© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/07 01. Juni 2007

CD: Klassik
Zwei Trios
Jens Knorr

Es gibt keine Worte, um den Kummer auszudrücken, der mein ganzes Wesen peinigt. Möge unsere Liebe zu ihm und unser Glaube an sein geniales Talent und seine phänomenale Liebe zu der Kunst, der er sein wunderbares Leben gewidmet hat - der Musik, seinem ewigen Andenken dienen. Es gibt Iwan Iwanowitsch nicht mehr. Das ist sehr schwer zu überstehen."

Als Iwan Iwanowitsch Sollertinski am 11. Februar 1944 einundvierzigjährig starb, arbeitete Dmitri Schostakowitsch - der zitierte Brief an Glikman datiert vom 13. Februar - an seinem zweiten Trio für Klavier, Violine und Violoncello. Ein halbes Jahr später wurde das Klaviertrio, dem Andenken Sollertinskis gewidmet, in Leningrad uraufgeführt, es war das erste Konzert nach Beendigung der Blockade.

Der Sprach-, Kunst-, Theater-, Musikwissenschaftler Sollertinski war eine, vielleicht sogar die prägende Gestalt des russisch-sowjetischen Musiklebens der zwanziger und dreißiger Jahre. Bisher sind nur wenige seiner etwa 250 Arbeiten - Bücher, Aufsätze, Kritiken, Werkeinführungen - in deutscher Sprache zugänglich. Schostakowitsch hatte dem Freund und standhaften Propagandisten seiner Musik viel zu verdanken. Die Ehrung verstorbener Großer der Musik durch ein Klaviertrio ist eine alte Tradition russischer Komponisten.

Jeder Interpret steht vor der Aufgabe, die Intentionen des Ausdrucks, die im Notentext beschlossen liegen, herauszulesen und zum Klingen zu bringen, gleichgültig, ob er selbst darum weiß. Wer aber um die Hintergründe des zweiten Klaviertrios nicht weiß, wird sie aus der Einspielung durch das Arcadia-Trio kaum heraushören können (Bella Musica BM 31.2415).

Pianist Rainer Gepp, Violinist Gorjan Kosuta und Cellist Milos Mlejnik schlossen sich 1978 zum Arcadia-Trio zusammen. Neben dem Standardrepertoire führen sie zu Unrecht vergessene Werke des 19. Jahrhunderts sowie zeitgenössische Werke auf, einige brachten sie zur Uraufführung. Man kennt sich seit dem gemeinsamen Studium an der Kölner Musikhochschule, kommt zum gemeinsamen Musizieren zusammen, wenn man auch nicht in jedem Takt zusammenbleibt, und dokumentiert das Sitzungsergebnis - warum eigentlich? Sie spielen die kontrastierenden vier Sätze nicht eben abwechslungsreich, mit immer biederem anstatt tragischem Humor und ohne jene sarkastischen Gesten, die auf Gestalt und Wesen Sollertinskis hinzudeuten scheinen, wie sie Schostakowitsch in den vielen Anekdoten mit dem Freund als Protagonisten überliefert hat, der Kulturbürokraten und überhaupt alle Blödiane zum Narren halten konnte wie kein anderer. Da mögen sie die jüdischen Themen noch so sentimental-folkloristisch nehmen und sich noch so ruppigen Striches befleißigen - um das Begräbnis aller Hoffnungen darzustellen, die sich mit der Erscheinung Sollertinski verbanden, ohne an diese gebunden zu sein, hätte es intonationssicherer, vor allem aber risikofreudiger Spieler bedurft.

Einen plausibleren Zugang hat sich das Arcadia-Trio zu dem 1980 komponierten Klaviertrio op. 50 von Krzysztof Meyer verschafft, einer rechtschaffen epigonalen Komposition des Penderecki-Schülers, Schostakowitsch-Biographen und jetzigen Kompositionsprofessors an der Kölner Musikhochschule, das vielerlei indirekte und direkte Bezüge auf das Komponieren des Bewunderten und Verehrten aufweist, von dem eröffnenden Gewalt-Thema an bis hin zur schließenden Passacaglia. Solcherart spielbare, anhörbare Musik firmiert gemeinhin unter dem Label "Gemäßigte Moderne".

Die CD bietet also Gelegenheit, einen Vertreter der gemäßigten Moderne kennenzulernen; die Gelegenheit, das zweite Klaviertrio von Schostakowitsch neu kennenzulernen, hat das Arcadia-Trio indessen verstreichen lassen.


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