© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/07 15. Juni 2007

Auf dem Weg in die linke Republik
Parteiensystem: Die Fusion zwischen Linkspartei und WASG könnte die politische Landschaft in Deutschland nachhaltig verändern
Michael Paulwitz

Das kommunistische Gespenst geht wieder um. Platzend vor Selbstbewußtsein wollen die von der SED über die PDS zur Linkspartei mutierten Erben der DDR-Genossen von einst mit der West-Protestpartei WASG am Samstag zur deutschlandweiten Partei "Die Linke" fusionieren. Hohe Zustimmungs- und Umfragewerte und der erste gemeinsame West-Wahlerfolg der "Linken" in Bremen lassen die SPD vor der Erosion ihres Partei- und Wählervolkes zittern, während die Union die Einkreisung durch eine strukturelle linke Mehrheit fürchten muß, die sie auf Dauer die Regierungsfähigkeit auf Bundesebene kosten könnte.

Oskar Lafontaine, prominentestes Aushängeschild der kleineren WASG, beherrscht die Schlagzeilen. Daß er und PDS-Veteran Lothar Bisky am 16. Juni auf dem Gründungsparteitag der "Linken" in Berlin zu gleichberechtigten Vorsitzenden gewählt werden, dürfte nur noch Formsache sein.

"Von den Menschen gewollt"

WASG-Gründer Klaus Ernst, der in der neuen Partei einen Stellvertreterposten anstrebt, feiert die kurze Geschichte der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit als "einzigartige Erfolgsstory": Die "Linke" werde "von den Menschen gewollt". In den östlichen Bundesländern begrüßt fast jeder zweite Wähler und sogar ein Drittel der Unionsanhänger die Fusion.

Die Nervosität bei der SPD wächst; schließlich dürften die Stimmengewinne der in Gewerkschaftskreisen populären "Linken" weiterhin vor allem auf ihre Kosten gehen. Ausgerechnet das SPD-nahe Umfrageinstitut Forsa sieht die Linkspartei bei Rekordwerten von zwölf Prozent. Die Reaktion der Sozialdemokraten ähnelt der Strategie, mit der sie ein Vierteljahrhundert zuvor die Herausforderung durch die Grünen meistern wollte: kategorische Ablehnung von Regierungsbündnissen bei gleichzeitiger Übernahme von Themen des Konkurrenten, um diesen "überflüssig" zu machen. Damals entfernte sich die SPD von ihren Wurzeln als Arbeiterpartei und wurde pazifistischer, feministischer und ökologischer. Die Grünen wurde sie dennoch nicht los, vielmehr kehrte sie mit ihrer Hilfe nach sechzehn Jahren ins Kanzleramt zurück.

Kein Wunder also, daß Lafontaine frohlockt, wenn die SPD auf zentrale Themen der Linkspartei - Mindestlohn, Rücknahme der Anhebung des Rentenalters - einsteigt und Parteichef Kurt Beck mit sozialistischer Rhetorik die "neoliberale Ideologie" der CDU attackiert. Die Linksverschiebung in der sozialdemokratischen Optik bucht Lafontaine als erste Erfolge auf das Konto seiner "Linken".

Dabei soll es nicht bleiben. "Wir wollen regieren", sagt Ernst, und Lafontaine will nicht nur 2009 noch einmal Ministerpräsident im Saarland werden, sondern schließt auch - anders als umgekehrt - eine Zusammenarbeit mit Beck und Franz Müntefering nicht aus. Allerdings will man nicht bloß koalieren, "um dabeizusein", sondern erst wenn die SPD konkrete Forderungen wie Mindestlohn, längeres Arbeitslosengeld und Afghanistan-Abzug erfüllt. Bis zur übernächsten Bundestagswahl 2013, spekulieren die Strategen der "Linken", könnte die SPD "auf den Pfad der Tugend zurückkehren".

Unwahrscheinlich, daß die Sozialdemokraten der Versuchung auf Dauer widerstehen. Allein persönliche Animositäten gegenüber ihrem abtrünnigen Ex-Vorsitzenden halten die SPD heute noch davon ab, die strukturelle rot-rot-grüne Mehrheit in eine Koalition unter ihrer Führung umzugießen. Der "Lafontaine-Komplex", den Bisky der SPD bescheinigt, wird wohl ähnlich kurzlebig sein wie die "Dachlatten", mit denen Hessens Ministerpräsident Holger Börner einst die Grünen von der Baustelle jagen wollte, bevor er selbst die erste rot-grüne Koalition schmiedete.

Die Erosion ist bereits im Gange. Klaus Wowereit und die hessische Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti bringen sich unter wohlwollender Medienbegleitung als neue Hoffnungsträger in Stellung. Kommt es zu spektakulären Übertritten wie dem angekündigten Wechsel niedersächsischer Juso-Funktionäre zur "Linken", wird das den Druck weiter erhöhen. Im Ergebnis könnte Lafontaine, wie die FAZ kommentierte, der SPD von außen aufzwingen, was er als Vorsitzender nicht durchsetzen konnte: Ein Dauerabonnement auf die Kanzlerschaft an der Spitze eines linken Drei-Parteien-Lagers mit institutionalisierter Mehrheit.

Die Union hat nichts entgegenzusetzen

Die Union hat dem in ihrem derzeitigen Zustand nichts entgegenzusetzen. Seit 1990 gibt es keine strukturelle Mehrheit der bürgerlichen Parteien im Bund mehr. Klassisch eingekreist, bleibt der Union, von vagen "Jamaika"-Planspielen abgesehen, die Große Koalition als einzige Option. In dieses Abseits hat die Union sich seit den achtziger Jahren selbst manövriert, indem sie sich kurzfristig und ohne Rücksicht auf spätere Koalitionsoptionen lästige Stimmenkonkurrenz auf der Rechten im Schulterschluß mit der Linken per "Faschismuskeule" vom Hals schaffte. Der Preis dafür war die Aufgabe des Antitotalitarismus, der linken und rechten Extremisten gleichermaßen galt, und die Übernahme der "antifaschistischen" Ideologie, mit der die delegitimierte Staatspartei SED als "PDS" ihren Hals gerettet hat.

Dem neuen Linksbündnis, das seine sozialistischen Gleichheitsvisionen über eine massive Ausweitung der steuerfinanzierten Umverteilung verwirklichen will, ließen sich dabei keineswegs nur inhaltliche Irrtümer entgegenhalten. Man denke nur an die linksextremen Verstrickungen des überalterten Kaders mit seinem hohen Anteil von Stasi-Veteranen und abgehalfterten West-Radikalinskis, die bis in die autonome Szene und den RAF-Terrorismus reichen. Der zum "Antifaschismus" übergelaufenen CDU fehlt allerdings zur offensiven Entzauberung der "Linken" Mut und Glaubwürdigkeit. Statt dessen wird sie sich wohl oder übel dem Linksruck anschließen, um überhaupt noch mitspielen zu dürfen. Der Vormarsch der "Linken" und das Versagen der Union könnte aus Deutschland eine ganz andere Republik machen.

Foto: Parteiführer Gregor Gysi, Oskar Lafontaine, Lothar Bisky und Klaus Ernst (v.l.n.r.): In den Umfragen hoch im Kurs


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