© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/07 15. Juni 2007

Die Lehren von Heiligendamm
G8-Gipfel: Eine Globalisierung allein nach westlichem Schema wird es nicht geben / Achterrunden überholt
Wilhelm Hanke

Die G8-Staaten haben auf ihrem Gipfel in Heiligendamm verkündet, bis 2050 eine Reduzierung globalen CO2-Emissionen um mindestens die Hälfte "anzustreben". Dieses Klimaschutzziel solle gemeinsam in einem UN-Prozeß umgesetzt werden. Ob dies "die wichtigste Entscheidung für die nächsten zwei Jahre" ist (Bundeskanzlerin Angela Merkel) oder ob das "Ergebnis überaus mager" war (Bund für Umwelt und Naturschutz), darüber läßt sich trefflich streiten.

Beim Thema der hochspekulativen Hedge-Fonds (JF 9/07) konnten sich die acht Staats- und Regierungschefs nicht einmal auf eine Vereinbarung über einen Verhaltenskodex einigen. Auf Druck von US-Präsident George W. Bush und Premierminister Tony Blair heißt es in der G8-Erklärung lediglich, die Hedge-Fonds hätten "zusammen mit weitentwickelten Finanzverfahren und -produkten wie Kreditderivaten erheblich zur Effizienz des Finanzsystems beigetragen". Angesichts des starken Wachstums der Hedge-Fonds-Industrie und der zunehmenden Komplexität ihrer Handelsinstrumente müsse man aber "wachsam sein". Deshalb sollte die Hedge-Fonds-Industrie "bestehende Vorgaben für eine solide Praxis für Hedge-Fonds-Manager überprüfen und verbessern". Die Finanzaufsichtsbehörden sollten "die Entwicklungen beobachten und miteinander zusammenarbeiten" - was sonst?

Brasilien, China und Indien immer noch ausgeschlossen

Auch die zahlreich angereisten Gegendemonstranten konnten die Bastille des Welt-Kapitalismus in Heiligendamm nicht erstürmen. Dennoch steht er in seiner jetzigen G8-Form vor dem Fall: bedrängt von außen, den an den Katzentisch verbannten aufstrebenden Staaten der Dritten Welt, bedroht von innen, den meuternden Insassen. Allein die BRIC-Gruppe (Brasilien, Rußland, Indien, China) repräsentiert mehr Weltwirtschaft als Stammmitglieder wie Frankreich, Italien oder Kanada. Blairs Idee, die drei noch Außenstehenden einfach hereinzunehmen (plus Südafrika und Mexiko), schüttet den Graben nicht zu, sondern macht ihn unüberbrückbar. Die Metternich-Attitüde, den "Mob" da draußen zu ignorieren, signalisiert die pure Hilflosigkeit. Denn man kann keinen Staat gegen das Volk regieren und sollte wissen, wo so was endet.

Es war der schwerste Fehler der Nachkriegszeit, der westlichen Finanzoligarchie das 1944 beschlossene völkerrechtliche Agreement von Bretton Woods (freier Welthandel bei festen Wechselkursen zum Dollar, Verpflichtung der US-Zentralbank, Dollar in Gold einzulösen) zu opfern. Dieses Währungssystem hielt formal bis 1973. Bis dahin bescherte es der Weltwirtschaft ein goldenes Zeitalter der Expansion und Stabilität, indem es die Interessen der Ersten und der Dritten Welt, der nationalen Regierungen und der vernetzten internationalen Finanzwelt auf kunstvolle Weise austariert und über Weltbank, Währungsfonds (IWF) und Entwicklungshilfe in ein annäherndes Gleichgewicht der divergierenden Kräfte gebracht hatte.

Erst der fortgesetzte Mißbrauch dieser Ordnung durch die hegemonialen USA (Finanzierung des Vietnamkrieges durch Dollar-Drucken, Kündigung der Golddeckung 1971) und der unangebrachte Hochmut der sich überschätzenden EWG-Europäer, befeuert von dem deutschen "Weltökonomen" Helmut Schmidt, hoben es aus den Angeln. Doch der Bretton-Woods-Ersatz - die 1975 in Schloß Rambouillet begründeten Kungelrunden eines weder von der Uno noch der völkerrechtlichen Praxis legitimierten Weltdirektoriats der "Großen Sechs", inzwischen G8 - war von Beginn an überfordert.

