© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/07 25. Mai 2007

"Hinauf, Patrioten ..."
Deutschlands Wiedergeburt: Die Initiative zum Hambacher Fest ging von zwei Journalisten aus / Aufruf an der Zensur vorbei verbreitet
Günther Gillessen

Das Hambacher Fest fand nur zum Teil in Hambach unter freiem Himmel statt. Der größere spielte sich gewissermaßen im Saale ab, in Neustadt. Hambach war die Schauseite des Ereignisses, Neustadt die Innenseite. Hier war die Zusammenkunft geplant und ins Werk gesetzt worden, hier fand nach dem großen Festtag die politische Nacharbeit statt, hier kam es dann auch zum Zwist zwischen dem radikalen, republikanischen Flügel der Bewegung und ihrem gemäßigten, konstitutionell-monarchischen.

Neustadt war auch die logistische Basis des Hambacher Festes. In dieser nur 6.000 Seelen zählenden Stadt fanden die meisten der über 20.000 Teilnehmer Unterkunft, in den wenigen Gasthöfen der Stadt, in Privatquartieren, in Massenlagern auf Stroh in Schulräumen, Scheunen oder gar im Freien. Dazu muß man sich die übrige Versorgung vorstellen, improvisierte Garküchen, Buden, markterfahrene Bauern auf Leiterwagen mit Feldfrüchten, Milch, Schinken, gekochten Eiern und selbstgebackenem Brot. Niemand kann Großes aus kleinteiligen Beiträgen besser improvisieren als die Leute selbst, wenn Begeisterung Hilfsbereitschaft erzeugt und Gewitzte auch ein kleines Geschäft wittern und dafür einen Einsatz riskieren. Man muß sie nur machen lassen.

Am 27. Mai 1832, dem Sonntag vor Christi Himmelfahrt, gegen acht Uhr, setzte sich der Festzug nach Hambach in Bewegung unter dem Abfeuern von Böller-Kanonen, mit Blasmusik und beim Geläut der Neustädter Glocken. Die Pfarrer machten also auch mit. Voraus marschierte eine Abteilung Bürgergarde, dann folgte eine Gruppe Frauen, von denen eine die polnische Fahne mit dem roten Adler trug. Hinter einer zweiten Abteilung Bürgergarde schritten alle zwanzig Mitglieder des rheinbayerischen "Landrates", begleitet von Festordnern, diese jedoch nicht in den bayerischen Farben, sondern mit schwarzrotgoldenen Schärpen. Dann folgten Gruppen aus fast allen Gemeinden der näheren Umgebung von Neustadt, und bis Speyer, Worms, Mainz. Mehrere hundert Burschenschaftler aus Heidelberg, Abordnungen aus den Universitäten Würzburg, Tübingen waren gekommen, auch aus Jena - aus jener Universität, deren Studenten vor neunzehn Jahren, 1813, als Freiwillige in den Krieg gegen Napoleon gezogen waren und 1817 mit Ernst-Moritz Arndt das patriotische Fest auf der Wartburg ausgerichtet hatten. Im Zuge nach Hambach waren auch Elsässer mit der Trikolore. Im dritten Teil der Prozession zogen Gruppen aus dem preußischen Rheinland, aus Baden, Württemberg, Franken, Altbayern, Sachsen, Hannover, Westfalen. Am Schluß marschierte eine dritte Abteilung der Neustädter Bürgergarde.

Die Neustädter Fahne trug die Parole "Deutschlands Wiedergeburt". Die Dürkheimer zogen unter einer schwarzen Fahne und sangen dazu:

"Wir Winzer ziehn mit schwarzer Trauerfahne/ zum deutschen Feste heut',/ zu reißen die Regierung aus dem Wahne/ Wir seyen reiche Leut'!/ Wir wohnen in dem schönsten Land auf Erden/ Von Gottes Segen voll./ Doch müssen wir noch all zu Bettlern werden/ Durch den verdammten Zoll."

Die Regie des Festes lag in der Hand zweier Journalisten, eines im Jahr der Französischen Revolution in Lahr geborenen und ehemaligen Verwaltungsbeamten in badischen Diensten, des jetzt zweiundvierzigjährigen Philipp Jakob Siebenpfeiffer, und des vierundreißig Jahre alten Johann Georg August Wirth aus Hof in Franken. Beide waren Herausgeber radikal-demokratischer, von der Zensur scharf beobachteter und alsbald auch unterdrückter pfälzischer Zeitungen von überörtlichem Ruf. Wirth hatte im Januar 1832 den Deutschen Vaterlandsverein zur Unterstützung der freien Presse, kurz Preßverein, gegründet, der sich die "Organisation eines deutschen Reiches im demokratischen Sinne" vorgenommen hatte und heftig gegen die Fürsten polemisierte, die die freie Presse mit "Terrorismus" bekämpften, die Wünsche des Volkes "schnöde zurückwiesen", das Streben nach Einheit unterdrückten, die Freiheit der Franzosen zu zerstören und die deutsche Nation gegen sie aufzuhetzen suchten. Reiche und Arme sollten sich vereinigen und ein Beispiel am Opfermut der Polen nehmen. Der Verein zählte nach wenigen Monaten schon mehrere tausend Mitglieder in vielen Gegenden Deutschlands.

