© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/07 25. Mai 2007

Im Geist der nationalen Verbrüderung
Das "teutsche Nationalfest" in Hambach fußte mehr auf Traditionen als auf revolutionären Idealen von 1789
Karlheinz Weißmann

In der Nacht vom 18. auf den 19. Oktober 1814 verfärbte sich der Himmel über Deutschland gelb und rot. An Stellen, die den Blick auf einen erhöhten Punkt erlaubten, muß das Bild der zahllosen Feuer, die entzündet worden waren, besonders eindrucksvoll gewesen sein. Darauf lassen jedenfalls die erhalten gebliebenen Berichte aus mehr als vierhundert Orten schließen, in denen das "teutsche Nationalfest" zur Erinnerung an den Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig gefeiert wurde.

Volksvergnügen statt höfischer Repräsentanz

Es war das erste Fest dieser Art, einem Aufruf folgend, der zuerst von Friedrich Ludwig Jahn, dann von Ernst Moritz Arndt ergangen war, so der Gefallenen zu gedenken und sich des Triumphs über Napoleon und die französische Fremdherrschaft zu freuen. Dabei spielte das Erlebnis des gemeinsamen Kampfes in den Befreiungskriegen eine wichtige Rolle. Jahn und Arndt gehörten zu denen, die den Widerstand in den Jahren zuvor wachgehalten und dann den Kampfgeist entfacht hatten. Jetzt wollten sie vor allem verhindern, daß das wieder verlorenging, was an neuem Gemeingeist entstanden war.

Einen festgelegten Ablauf für das Nationalfest gab es nicht, aber in den meisten Fällen fanden Umzüge statt, bei denen die Bürgeraufgebote mitzogen, weiter wurden fast überall Gottesdienste durchgeführt. Bemerkenswert daran war der für die Zeit ganz ungewöhnliche ökumenische Charakter: Evangelische nahmen an der katholischen Messe teil, Katholiken am evangelischen Gottesdienst, gelegentlich besuchten sogar Christen eine Synagoge und Juden eine Kirche, immer um den Geist der nationalen "Verbrüderung" auch im religiösen Sinn auszudrücken.

Es folgten Ansprachen, gemeinsames Essen und am Nachmittag Spiele für die Kinder und Wettkämpfe für die Jüngeren. Schließlich wurden am Abend die erwähnten Feuer entzündet, was man regelmäßig mit den traditionellen "Oster-" und "Johannisfeuern" in Verbindung brachte. Der Bezug auf diese Überlieferung ist deshalb wichtig, weil das "teutsche Nationalfest" sich damit deutlich von den französischen unterschied.

Zwar waren Jahn und Arndt mit Rousseau als Theoretiker und der Praxis der Französischen Revolution einig, was die Feier als wichtiges nationalpädagogisches Mittel betraf, aber sie setzten durchaus verschiedene Akzente. Es ging hier wie dort um einen zivilisierenden Effekt, der auf das rohe Volksvergnügen ausgeübt werden sollte, und um eine deutliche Abgrenzung von jeder höfischen Repräsentation. Der Anlaß mußte immer die Erinnerung an ein wichtiges Ereignis der nationalen Vergangenheit sein, das Zusammentreten der vielen sollte ein Gefühl der Stärke vermitteln, die Verbindung von Aufmarsch, Andacht, Belehrung und Spiel einer umfassenden Beeindruckung dienen. Während aber die Revolutionsfeste einen strikt antichristlichen Zug hatten, sollten in Deutschland keine "mythologischen Fratzen vorkommen wie die Vernunftgöttinnen in Neufrankreich, aus öffentlichen Unzuchthäusern geholt" (Jahn), und auch die Aufnahme volkstümlicher Traditionen widersprach dem, was die Franzosen wollten, indem sie die Nationalfeste ausdrücklich konstruierten, so daß sie der abstrakten Vernunft genügten oder einem phantasierten Bild des antiken Bürgerkultes entsprachen.

Den Versuch einer Generaldebatte gestartet

Daneben ist noch ein weiterer Unterschied festzuhalten: das Fehlen der stärksten neuen Ausdrucksformen nationaler Identität, der Nationalflagge und der Nationalhymne in Deutschland. Beide, Trikolore und Marseillaise, hatten in Frankreich fast von Anfang an die politische Symbolik geprägt. In Deutschland gab es nichts Vergleichbares. Immerhin entstand Schwarz-Rot-Gold nach dem studentischen Wartburgfest von 1817, wurde aber bald als Zeichen der "Demagogen" unterdrückt. Trotzdem entwickelte sich der "deutsche Dreifarb" in den 1820er Jahren zu dem Symbol der Nationalbewegung, und der Zug zum Hambacher Fest von 1832 unter schwarz-rot-goldenen Fahnen brachte die gewonnene Stärke besonders sinnfällig zum Ausdruck. Anders als das Nationalfest von 1814 hatte das von 1832 allerdings stärker den Charakter einer Demonstration. Auch wenn sich sehr viele Elemente wiederfanden, das Agitatorische der Reden, der Versuch einer Generaldebatte von vierhundert Teilnehmern über die Mißstände und die Verfolgung der Patrioten, das alles zeigte eine gewisse Verschiebung an.

Hambach gehörte zu den "nationalen Oppositionsfesten" (Dieter Düding), denen man die Gutenbergfeiern des Vormärz ebenso zurechnen muß wie die Schiller-, die Reformations- und Lutherfeste nach dem Scheitern der Revolution von 1848. Dabei wirkten sich regelmäßig zwei Tendenzen aus: eine allgemein-bürgerliche, die das Bildungselement betonte, und eine im engeren Sinn politische, die den Anlaß nutzte, um die Forderung nach Freiheit und Einheit unter Deckung durch den historischen Bezug zu erheben.

Während hier ein hervorragendes Datum der Vergangenheit den Ausgangspunkt bildete, fanden die Feste der Schützen, Turner und Sänger, die für das 19. Jahrhundert so kennzeichnend waren, regelmäßig statt. Deren Vereine bildeten den Kern der nationalen Opposition, ihre Zusammenkünfte dienten nicht nur dem Wettstreit, sondern auch dem Gedankenaustausch und der Stärkung des Gemeinschaftsgefühls im Widerstand gegen eine feindlich gesinnte Obrigkeit.

"Glücklich, wenn Deutsche fühlen, was sie sind"

Das entsprach auch der Intention, die Arndt in seinem "Wort über die Feier der Leipziger Schlacht" festgehalten hatte: "Die Sache spricht sich für sich selbst aus. Glücklich, wenn alle Deutsche fühlen, was sie sind und was sie sein könnten und was ihr Volk als Volk wert ist." Er hielt damit fest, was eigentlich der Sinn des Nationalfestes zu sein hatte: an die Stelle oder neben jene Feste zu treten, die in der Vergangenheit das Leben der überschaubaren Gemeinschaft bestimmt hatten, weil die Nation eine größere Gemeinschaft ist, die in der Gefahr steht, unanschaulich zu werden; deshalb bedarf sie besonderer Manifestationen, um sich ihrer selbst zu vergewissern und die Liebe zum Vaterland im Inneren der Menschen zu verankern.

Foto: Szene während des Hambacher Festes, Holzstich um 1880: Die allgemein-bürgerliche Tendenz betonte das Bildungselement, die politische Tendenz forderte Freiheit und Einheit


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