© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/07 01. Juni 2007

Komischer Held der technischen Welt
Die Fische bleiben von der Sintflut verschont: Zum 125. Geburtstag des Sprachzweiflers Karl Valentin
Günter Zehm

Mögen täten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut." In diesem berühmten Ausspruch Karl Valentins liegt der ganze Mann beschlossen. Daß einer etwas "dürfen darf", machte ihn höchst mißtrauisch. Aber auch das bloße Mögen erfüllte ihn schon mit Vorsicht. Wie komme ich dazu, eine Sache spontan zu mögen? Ich muß doch erst einmal etwas wollen, bevor ich es mögen kann. Oder "darf" ich es etwa mögen, brauch' ich es gar nicht erst zu wollen? Dann trau' ich mich lieber nicht, nicht weil ich feige bin, sondern weil ich frei bleiben will.

"Die Fische bleiben von der Sintflut verschont." Das ist auch so ein fundamentaler Valentin-Satz. Da kommt also einer und ersäuft alles Leben auf Erden, bis auf einige wenige Musterexemplare für die Arche Noah. Was für ein Machtbeweis! Aber daß alles Leben aus dem Meer kommt und daß sich dort unendlich viele, durchaus entwicklungsträchtige Formen tummeln, außer den Fischen auch die Wale, die Seeschlangen und die Wasserflöhe - das hat er nicht bedacht, und so bleibt seine ganze Strafaktion nichts als ein Theaterbluff. Für mich aber gilt: "Kiemen ausbilden! Walspeck ansetzen!"

Freilich, mit dem Speckansetzen wollte es bei Valentin nie klappen. Er blieb sein Leben lang eine superdürre Spukgestalt, auch in seinen besten Jahren, wenn es für ihn überhaupt je beste Jahre gegeben hat. Immer wenn es bei ihm entschieden aufwärts zu gehen begann, kam etwas dazwischen, der Krieg, die Inflation, der sich abrupt wandelnde Publikumsgeschmack. Außerdem hatte er, wie es so schön heißt, zwei linke Hände und stolperte dauernd über die eigenen Füße.

Karl Valentin (recte: Ludwig Valentin Fey aus München-Au) wurde früh schon recht bekannt und amüsierte auf breiter Front, aber ein Publikumsrenner im modernen Sinne war er nie, dazu fehlte ihm fast alles: die Gutgelauntheit, das Mit-der-Wurst-nach-der-Speckseite-Werfen, das beflissene Eingehen auf den jeweiligen Zeitgeschmack, Seine lieben Münchner, die ihm heute so lauthals huldigen, haben ihm zu Lebzeiten und auch noch lange danach niemals richtig über den Weg getraut. Er gehörte immer nur halb dazu, schon von seiner Herkunft her.

Seine Mutter kam aus dem sächsischen Genienest Zittau, und nach Zittau zog er sich zurück, nachdem er das väterliche Erbe, die bis dato gut laufende Speditionsfirma Falk & Fey, bankrott gewirtschaftet hatte. In Zittau entdeckte er seine Liebe zum langjährigen Dienstmädchen der Familie Fey, Gisela Royes, die später seine Frau wurde, und seine Bestimmung zum Komödianten und Volkskomiker, welcher ein eher zufällig zusammengekommenes Biergartenpublikum durch seine (wirkliche und gespielte) Unbeholfenheit und Querdenkerei zum Lachen bringen kann.

Viel brachten die ersten Auftritte in Zittau und Umgebung und später (ab 1908) wieder in München nicht ein. Valentin brauchte, um voll wirksam zu werden, einen Widerpart für seine Sprach- und Stolperspiele, eine Spielpartnerin von praktischstem Realismus, und er fand sie in der Schauspielerin Elisabeth Wellano, die sich nun Liesl Karlstadt nannte und zu seinem wahren Alter ego wurde, Echowand und Punchingball, Provokation und Auswein-ecke. Von da ab ging es bergauf.

