© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/07 01. Juni 2007

Pankraz,
Heiligendamm und das Nullsummenspiel

In der nächsten Woche rollt das wohl größte Nullereignis ab, das es je in der Geschichte gegeben hat: der sogenannte "G8-Gipfel von Heiligendamm". Es wird auf diesem Politikertreffen der allerhöchsten Ränge nichts entschieden, kann nichts entschieden werden. Es gibt auch keine stolze Demonstration der Macht und der Herrlichkeit wie etwa bei den Kaisertreffen in früheren Zeiten, im Gegenteil, die Macht verschanzt sich hinter meterhohen, extra für diesen "Gipfel" errichteten Zäunen. Zehntausende von Polizisten, aber auch Militäreinheiten und sogar Kriegsschiffe sorgen dafür, daß die Mächtigen vom Volk abgeschirmt bleiben.

Es werden nur einige karge, höchst langweilige Bilder nach draußen dringen, wie man sie ohnehin jeden Tag im Fernsehen geboten bekommt. Das "eigentliche" Ereignis liegt nicht im Gipfel selbst, sondern in den angekündigten Demonstrationen gegen ihn, welche freilich ebenfalls keine neuen Botschaften transportieren werden, lediglich Phrasen, die jedermann längst kennt, nebst angezündeten Mülltonnen und eingeschlagenen Schaufensterscheiben. Auch der mediale Ertrag der Gegendemos liegt glatt bei Null, es sei denn, es kommt zu unerhörten Gewaltakten, was aber angeblich niemand will und wovor alle Angst haben.

Wie konnte es geschehen, daß eine solche Ansammlung von Nullität zustande kam und schon im Vorfeld wochenlang die Kanäle füllte, gar verstopfte? Der Vorgang ist, um es anspruchsvoll zu sagen, paradigmatisch, geradezu ein Lehrstück neuzeitlichen Politik- und Medienbetriebs. Die zuständige Formel lautet: Unpräzise Absprache zwischen Entscheidungsträgern plus Wichtigtuerei, geteilt durch gekränkte Eitelkeit hoch zwei, ergibt Null. In mathematischen Symbolen: (UA + W) : E2 = 0.

Begonnen hatte alles im Jahre 1975 auf Schloß Rambouillet bei Paris, wo sich die Häupter von Frankreich, Amerika, Japan, Deutschland, Großbritannien und Italien eher zufällig zu einem gemütlichen kleinen Kamingespräch zusammenfanden, nachdem sie in Paris eine hochoffizielle Konferenz über die Folgen der damals von Saudi-Arabien losgetretenen Ölkrise absolviert hatten. Man sprach über dies und das, und der deutsche Kanzler Helmut Schmidt regte am Ende an, man solle sich doch künftig regelmäßig in dieser intimen Art zusammenfinden, um sich ganz informell auszutauschen, besonders über Finanzfragen.

Gesagt, getan. Man folgte der Anregung, und die ersten der Treffen, zum Beispiel in Köln, München, zweimal in Bonn, verliefen denn auch wie geplant, also informell, ohne Riesenstab, von den Medien mit nur mäßiger Aufmerksamkeit bedacht. Bald aber sprach man in Medienkreisen vom "Gipfel der großen Sechs", andere moderne Industriemächte wurden aufmerksam und fühlten sich zurückgesetzt, Kanada wollte dazugehören, auch Spanien, das sich gerade aus der Franco-Diktatur gelöst hatte. Es gab Streit und damit erste volle Medienpräsenz.

Kanada wurde schließlich aufgenommen, doch nicht (bis heute nicht) Spanien. Nun war es also eine "G7-Gruppe", und nach dem Zusammenbruch des Ostblocks kam das neue Rußland hinzu, und die Gruppe wuchs auf acht. Kleine Länder, die viel "moderner" waren als Rußland und ein viel höheres Pro-Kopf-Einkommen erzielten, Österreich, Südkorea, die Schweiz, wandten sich verächtlich ab oder organisierten ihrerseits "Davoser Gespräche". Auch die großen Schwellenländer wie Brasilien oder Indien hielten eigene informelle Gipfel ab.

Den Kohl fett machten aber nicht eifersüchtige Staatshäupter, sondern die Häupter sogenannter Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs), die sich zum Anwalt der Armen in aller Welt erklärt haben und in deren Namen gegen die "Globalisierung" wettern. Diese NGOs (Attac, Greenpeace, GerechtigkeitJetzt, Dissent!Netzwerk u.a.) organisierten nicht nur "Alternativgipfel", sondern entfalteten alsbald eine schier wahnwitzige Hetze gegen die jeweiligen G8-Gipfel, wodurch alle möglichen Terrorgruppen wie die Bären vom Honigtopf angezogen wurden.

Die G8-Gipfel tauchten in totale mediale Aufmerksamkeit, ohne jedoch im mindesten an politischem Gewicht zuzunehmen. Ihre informelle Intimität ging perdu, aber entschieden, gar global entschieden, wird auf ihnen trotzdem nichts, im Gegensatz zu den großen Tagungen der WHO oder der Weltbank. Es handelt sich nach wie vor nicht um genuin politische, sondern um private, um gesellschaftliche Ereignisse, nur hat sich der gesellschaftliche Status radikal verändert. G8-Gipfel sind jetzt eine Abart jener grellen Promi-Treffs, wie sie im Zeitalter der Medien auch anderswo üblich geworden sind, nur eben ohne direktes Publikum.

Man kann das daran ablesen, daß sich auch die Crème de la Crème (oder der Abhub) der Promi-Society, nämlich superreiche Recken der Popmusik, die auf ihre alten Tage das "Anggaschemont" für die Armen als Reklametrick entdeckt haben, intensiv für die G8-Gipfel interessiert. Bono spricht bei Kanzlerin Merkel vor, um sie zur Hilfe für Afrika zu ermahnen. Herbert Grönemeyer gibt unweit vom großen Zaun ein dröhnendes Open-Air-Konzert.

Nur: Politisch bewirkt wird dadurch nichts, und alle wissen es. Das Positivste, was sich von dem G8-Gipfel von Heiligendamm sagen läßt, ist, daß sich an ihm viele Süppchen wärmen lassen. Kanzlerin Merkel kann den Kollegen die Schönheit ihrer engeren Heimat zeigen, wenigstens aus dem Hubschrauber heraus, mit dem sie anreisen. Autonome Gruppen sehen die Möglichkeit zu phänomenalem Rabbatz. Attac gewinnt neue zahlende Mitglieder, unter ihnen Heiner Geißler.

Selbstredend ist das Ganze teuer. Allein der Bau des hohen Zaunes und der Einsatz der Sicherungskräfte kostet nach Expertenschätzung hundert Millionen Euro. Die Razzien gegen die anreisenden Protestler und die Verluste, die durch die Schließung der örtlichen Flughäfen entstehen, gehen ebenfalls in die Millionen. Insofern ist G8 Heiligendamm kein Nullsummenspiel.


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