© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/07 08. Juni 2007

Zwischen Buddha und Moderne
Mario Bortolottos Studie über Dunkles und Unbewußtes bei Richard Wagner
Harald Harzheim

Ursprünglich hatte der Matthes & Seitz-Verlag die Übersetzung von Mario Bortolottos Buch "Wagner l'oscuro" unter dem Titel "Wagner der Dunkle" angekündigt. Jetzt erschien es als "Wagner. Das Dunkle", was nicht dem Originaltitel, dafür um so mehr dem Inhalt entspricht. Denn die Studie des italienischen Musikphilosophen hat weniger die Person Richard Wagners (1813-1883) als dessen Werk im Fokus.

Ausgangspunkt für Bortolotto ist Nietzsches Traktat "Der Fall Wagner" (1888), für ihn eine Exegese auf bislang unerreichtem Niveau. Mag er Friedrich Nietzsche auch vielerlei Anregung verdanken, seine Schlußfolgerung gehen oft in die gegenteilige Richtung. So versteht Bortolotto den "Parsifal" nicht als christlich-nihilistisch, sondern als gnostisch. Die Gnosis mit ihrem bösen Gott, so fährt der Autor fort, sei der einzige Monotheismus, der Nietzsches vernichtender Kritik an einem moralischen Schöpfer standhalte. Der Gott des "Parsifal" wäre somit eine erfolgreiche Erwiderung auf den Tod des christlichen Gottes. Auch "Tristan und Isolde" mit der nachtverliebten Umwertung von Hell und Dunkel erfährt eine gnostische Deutung. Erst das Verschwinden der Welt in der finsteren Nacht ermöglicht das befreite (Liebes-)Leben.

Daß der mittlere Wagner über Arthur Schopenhauer die indische Philosophie kennen und schätzen lernte, ist hinreichend bekannt. Bortolotto enttarnt nun anhand einer exakten Schopenhauer-Exegese viele unbekannte buddhistische Verweise in Wagners Musikdramen: So erklärt sich Wotans Gelassenheit im "Ring des Nibelungen" in Anbetracht der drohenden Götterdämmerung durch Schopenhauers Identifikation "des Buddha mit dem Wodan". Gleiches gilt für dessen etymologische Ableitung des Namens "Johannes" von "Yogin" - was im Gebet an Johannes den Täufer (in den "Meistersingern von Nürnberg") einen hinduistischen Unterton erkennen läßt. A propos Meistersinger: Selbst der bodenständige Hans Sachs entpuppt sich für Bortolotto als "Herr der Dunkelheit", der eine privilegierte Beziehung zu Wahn und Unbewußtem pflegt.

Trotz der Originalität dieser Analysen bringen sie kaum neue Erkenntnisse. Denn der "buddhistische Wagner" ist, gelinde gesagt, seit langem bekannt. So sehr, daß Christoph Schlingensief 2004 in Bayreuth den "Parsifal" inszenierte, um den verehrten Komponisten endlich "von Buddha zu befreien" - jener Schlingensief, der als einer der ersten Regisseure das Komödiantische der wagnerischen Tragödien erkannte und auf die Bühne brachte. Ihm folgend, arbeitet Bortolotto die reichhaltigen Brechungen im Dunkel-Image des Bayreuther Meisters heraus. Leben und Werk des Komponisten weisen nämlich eine Vielzahl aristophanischer Elemente auf. Zumal der Künstler Wagner fast nichts dogmatisch genommen, sondern nur als Bestandteil eines großen künstlerischen Spiels verstanden habe. Nietzsche zählte dazu auch die "national-deutsche" Haltung des Musikers und fragte sich, ob der "Parsifal" überhaupt ernst gemeint und nicht ein heimliches Satyrspiel bzw. eine Operette sei.

Anders als der Großteil textkritischer Wagner-Literatur umfaßt die Interpretation des Musikphilosophen Borlotto auch die Partitur. In ihr findet er thematische Querverweise, Doppeldeutigkeiten und Subtexte in einem Maße wie später nur noch im Werk von James Joyce. Ohnehin gehört Wagner für ihn ins 20. Jahrhundert. Aus Angst vor der anbrechenden Moderne sei der Komponist aus seiner musikalischen Mitte herausgetreten und habe dadurch "immer schwindelerregendere Ausblicke" eröffnet. Seine Wirkungsgeschichte umfaßt Künstler wie Schönberg, Strawinsky oder Strauss sowie die Philosophen Adorno, Bloch, Bataille oder Lévi-Strauss.

Leider führt Bortolotto seine Thesen oft genug nicht sorgfältig aus, beläßt es bei bloßer Assoziation. Außerdem ist der Transfer Wagners in die Avantgarde des 20. Jahrhunderts keineswegs neu. Schon Ernst Bloch hatte in seinem Essay "Rettung Wagners durch surrealistische Kolportage" (1929) Ähnliches angedeutet. Vielmehr wäre es an der Zeit, nach dessen Bedeutung für das 21. Jahrhundert zu fragen. Erste Antworten finden sich in den Werken von Syberberg, Schlingensief und Meese (JF 16/06). Es wird noch eine Weile dauern, bis die Wagner-Literatur diese Vorstöße aufgearbeitet hat.

Mario Bortolotto: Wagner. Das Dunkle. Aus dem Italienischen von Nikolaus de Palézieux, Matthes & Seitz, Berlin 2007, gebunden, 458 Seiten 24,80 Euro

Foto: Pierre-Auguste Renoir, Porträt des Richard Wagner, (Öl auf Leinwand, 1882): Mit einer Neuinszenierung der "Meistersinger von Nürnberg" warten in diesem Jahr die Bayreuther Festspiele auf. Die 29jährige Katharina Wagner, Urenkelin des Festspielgründers, wird mit dieser Inszenierung ihr Regie-Debüt in Bayreuth geben. Zuvor hatte sie bereits unter anderem in Würzburg den "Fliegenden Holländer" (2002) und in Budapest "Lohengrin" (2004) inszeniert. Ihre "Meistersinger" (Dirigent: Sebastian Weigle) eröffnen am 25. Juli die diesjährigen Festspiele.


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