© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/07 01. Juni 2007

Spießrutenlaufen, der Volkssport des Sommers
Funktionswandel der Öffentlichkeit: Mit faschistoiden Methoden will ein Landesminister "Nazi-Unterstützer" brandmarken
Doris Neujahr

Der Innenminister von Schleswig-Holstein, Ralf Stegner (SPD), lehnt ein Verbot der NPD ab bzw. hält es für unrealistisch. Statt sich nun auf die politische Auseinandersetzung mit ihr zu konzentrieren, wie sich das in einer parlamentarischen Demokratie und einem Rechtsstaat gehört, ruft er dazu auf, "gemeinsam nach Lösungen zu suchen, um die Unterstützer der Nazis öffentlich machen zu können. Diese müßten öffentlich gebrandmarkt werden."

Stegners Äußerungen sind alarmierend. Denn "Nazi" ist längst ein Sammelbegriff für alle, denen Multikulti, Geschichtsklitterei und Sozialmißbrauch nicht passen. Und der Kreis potentieller Delinquenten wird noch größer, weil nicht nur die Nazis selber, sondern auch ihre "Unterstützer" an den Pranger gestellt werden sollen. Ein Synonym für "öffentlich machen" lautet "Öffentlichkeit herstellen". Unter Öffentlichkeit wird das komplexe System gesellschaftlicher Kommunikations-, Informations- und Beteiligungsverhältnisse verstanden, das die Entstehung und fortwährende Dynamik einer öffentlichen Meinung ermöglicht. Nur so ist Demokratie möglich. Jürgen Habermas hat sich in seinem Standardwerk "Strukturwandel der Öffentlichkeit" klug dazu geäußert. Er definiert Öffentlichkeit als ein "Netz für die Kommunikation von Inhalten und Stellungnahmen".

Der promovierte Politikwissenschaftler Stegner (seine Dissertation heißt "Theatralische Politik made in USA") proklamiert nun einen radikalen Funktionswandel. Öffentlichkeit ist für ihn der Ort der Brandmarkung, des Spießrutenlaufs, eine Art Straflager. Die Brandmarkung ist eine mittelalterliche Strafe, mit der Übeltäter für alle Zeiten als solche kenntlich gemacht werden sollten. Mit dem Judenstern und der Kennzeichnung von Deutschen in den Vertreibungsgebieten erlebte das Verfahren im 20. Jahrhundert eine schauerliche Renaissance.

In einer funktionierenden Demokratie würde Stegners Chef, Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU), aufgeschreckt von einer wachsamen Presse, seinen Minister scharf ins Gebet nehmen, um festzustellen, ob die Brutalisierung seiner Sprache etwa einer Brutalisierung seines Denkens entspricht. Die Öffentlichkeit hat Anspruch darauf zu erfahren, wie Stegner sich die Brandmarkung vorstellt. Sollen die Namen, Konterfeis und Adressen der NPD-"Unterstützer" plakatiert, gesendet, ins Internet gestellt werden, damit die Sturmabteilung der Antifa weiß, wo und bei wem sie zulangen muß?

Unabhängig davon, ob die Äußerung des Ministers einen Anfangsverdacht nach Paragraph 240 (Nötigung), Paragraph 241 (Bedrohung) und Paragraph 241 a (politische Verdächtigung) rechtfertigt, bekommt man den Eindruck, daß faschistoide Denk- und Verhaltensweisen gerade bei denen ausgeprägt sind, die sich am lautesten dem Antifaschismus verschrieben haben.


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