© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/07 22. Juni 2007

BRIEF AUS BRÜSSEL
Europäische Bürgertäuschung
Andreas Mölzer

Das EU-Establishment in Brüssel, aber auch die politische Nomenklatura in fast allen Staatskanzleien der Mitgliedsländer, sie wollen es unbedingt: die Einführung der auf Eis gelegten EU-Verfassung. Was sind da schon negative Referenden in Frankreich und in den Niederlanden, was sind die Befürchtungen der Bürger, daß hier der europäische Superstaat in Form eines ausufernden Brüsseler Zentralismus errichtet wird, was sind schon die Vorbehalte von prominenten Verfassungsrechtlern und die Ablehnung der Mitgliedsstaaten wie Großbritannien oder Polen, wenn es darum geht, den wesentlichen Schritt hin zur endgültigen Realisierung des EU-Diktats zu schaffen?

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat es sich offenbar zum primären Ziel der deutschen Ratspräsidentschaft gemacht, diese längst als gescheitert zu betrachtende EU-Verfassung doch noch Realität werden zu lassen. Und sei es nur in abgespeckter Form mittels einer "Roadmap" bis hin zu den EU-Wahlen 2009. Es soll nicht mehr Verfassung heißen, es soll keine EU-Fahne, keine EU-Hymne, keine große Symbolik geben, nur damit niemand auf die Idee kommt, hier würde ein Superstaat kreiert. Ja, möglicherweise wird man sogar auf den EU-Präsidenten und den EU-Außenminister verzichten, wenn dies auch für den einen oder anderen - von Frau Merkel selbst bis hin zum Außenbeauftragten Javier Solana - schmerzhaft sein mag, da ein solch hohes Amt doch die Krönung der politischen Karriere wäre. Auf all dies ist man bereit zu verzichten, wenn es nur dabei bleibt, daß ein derartiger Vertrag die geplanten künftigen Abstimmungsmodalitäten beinhaltet.

Darum geht es nämlich im Kern, daß die großen EU-Mitgliedsstaaten sich nicht mehr durch die Interessen der kleineren Länder oder durch - aus ihrer Sicht - querulierende Völker- und Bürgergruppen in der Ausübung ihrer zentralistischen Macht stören lassen müssen. Im geplanten zweiteiligen Entscheidungsverfahren haben die Großen dann jede Möglichkeit, ihre Interessen durchzusetzen. Da gibt es dann in Wahrheit kein Veto mehr und kein Querlegen. Man mag von den Lech und Jarosław Kaczyński und von der gegenwärtigen polnischen Politik halten, was man will. Sie mögen polnische Chauvinisten sein und unverbesserliche Deutschenhasser. Sollte aber am Widerstand der Brüder Kaczyński Angela Merkels Plan zum Durchpeitschen der EU-Verfassung in Form einer Mogelpackung doch noch scheitern, so wäre man den polnischen Zwillingen wirklich Dank schuldig. Mögen ihre Motive noch so eigenbrötlerisch und polnisch-egoistisch sein: Wenn sie zeigen, daß sie sich eine zentralistische, bürgerferne Verfassung für ihr Land nicht diktieren lassen, sind sie in diesem Moment die Speerspitze jenes Europas, das die Fehlentwicklungen der real existierenden Europäischen Union und der Brüsseler Nomenklatura nicht länger hinnehmen will.

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy, der in den vergangenen Wahlkämpfen immer groß national getönt hat, dürfte sehr schnell auf die Linie der EU-Nomenklatura einschwenken. Die Kaczyńskis hingegen könnten sich den erforderlichen Starrsinn bewahrt haben, um hier wirklich den Widerstand zu führen. Bei aller gegenwärtig so häufigen und so modischen Polen-Schelte scheint sich da in Warschau doch wirklich so etwas wie ein Hoffnungsschimmer abzuzeichnen.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Zur Zeit" und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter.


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