelte auch den 47ern, die gegen seine "Restauration" wetterten, das Gefühl, alles würde gut. Kaiser ließ Mitleid anklingen mit der adenauerlosen Jugend, ihrer Lethargie, Vereinzelung, Furcht. Außerdem habe die Gruppe 47 im Ausland Vertrauen zu Deutschland geschaffen.

Das war ein politisches, kein ästhetisches Argument. Hier hätte man einhaken mögen, wie bedeutsam eine Kunst ist, die das Ausland von der eigenen politischen Harmlosigkeit überzeugt. Wieviel davon weist über die Bundesrepublik hinaus? Vom Nobelpreisträger Heinrich Böll zum Beispiel ist nichts geblieben außer einigen Kurzgeschichten und Erzählungen über den Krieg sowie der Medienparabel "Die verlorene Ehre der Katharina Blum". Gab es außerhalb der Gruppe 47 tatsächlich keine relevante Literatur, wie Hans-Werner Richter 1951 dekretierte? Was ist mit Ernst von Salomons "Fragebogen"? Sorgte die Gruppe etwa selber dafür, daß jede Konkurrenz irrelevant blieb? Dazu müßten ihre Verbindungen zum Kultur- und Medienbetrieb nachgezeichnet werden.

Dennoch war die Plauderei nicht nur gemütlich, sie war auch ein wenig - anregend!

Foto: Schriftsteller Martin Walser, Günter Grass, Moderator Wolfgang Herles, Literaturkritiker Joachim Kaiser (v.l.n.r.): 240 Lebensjahre


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