© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/07 22. Juni 2007

Der totale Ausverkauf
Irak: Das geplante Öl- und Gasgesetz stößt auf heftigen Widerstand im Parlament / Zehnfache Renditeaussichten für die Ölmultis
Günther Deschner

Entführungen, Selbstmordattentate, Bomben - sogar in Moscheen: Zwischen Bagdad und Basra glaubt nur noch jeder fünfte Bürger des Irak, daß sich die Sicherheitslage bald bessert. Armut, Arbeitslosigkeit, kaputte Infrastruktur: Es kann nur dann wieder aufwärtsgehen, wenn Geld ins Land kommt - und dort bleibt. An das geplante irakische Öl- und Gasgesetz knüpfen sich deswegen viele Hoffnungen. Es soll "zur wirtschaftlichen Stabilisierung des Landes" die Rohstofförderung im Irak endlich auf eine feste Basis stellen, dringend benötigte Investitionen für Instandsetzung und Modernisierung der inzwischen maroden Förder- und Transporteinrichtungen der irakischen Ölindustrie ermöglichen. Derzeit liegt die jährliche Fördermenge sogar noch unter dem Niveau von 2003.

Förderkosten liegen nur bei maximal drei Dollar je Faß

Wie groß die Ölreserven des Irak sind, ist umstritten; aber bisher ist erst ein Teil des Landes erkundet. Die Angaben über die tatsächlichen Reserven gehen deswegen weit auseinander. Einig sind sich die Experten nur darüber, daß zwei Drittel der weltweiten Ölreserven im Mittleren Osten liegen. Saudi-Arabien soll nach gängiger Auffassung noch über 260 Milliarden Tonnen, Iran über 130 und der Irak über mindestens 115 Milliarden Tonnen verfügen. Das Baker-Institut der Universität Houston (Texas) geht sogar von 300 Milliarden Tonnen Reserven im Irak aus. Zu ähnlichen Schätzungen kamen französische und russische Experten bereits vor dem Irak-Krieg 2003. Die Restlebensdauer der irakischen Reserven wird demnach auf 140 Jahre oder länger geschätzt - das ist mehr als in anderen Ölstaaten.

Die irakische Regierung des Schiiten Dschawad al-Maliki hat die Verabschiedung des Gesetzes zu einem der wichtigsten Ziele ihrer Amtszeit erklärt. Auch Washington macht Druck: Die US-Regierung zählt das neue nationale Ölgesetz für den Irak zu den Vorhaben, die Bagdad schnellstens umsetzen soll. Der Gesetzestext liegt dem Parlament inzwischen vor und soll noch im Herbst verabschiedet werden. Doch ein allgemeines Mißtrauen gegen die Besatzungsmächte und ihre womöglich finsteren Pläne und die widerstreitenden Interessen der drei großen Machtblöcke im Irak, der Schiiten, Sunniten und Kurden, haben zu einem Fraktionenstreit geführt, der seit Wochen an Schärfe zunimmt und der das Ölgesetz verzögern und auch scheitern lassen kann.

Seit 2003 - dem Jahr, in dem die USA und ihre Alliierten das Regime von Saddam Hussein stürzten - haben Kriegskritiker immer wieder betont, eines der wichtigsten Kriegsziele der hinter George W. Bush stehenden Kreise sei der Zugriff auf die Ölreserven des Irak und das "Abschöpfen" der damit erzielbaren Profite. Und die können exorbitant groß sein, denn im Irak findet sich das Öl mitunter dicht unter der Erdoberfläche, wodurch die Förderkosten bei maximal drei Dollar je Faß liegen. Ein Experte des (nach 2003 ausgebooteten) französischen Total-Fina-Elf-Konzerns drückt das scherzhaft so aus: "Kirkuk-light: Da steckt man einen langen Nagel in den Boden, und schon fördert man das hochwertigste Öl der Welt."

Um den Vorwurf des "Ausverkaufs der nationalen Reichtümer" ans Ausland zu unterlaufen, hat die Regierung Maliki im Gesetzentwurf die alten, noch produzierenden 27 Ölfelder von den neuen Regeln ausgenommen. Sie sollen von einer noch zu gründenden Iraq National Oil Company (INOC) betrieben werden. Das Recht zur Ausbeutung der 65 anderen, neuen und bislang unangetasteten Ölfelder hingegen soll an internationale Konzerne verkauft werden. Die anglo-amerikanischen Ölmultis wie Exxon und BP rechnen sich dabei die besten Chancen aus.