Liesl Karlstadt und Karl Valentin - völlig zu Recht werden beide heute stets in einem Atem genannt, stehen beide innig vereint auf ihrem Brunnen am Viktualienmarkt. Ohne Valentin wäre Liesl Karlstadt nichts, ohne Karlstadt wäre Valentin allenfalls die Hälfte seiner selbst. Sie allein brachte die Geduld und das echte Interesse für seine oft ja geradezu mörderischen Sprachexkurse und Grammatikbeschwerden auf, sie allein nahm die abgründigen Ängste ernst, die in ihm wohnten. Ihre ganzen eigenen Ersparnisse hat sie 1934/35 in jenes Panoptikum gesteckt, das Valentin unbedingt haben wollte, obwohl der Mißerfolg absehbar war und alles Geld vertan.

Wahrscheinlich wußte nur Liesl Karlstadt, daß Valentin nie (bloß) spielte, wenn er spielte, daß all die absurden Pointen und mimetischen Exzesse direkter Ausdruck seiner innersten Natur waren und ihm existentiell zusetzten. Trotzdem blieb sie stets professionell und gegebenenfalls gnadenlos. Sie wußte: Valentins Beschwerden waren, von außen betrachtet, ungemein komisch und geldbringend, und sie waren um so komischer, je mehr er litt.

Für Politik interessierte er sich nicht die Bohne

Ein Sketch macht das unübersehbar deutlich: Valentin hält eine Leiter, auf der Karlstadt hinaufsteigt, und sie tritt dabei aus Versehen auf seinen Daumen. Valentin schreit vor Schmerz laut auf, und Karlstadt fragt verwundert hinab (wobei sie auf dem Daumen stehen bleibt), weshalb er denn so schreie. Valentin deutet wild auf seinen gepreßten Daumen, will erklären, will den Daumen benennen, aber "mir fällt der Name net ein". Und Karlstadt bleibt stehen. Weiß sie tatsächlich nicht, was passiert? Oder denkt sie sich vielleicht boshaft-geschäftstüchtig: "Soll er doch weiter so komisch schreien, wenn ihm nicht einmal der Name einfällt."

Leiter, Technik, technische Katastrophe per Benennungsschwierigkeit - das war die Welt des großen Komikers Karl Valentin und seiner Liesl Karlstadt. Mit ihr ist er unsterblich geworden. Für Politik interessierten sie sich nicht die Bohne, die diesbezüglichen dramatischen Geschehnisse in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts perlten an ihnen ab wie Regen von der Lotusblume. Aber alle technischen Neuerungen und Veränderungen der Zeit und alle damit verbundenen Sprachneuerungen machten sie zum intensiven Gegenstand ihrer komischen Aufführungen: das Telefon, das Fahrrad, das Radio, das Flugzeug... Oh, was für ernsthafte Scherze hätten sie mit Computer, Fernsehen und Internet getrieben!

Valentin starb im kalten Februar 1948 auf genau ihm angemessene Weise. Er suchte, nach einem Auftritt im Theater am Penny-Markt, verzweifelt nach seinen irgendwo liegengelassenen Manschettenknöpfen, der Pförtner schloß ihn nichtsahnend ein, und Valentin mußte die ganze Nacht in den eiskalten, fensterlosen Räumen zubringen. Telefon gab es nicht. Sein durch den Hungerwinter extrem geschwächter Körper reagierte mit Lungenentzündung, an der der große Spaßzweifler wenige Tage später, just am Rosenmontag, verstarb.

Als am 4. Juni 1982 das Gedenken an seinen hundersten Geburtstag anstand, rührte sich kaum etwas. Jetzt, zum hundertfünfundzwanzigsten, ist das anders, große Feiern sind anberaumt, es gibt sogar eine Sonderbriefmarke. Valentin hätte diese Zeitverschiebung ungemein gefallen. Er hielt nichts von runden Daten, nichts von Dingen, die ohne Rest und Komma aufgehen. Für ihn war die Welt grundsätzlich aus dem Lot, und jeder Versuch, sie ins Lot zu bringen, machte die Dinge und die Sprache nur noch verworrener. Aus dieser Kalamität komische Funken zu schlagen, ist sein Ruhm.

Karl Valentin: Die gesammelten Kurz- und Spielfilme. Edition auf sechs DVDs, Münchener Filmverlag, München 2001; ders.: Das akustische Gesamtwerk. Acht CDs mit 160 Seiten Text. Münchner Label Trikont, München 2003

Fotos: Karl Valentin bereitet sich auf einen Auftritt vor: "Mögen täten wir schon wollen ...", Valentin mit seiner Bühnen- und Filmpartnerin Liesl Karlstadt


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