© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/07 22. Juni 2007

Nachhilfestunden für Kurt Beck
Wirtschaftspolitik: Die Hayek-Gesellschaft diskutierte über die Liberalen, die Freiheit und den Staat
Klaus Peter Krause

Was Herr Beck von sich gibt, ist völlig inakzeptabel. Er gibt keinerlei Anlaß, über eine sinnvolle politische Zusammenarbeit nachzudenken", erklärte der FDP-Ehrenvorsitzende Otto Graf Lambsdorff anläßlich des Bundesparteitags seiner Partei vorige Woche in der Leipziger Volkszeitung. Die Äußerungen des SPD-Chefs "verbieten jeden Gedanken daran, sozial-liberale positive Erinnerungen in die Gegenwart übertragen zu wollen", meinte Lambsdorff in Anspielung auf mögliche Ampelkoalitionen im Bund.

Auslöser der Kontroverse war ein Beitrag von Kurt Beck in der FAZ vom 11. Juni, in welchem dieser der CDU "Neoliberalismus" vorwarf. Neoliberalismus ist laut Beck "eine Schwundform des Liberalismus, die politische Freiheit mit Privatisierung verwechselt". Doch wer über Neoliberalismus redet, sollte wissen, was das ist. Beck weiß es offensichtlich nicht. Indem er die CDU-Politik als "Neoliberalismus" hinstellt, verrät er seine Unwissenheit. Erstens mißversteht er ihn als Marktradikalismus - und mißbraucht ihn damit als polemischen Kampfbegriff. Denn Neoliberalismus ist nichts weiter als eine Neubesinnung auf das Erbe des klassischen Liberalismus, ergänzt um neue Erkenntnisse und Erfahrungen. Der Neoliberalismus lehnt den Staat nicht ab, er hält ihn für nötig, damit dieser die persönliche Freiheit und Selbstbestimmung der Bürger mittels Rahmengesetzgebung ordnend sicherstellt.

Der Staat als ein mit Vernunft abwägender Schiedsrichter

Und zweitens offenbart Beck sein Unwissen dadurch, daß er ausgerechnet der CDU vorwirft, daß sie dem Neoliberalismus anhänge. Das aber tut sie gerade nicht, sondern sie ist nicht erst in der Großen Koalition auf die sozialistischen Irrwege der SPD geraten. Daher wäre für SPD-Politiker wie Kurt Beck, aber auch manchen Unionsgranden eine Teilnahme an der jüngsten Tagung der Friedrich-A.-von-Hayek-Gesellschaft in Potsdam sicher lehrreich gewesen. Denn die liberalen Theorien des österreichischen Ökonomen und Nobelpreisträgers haben Ludwig Erhards Konzept der "Sozialen Marktwirtschaft" entscheidend beeinflußt.

"Der Staat soll sich bemühen, ein mit Vernunft abwägender Schiedsrichter zu sein. Aber es ist unsicher, ob das gelingt. Deshalb bleibt das Mißtrauen der Liberalen gegenüber staatlicher und politischer Gestaltung berechtigt", sagte der Wirtschaftswissenschaftler Hans Willgerodt in seiner Vorlesung auf der Hayek-Tagung. Trotzdem hält er eine völlig entgegengesetzte Position ebenfalls für gefährlich: Würde sich der Staat von jeder gesetzgeberischen Tätigkeit zurückziehen, dann würde dies schon aus praktischen Gründen zu unhaltbaren Zuständen führen. Auch Liberale könnten nicht bestreiten, daß es nötig sei, nach liberalen Regeln von optimaler Dauerhaftigkeit zu streben, und daß man dafür auch den Staat brauche - trotz aller seiner Unzulänglichkeiten als Gesetzgeber und Gewährleister.