Fördergenehmigungen sind Lizenz zum Gelddrucken

Doch gerade hier setzen die Kritiker an. Sie monieren, das geplante Ölgesetz räume den ausländischen Konzernen viel zu viel Macht ein. Bei den jetzigen Marktpreisen zwischen 60 und 70 Dollar pro Faß (159 Liter) kämen neue Fördergenehmigungen im Irak einer Lizenz zum Gelddrucken gleich, zumal die Konzerne - wie im Gesetzesentwurf vorgesehen - von ihren Gewinnen so gut wie nichts an den Irak abzugeben bräuchten: Über 30 Jahre hinweg sollen sie 70 Prozent ihrer Produktion für sich behalten können, weitere 20 Prozent werden steuerfrei gestellt.

Andere Ölstaaten der Region wie Saudi-Arabien, Kuwait oder Iran haben ihre Ölindustrie nationalisiert und überlassen den internationalen Ölmultis keine Anteile an der Produktion. Andere Ölländer sprechen den Produzenten etwa 20 Prozent am Förderanteil zu. Während international Renditen zwischen zwölf und 15 Prozent die Regel sind, werden die Renditeaussichten der Ölmultis im Irak auf das Zehnfache geschätzt.

Der einflußreiche Parlamentarier Mohammed al-Daini (Irakische Front für Nationalen Dialog) ist der Wortführer der sunnitischen Gruppierungen. Er wirft Maliki vor, "Ergänzungen" des Gesetzentwurfs mit US-"Beratern" klammheimlich ausgekungelt zu haben. In seiner Argumentation zieht er den roten Faden von US-Vizepräsident Dick Cheneys "Energy task force" von 2001, auf deren "Wunschliste" bereits die Privatisierung des irakischen Erdöls stand, über eine Arbeitsgruppe des US-Außenministeriums zum Thema "Das irakische Erdöl" bis hin zur nachdrücklichen Seelenmassage Malikis durch den Ex-US-Botschafter Zalmay Khalizad.

Selbst an die "Großtat" von Saddam Hussein wird erinnert, der 1972 - damals erst Vizepräsident unter al-Bakr - den Coup der Verstaatlichung des irakischen Öls inszenierte. Mit Rückendeckung aus Moskau und Paris wagte er, so sein Biograph Con Coughlin, das "wohl einzige wahrhaft revolutionäre Ereignis in der Geschichte des Irak", die Verstaatlichung der Iraq Petroleum Company, eines Konsortiums angelsächsischer Konzerne. "Mit einem Schlag wurde aus dem armen Irak eines der reichsten Länder der Welt", sagte Daini und zitierte sogar Saddam, der damals triumphierte: "Unser Besitz gehört wieder uns."

Eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung und wirtschaftlichen Ausbeutung der irakischen Produktion soll jetzt - 35 Jahre später - den "Großen Vier" zugedacht werden: Exxon-Mobil, BP, Shell und ChevronTexaco. Für sie will die irakische Regierung eine Produktionsbeteiligung einführen, ein "Production Sharing Agreement". Zwar ist geplant, daß der irakische Staat Eigentümer der Ölfelder bleibt und an Gewinnen beteiligt wird. Die Kontrolle über die Produktion, die Preise und damit auch über die Gewinnspannen soll den "Big Four" zugesprochen werden - zunächst für die nächsten 30 Jahre. Und jedes neu entdeckte Ölfeld wäre eine lukrative Gelegenheit für diese Konzerne, zumal das neue Gesetz vorsieht, daß die "Großen Vier" ihre Vertreter in den irakischen Öl- und Gasrat entsenden und damit Einfluß auf die Vergabe neuer Förderrechte nehmen.

US-Interesse an Schwächung des Erdölkartells Opec

Im Vergleich zu den meisten anderen ölproduzierenden Staaten des Mittleren Ostens wäre eine solche Vereinbarung einmalig. Dort befinden sich nicht nur die Quellen in der Hand des Staates, er behält auch die Macht über Produktion, Investitionen und Preise. Beobachter sehen in dieser weitgehenden Übertragung der Produktions- und Vermarktungsrechte an die angelsächsischen Ölkonzerne eine Schwächung des Erdölkartells Opec, das dadurch seine Fähigkeit, die Ölpreise durch Änderungen der Produktionsmenge zu steuern, zum Teil einbüßen würde. Eine gezielte Schwächung vor allem des politisch schwer berechenbaren und manchmal eigenwillig agierenden Opec-Mitglieds Saudi-Arabiens dürfte ein willkommener Nebeneffekt sein.

Da neben den Sunniten auch die Kurden weite Teile des neuen Ölgesetzes ablehnen, ist seine Verabschiedung im Parlament mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit allerdings noch keineswegs sicher. Denn der kurdische Block verfügt im Parlament über 58 von 275 Sitzen, die sunnitische Minderheit über 44 Sitze. Und ohne die Erdölmilliarden ist die kurdische Autonomie (oder gar Unabhängigkeit) praktisch unfinanzierbar.

Fotos: Britische Soldaten vor Raffinerie im Südirak: 30 Jahre lang 70 Prozent der Erdölproduktion abgeben; Premier al-Maliki


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