Die G7 verhinderten weder das Opec-Debakel noch die Schuldenkrisen (Lateinamerika, Osteuropa, Fernost) oder die Crashs an den Finanzmärkten (1987, 2001). Jetzt steht die westliche Staatenwelt vor der Schicksalsfrage, ob sie als Folge des nächsten "Schwarzen Freitags" auf eine geordnete Weltwirtschaft verzichten soll oder weiterhin im Dauerclinch mit dem globalisierungsgeschädigten Volk die Demokratie zu Hause nachhaltig gefährden soll.

Die Wahl sollte nicht schwerfallen: Die moderne Weltwirtschaft ist weder "global" (nur ein anderes Wort für einseitigen US-Amerikanismus und die Interessen des Finanzkapitals) noch durch ein Kartell der westlichen Staatengemeinschaft zu steuern. Diese Uhr ist abgelaufen. Doch auch der Rückweg zu einer von allen Welthandelsnationen getragenen und insoweit wahrhaft globalen Ordnung ist schwierig.

Fairen Interessenausgleich mit freien Märkten verbinden

Zwar sind die dafür nach 1945 geschaffenen Uno-Organe - der Wirtschafts- und Sozialrat (Ecosoc) mit seinen Regionalablegern, die Weltbank, der IWF, die Welthandelsorganisation (WTO) - noch immer intakt. Doch zu melden haben diese Institutionen nicht viel. Die Staaten hinter ihnen pochen auf ihre nationalen Rechte und Ausnahmesituationen, sie stehen zudem unter härtestem innenpolitischen Druck. Die Weltwirtschaft soll jedem von ihnen nützen, auch wenn sie anderen schadet. Ein Interessenausgleich kann nur gelingen, wenn - wie nach 1945 - die Interessen der Staaten mit dem Prinzip weltweit freier Märkte wieder in Einklang gebracht werden können.

Das aber verlangt mehr als nationales Palavern über noch so wichtige Themen wie das Weltklima und die Menschenrechte auf höchster Regierungsebene. Den G8 (oder demnächst mehr) fehlte schon immer ein qualifizierter Arbeitsstab (Sekretariat), um ein weltwirtschaftliches Ordnungskonzept auszuarbeiten und den Staats- und Regierungschefs zur Annahme vorzulegen. Auch Bretton Woods war aus solchen Plänen entstanden, den entscheidenden Anstoß hatten die Vorgaben des Briten John Maynard Keynes gegeben, obwohl sich schließlich dessen US-Gegenspieler Harry Dexter White durchsetzte. Den heutigen Gipfelpartnern fehlt die Einsicht in die besondere Situation ihrer nicht-westlichen Partner. Entweder sie geben ein solches "Toleranzedikt" in Auftrag und legen es dem nächsten Weltwirtschaftsgipfel unter dem Vorsitz der Uno allen Nationen (nicht nur einigen!) zur Beschlußfassung vor. Oder die Weltwirtschaft zerfällt wie nach 1929 in kaum friedlich koexistierende Währungs- und Handelsblöcke. Doch selbst mit diesen könnte die neue Ordnung leben, wenn die Zusammenarbeit der Blöcke auf Uno-Ebene verbindlich festgelegt und sichergestellt werden kann.

Der Welt-Fortschritt nach Schema F der westlichen Globalisierung war schon immer bare Illusion und ein nur mühsam kaschiertes Herrschaftsinstrument. Eine Weltwirtschaft, die aus unterschiedlich entwickelten und strukturierten Volkswirtschaften besteht und eine Vielheit von Staaten und Kulturen umfaßt, braucht ihre Binnenluft zum Atmen und zur Weiterentwicklung. Keine Industrienation des Westens (weder Großbritannien, die USA noch Deutschland, JF 16/07) hat darauf verzichtet und ist mit Freihandel und freiem Kapitalverkehr durchgestartet. Auch die Gralshüter von Demokratie und Marktwirtschaft mußten dafür erst reif werden.

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel lehrt seit 1967 Währungspolitik an der Universität Frankfurt am Main. Er war unter Karl Schiller Chef der deutschen Bank- und Versicherungsaufsicht.


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