Aber staatliches Handeln, so Willgerodt, könne entarten und treffe dann - im Gegensatz zum System liberaler Einigung zwischen Privaten - nur unvollkommen auf automatische Korrekturen. "Wer schlechte Ware liefert, verliert seine Kunden. Staatlichen Schlechtleistungen und staatlicher Willkür kann man allenfalls durch Abwanderung entgehen." Der Versuch, eine umfassend gewordene Staatsmacht rechtsstaatlich zu zähmen, könne allenfalls dann wirksam sein, wenn dem Staat durch rechtliche Verfahren Zuständigkeiten wirksam entzogen würden. "In jedem Fall ist das eine Machtfrage. Wie sie entschieden wird und was Richter vermögen, die von regierenden Kräften ernannt werden, ist unsicher. Deshalb liegt es nahe, die Staatstätigkeit von vornherein zu begrenzen."

Willgerodt erinnerte daran, daß liberale Lehren erheblichen Einfluß auf die Reformen in Preußen unter von Stein, von Hardenberg und Wilhelm von Humboldt gehabt haben. Doch mit der Katastrophe des Ersten Weltkriegs habe der Liberalismus für Jahrzehnte in den meisten Ländern aufgehört, eine prägende Kraft zu sein. Die einzigen praktischen Erfolge der Liberalen, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in eindrucksvoller Zahl erzielt worden seien und heute noch erzielt würden, gingen auf Politiker, Beamte und Wissenschaftler zurück, die sich persönlich um den Staat und seine Verwaltung gekümmert hätten. "Es bleibt also nichts anderes übrig, als daß sich Liberale aller Parteien wieder um den jetzigen Staat kümmern, anstatt über die Absurditäten der Politik die Hände zu ringen. Heutige Liberale sollten der Tendenz widerstehen, überall den Niedergang der Freiheit zu sehen und darüber ihre Chancen und auch heute noch möglichen praktischen Erfolge zu vergessen", so Willgerodt abschließend.

Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel, dem ebenso wie dem italienischen Ökonomieprofessor und Ex-Verteidigungsminister Antonio Martino (Forza Italia), die Hayek-Medaille verliehen wurde, erläuterte "die drei sympathischen Seiten der Globalisierung": Sie habe erstens die Idee der Markwirtschaft über den Globus getragen, zweitens die der Menschenrechte und drittens die der Demokratie. Henkel legte dar, was die Globalisierung antreibt, welches ihre Vorteile sind, welches ihre Verlierer sind (wenn sie nicht an ihr teilnehmen) und warum sie für Deutschland besonders wichtig ist.

Mehr Kinder durch tägliches Beten

Kurzweilig und temperamentvoll trug der Religionswissenschaftler Michael Blume (Universität Tübingen) vor, daß sich religiöse Menschen stärker zu Familien und Kindern bekennen als ihre säkularen Zeitgenossen. Demographen registrierten bei religiösen Menschen seit Jahrzehnten eine höhere Kinderzahl als bei nichtreligiösen - gerade in reichen und freien Gesellschaften. Für die hohen Kinderzahlen in zum Beispiel jüdisch-orthodoxen, christlich-amischen oder hutterischen Gemeinschaften gebe es keine Erklärung, die ohne religiöse Faktoren auskomme. Familien, in denen tägliches Beten üblich sei, hätten mehr Kinder als Familien, wo nie gebetet werde. Vielleicht also, fragte Blume, brauche Europa gar keine Familienpolitik, sondern nur eine konservative Rückbesinnung. Es lohne ein näherer Blick auf die Unterschiede der demographischen Performance "und also auf den religiösen Wettbewerb".

Beim abschließenden Symposium ging es um die jüngste "Reform" im Gesundheitswesen. Jens Spahn, CDU-Obmann im Gesundheitsausschuß des Bundestages, verteidigte die Reform, zog damit aber in der Diskussion alle Pfeile auf sich. Kein Wunder, denn dieses "Wettbewerbsstärkungsgesetz" ist ein riesiger Etikettenschwindel, wie Volker J. Geers, ehemaliger Präsident der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer (ASU), die Diskussion auf den Punkt brachte.

Die Friedrich-A.-von-Hayek-Gesellschaft im Internet: www.hayek.de

Foto: SPD-Chef Kurt Beck: Der Neoliberalismus lehnt den Staat nicht ab


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