© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/07 01. Juni 2007

Absehbar ergebnislos
G8-Gipfel: Bereits jetzt ist das "Event" wichtiger als die Politik
Michael Wiesberg

Vor gut 15 Jahren veröffentlichte der Soziologe Gerhard Schulze ein Buch mit dem Titel "Die Erlebnisgesellschaft". Von einer "Erlebnisgesellschaft" könne dann die Rede sein, so meinte Schulze, wenn im historischen und interkulturellen Vergleich "Erlebnissen" eine relativ große Bedeutung für den "Aufbau der Sozialwelt" zukomme.

Popularisiert hat sich diese These unter dem Begriff "Event-Kultur", zu der zweifelsohne der kommende 33. G8-Gipfel in Heiligendamm gezählt werden kann. Ursprünglich sollten die Treffen der G8 unter Einbeziehung Rußlands (seit 1998), die fast zwei Drittel des Welt-Bruttonationaleinkommens auf sich vereinigen, "informeller Natur" sein; es sollten in "entspannter Runde" Themen und Probleme von globaler Natur besprochen werden. Davon kann seit langem keine Rede mehr sein. Mehr und mehr haben sich deren Treffen zu einem "Medien-Hype" entwickelt, der inzwischen jede Verhältnismäßigkeit vermissen läßt. Allen Anzeichen nach steht ein Erlebnismarkt der Superlative an, für den Medienberichten zufolge unter anderem ca. 16.000 Polizisten, die GSG-9-Kampfgruppe, ca. 1.100 Bundeswehrmitglieder, Phantom-Abfangjäger, Awacs-Aufklärungsflugzeuge, deutsche und US-Marineeinheiten, ca. 5.000 Journalisten aus aller Welt sowie das bunte Völkchen der Globalisierungskritiker aufgeboten werden. Letztere haben zu einem Gegengipfel aufgerufen, der eine demokratische Alternative zum "undemokratischen" Treffen der G8 darstellen soll. Gruppen wie Attac, Gerechtigkeit jetzt!, aber auch die Linkspartei sammeln ihre Gesinnungsgenossen unter altlinken Parolen wie "Wohlstand für alle", "weltweite Durchsetzung sozialer Menschenrechte" und Herstellung einer "solidarischen Wirtschaftsordnung" zu den Fahnen.

Daß der ein oder andere aus dem "militanten linksextremistischen Umfeld" diesen Zielen ganz gerne auch mit Gewalt nachzuhelfen bereit ist, haben die präventiven Polizeiaktionen der letzten Tage gezeigt. Die Polizei versuchte dabei auch, den Hautgout militanter Globalisierungskritiker in Form von Körpergeruchsproben zu sichern. Während Bundesinnenminister Schäuble hierin ein probates Mittel sieht, mögliche Tatverdächtige zu identifizieren, sprach Bundestagsvizepräsident Thierse davon, daß ihn diese Vorgehensweise an "Stasi-Methoden" erinnere.

Zu den Charakteristika heutiger Event-Kultur gehört, daß derartige Maßnahmen einen enormen Mobilisierungsschub auslösen, wie die Globalisierungskritiker aller Couleur einmal mehr feststellen konnten. Verwundern muß daher die Feststellung von Lotta Kemper, die der G8-kritischen "Pressegruppe Campinski" zugerechnet wird. Sie sprach davon, daß der kommende Gipfel, dessen Gesamtkosten auf ca. 100 Millionen Euro geschätzt werden, wahrscheinlich der "kostspieligste Unsinn in der Geschichte der Bundesrepublik" sei. Da dieser Gipfel für ihre Gesinnungsfreunde ein großer Sinn-Produzent ist, dürften die Kosten allemal gerechtfertigt sein.

Je größer nämlich der Aufwand und damit die Berichterstattung, desto größer der Solidarisierungseffekt. Wohl auch deshalb hat die NPD angekündigt, bei den Kritikern der Globalisierung mitmischen zu wollen; sie hat eine Demonstration in Schwerin unter der Parole "Nein zum G8-Gipfel - für eine Welt freier Völker" angemeldet und unterstreicht damit ihre sozialrevolutionären Ambitionen. Illusion wird wohl aber deren Ziel bleiben, an der Spitze aller Globalisierungsgegner zu stehen.

Der Globalisierung ein "menschliches Gesicht" geben, das wollen angeblich auch die Mitglieder der G8, wie Bundeskanzlerin Merkel im Bundestag behauptete und jüngst anfügte, daß die Bundesregierung die "Ängste der Bevölkerung" ernst nehme. Wie immer bei Merkel soll auch diesmal wieder ein "Signal" ausgehen, und zwar in Richtung "Beachtung sozialer und ökologischer Standards". Die Politik sei nicht machtlos, unterstrich die Kanzlerin treuherzig und versicherte laut FAZ: "Wir können die Globalisierung politisch gestalten." Entsprechend dieser Vorgabe soll der Gipfel, der unter dem Motto "Wachstum und Verantwortung" steht, die "richtigen Rahmenbedingungen für mehr Wachstum und Beschäftigung setzen" und Lösungen für die "Herausforderungen der Menschheit" wie den Klimaschutz erarbeiten. Bis 2020 soll nach dem Willen der G8-Teilnehmer der Anteil von Solarenergie, Windkraft und Biomasse am Gesamtenergieverbrauch der G8-Staaten deutlich ausgeweitet werden. Daß diese hehren Absichtserklärungen heiße Luft bleiben werden, garantieren vor allem die USA, die konkrete Festlegungen zum Thema Klimaschutz nicht in die Abschlußerklärung des Gipfels aufgenommen haben wollen.

Offen ist auch, was die "richtigen Rahmenbedingungen" für mehr Wachstum und Beschäftigung sein sollen bzw. wie das aussehen soll, was Merkel als "menschliches Gesicht" der Globalisierung bezeichnet. Soziale Mindeststandards etwa werden sich international nicht durchsetzen lassen, weil sie die Wettbewerbsvorteile vieler Länder erheblich beschneiden würden und deshalb am Widerstand von "Schwellenländern" wie Brasilien, China, Indien, Mexiko scheitern dürften. Aber darum geht es auf diesem Gipfel auch gar nicht - er ist vor allem ein Erlebnisangebot, das, um es mit Gerhard Schulze zu sagen, in "erlebnisbezogenen Begriffen" definiert und bewertet wird.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen