© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/07 01. Juni 2007

Der Ansturm bleibt aus
Hambacher Fest: Am 175. Jahrestag der Freiheitsdemonstration springt der Funke nicht über / Versuch der Europäisierung
Martin Schmidt

Das ganze Dorf ist in Schwarz-Rot-Gold getaucht. Mit rührendem Eifer und Liebe zum Detail hat die Hambacher Bevölkerung den verwinkelten Straßenzügen und Gäßchen das Festkleid angelegt, das ihr für dieses Jubiläum würdig schien: Fahnen, Wimpel, Bänder. Ein schwarzrotgoldenes Grenzhäuschen mit entsprechendem Schlagbaum riegelt den Fußgängerbereich vor dem erwarteten Ansturm motorisierter Bürger ab.

Hambach ist ein Winzerdorf, das heute zu Neustadt an der Weinstraße gehört. Bekannt ist es durch das über dem Ort auf einem dem Pfälzerwald vorgelagerten Bergkegel thronende Hambacher Schloß, dem ein historisches Ereignis bis heute seinen Stempel aufdrückt: die erste deutsche Massendemonstration für Freiheit, Einheit und Bürgerrechte unter schwarzrotgoldenen Bannern am 27. Mai 1832 - also vor genau 175 Jahren (JF 22/07). Ihr wurde am vergangenen Wochenende rund um das Schloß gedacht.

Zumindest am Samstag zeigt sich das Wetter den Veranstaltern wohlgesonnen; die vorhergesagten Gewitter (solche störten schon am 27. Mai 1832 den Festablauf) ziehen erst am Abend herauf. Der vormittägliche Aufzug der Prominenz, allen voran Altbundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU) und der rheinland-pfälzische Ministerpräsident und SPD-Vorsitzende Kurt Beck, verläuft ohne Störungen.

Der Ansturm des Volkes kann kommen. - Aber er kommt nicht. Die Wiese vor der "Europabühne", auf der ein internationales Programm mit Liedern, Theatereinlagen und Tänzen abläuft, füllt sich nur spärlich. Auch die Angebote für Kinder in mehreren benachbarten Zelten finden wenig Resonanz. Vor der "Freiheitsbühne" am Eingang zum Schloß täuscht die Enge des Raumes noch über die geringe Menschenzahl hinweg, doch spätestens beim Wandeln durch die leeren Gänge der Dauerausstellung "Ein Fest für die Freiheit" zeigt sich das geringe Publikumsinteresse. Wenigstens läßt sich so die wohltuend unideologische Ausstellung in aller Ruhe betrachten. Ursprünglich sollte diese noch rechtzeitig zum Fest völlig neu gestaltet werden. Doch die Umgestaltung mußte verschoben werden, so daß die zur Ausstellung gehörende Multivisionsschau noch immer ein Bild vermittelt, auf dem das Freiheitsstreben der Hambacher gleichrangig mit dem untrennbaren Ziel der nationalen Einheit erscheint. Bezeichnenderweise endet die Schau mit der Melodie des Deutschlandliedes.

Deutsche, französische und polnische Fahnen

Von der ansonsten überall beschworenen europäischen Dimension des Hambacher Festes ist nur insoweit die Rede, als es die geschichtliche Überlieferung zuläßt. Diese erlaubt es, von der Vision eines demokratischen Europas der Nationalstaaten zu sprechen, die die 1832 versammelten Journalisten, Advokaten, Lehrer, Ärzte, Bürgermeister, Winzer und Hunderte anwesender Burschenschafter umtrieb. Zwar befanden sich unter den schätzungsweise 20.000 bis 30.000 Teilnehmern auch einige Elsässer mit französischer Trikolore, Engländer sowie polnische Emigranten, aber der Protest war zuvorderst eine deutsche Angelegenheit.

Doch zurück vom "deutschen Mai" 1832 in den Mai 2007: Warum lockte das umfangreiche Programm an diesem Samstag vor Pfingsten trotz besten Wetters und offizieller Wertschätzung des Erbes von Hambach derart wenige Besucher an? Beim letzten Jubiläum vor 25 Jahren waren es erheblich mehr gewesen. - Vielleicht ist der geringe Zuspruch der schlechten Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung geschuldet, die überall ein Plakat hatte anbringen lassen, das die Ereignisse von 1832 in ein seltsam zeitgeistiges Licht rückt. Das Plakat zeigt im Hintergrund das bekannte Aquarell Max von Boehms mit dem seinerzeitigen Demonstrationszug zum Burgberg. Darüber der fette Schriftzug: "Kaum machen wir eine Party, wird gleich Demokratie draus." Vorne sieht man ein Dutzend junger Leute, um die als Blickfang eine deutsche, eine französische und eine polnische Fahne zu sehen sind.

Das Hambacher Fest wird zur Party erklärt, die es mit einer weiteren großen Party im Stil der letztjährigen WM-Begeisterung zu feiern gelte. Und das, obwohl die Anführer des Aufbegehrens vor 175 Jahren, sofern sie sich nicht rechtzeitig in die Schweiz absetzen konnten, zunächst im Gefängnis gelandet waren, die Pressegesetze wenig später abermals verschärft wurden und die Fürsten den Dreifarb Schwarz-Rot-Gold mit einem Verbot im gesamten Deutschen Bund belegten. In keiner anderen Phase des 19. Jahrhunderts sahen sich derart viele Dichter und Publizisten angesichts der staatlichen Zensur und ständiger Überwachung zur Emigration gezwungen. Allein im Jahrzehnt vor der Revolution von 1848 wanderten alljährlich rund 40.000 Menschen aus Deutschland aus.

Die Monarchien kämpften während der Restaurationszeit mit allen Mitteln um den Erhalt ihrer Macht - gegen die "Zumutungen" des Konstitutionalismus, Liberalismus und Nationalismus. Die revolutionären Regungen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren alles andere als ein Spiel und erst recht keine Party, sondern bitterer Ernst.

Vielleicht verzichtete der eine oder andere Betrachter dieses Werbeplakates angesichts seiner unwürdigen Machart bewußt auf eine Teilnahme an dem Festwochenende. Die Massen dürften sich indes eine geeignetere Partymöglichkeit an einem anderen Ort gesucht haben. Ganz sicher ist der geringe Zuspruch aber auch auf die weitgehende Geschichtslosigkeit und Entpolitisierung der heutigen Bevölkerung zurückzuführen. Eine Tatsache mit historischer Kontinuität, die nicht zuletzt auf das biedermeierliche, intellektuell ummäntelte bürgerliche Zurückweichen vor der Restauration verweist. Denn wie klagte schon Ernst Moritz Arndt, einer jener in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wegen ihrer national-freiheitlichen Ideen geächteten oppositionellen Wortführer, über sein von ihm über alles geliebtes Volk: "Die Deutschen sind Kosmopoliten geworden und verachten die elende Eitelkeit, ein Volk zu sein; feine, leichte und aufgeklärte Gesellen sind es, ohne Vaterland, Religion und Zorn, die nur von Barbaren für etwas Großes gehalten wurden."

Foto: Altbundespräsident Richard von Weizsäcker (l.) und SPD-Chef Beck vor dem Hambacher Schloß: Das Volk hat sich rar gemacht


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