Nun, die bayerische Regierung zögerte nicht, Wirth sogleich einige Wochen einzusperren und seine Zeitung zu beschlagnahmen. Wie konnte es weitergehen? Als am 18. April 1832 ein Neustädter Geschäftsmann in verschiedenen Zeitungen die Pfälzer zu einem Huldigungs-Volksfest für das bayerische Königshaus zum Jahrestag des Erlasses der bayerischen Verfassung vom 26. Mai 1818 auf dem Hambacher Schloß aufrief, kam Siebenpfeiffer der Einfall, dieses Fest in eine Massenversammlung für demokratischen Fortschritt umzuwandeln und es - zur Verdeutlichung des Unterschieds - auf den folgenden Tag, den 27. Mai, einen Sonntag, zu verlegen. Das herkömmliche Volksfest war als politisches Agitationsmittel entdeckt.

In dem von Siebenpfeiffer verfaßten und von 32 Neustädter Bürgern unterzeichneten Aufruf zum Hambacher Fest, der den vorangegangenen des Geschäftsmanns als "ohne Auftrag ergangen" bezeichnete, war nichts von Revolution und Republik zu lesen, aber doch deutlich genug von "dem Kampfe für Abschüttelung innerer und äußerer Gewalt, für Erstrebung gesetzlicher Freiheit und deutscher Nationalwürde". Siebenpfeiffer und Wirth hatten den Aufruf mit Hilfe der Mitglieder des Vaterlandvereins an der Zensur vorbei rasch in vielen Teilen Deutschlands verbreiten können.

Die Behörden waren alarmiert. Der Regierungspräsident in Landau, Freiherr von Andrian-Werburg, verbot das Fest und untersagte Versammlungen von mehr als fünf Personen. Das führte zu heftigen Protesten der Pfälzer Bevölkerung und der Zeitungen, und diese wiederum zu Ärger in München über die Überreaktion Andrian-Werburgs, was nun diesen veranlaßte, das Fest ebenso selbständig zunächst mit Auflagen, schließlich ohne Beschränkungen zu genehmigen. Mit seinem Hin- und Her hatte er unbeabsichtigt selbst mitgeholfen, das Fest im ganzen Lande bekannt zu machen und die Öffentlichkeit zu mobilisieren.

Als der Festzug auf dem Hambacher Schloßberg ankam, empfingen ihn dort mehr als zwanzigtausend Personen, darunter auch Ludwig Börne, der aus Paris angereist war. Eine Anzahl girlandenbekränzter "Freiheitsbäume" war nach Art der Französischen Revolution und der Mainzer Republik aufgerichtet worden. Vom Turm der Ruine wehte neben der schwarzrotgoldenen Fahne auch die Fahne Polens. Mehr als zwanzig Reden wurden gehalten. Siebenpfeiffer deklamierte, sehr gestelzt: "Die Natur der Herrschenden ist Unterdrückung, der Völker Streben ist Freiheit. Das deutsche Volk, wenn die Fürsten nicht ihren Wolkenthron verlassen und Bürger werden, wird in einem Moment erhabener Begeisterung allein vollenden das Werk, wovor der siechkranke Dünkel erschrickt, wovor die auszehrende Selbstsucht erbebt und wogegen die hinsterbende Gewalt vergebens die Streiche des Wahnsinns in die Luft führt. Das deutsche Volk wird vollbringen das heilige Werk durch einen jener allmächtigen Entschlüsse, wodurch die Völker, wenn die Fürsten sie in den Abgrund geführt, sich einzig zu retten vermögen."

Wirth machte es nüchterner: Er sprach über Freiheit, Aufklärung, Vernunft, Nationalität, Volkshoheit, und betrachtete rundum die Fortschritte der Bewegung in den einzelnen Ländern Europas. Er rief dazu auf, Männer zu wählen, die durch Geist, Feuereifer und Charakter berufen seien, das große Werk der Reform zu beginnen. Deutlicher wurde er nicht, doch ist unschwer die Forderung nach einer deutschen Nationalversammlung zu erkennen. Anstoß erregte Wirth indessen bei den Teilnehmern aus Straßburg mit seiner Vorstellung, alle Deutsch sprechenden Teile Europas sollten sich mit dem "Vaterlande" vereinigen.

Die Lieder, die in Hambach gesungen wurden, klangen nicht weniger stark. Die Texte, auf Zetteln verteilt, wurden auf Melodien wohlbekannter Lieder gesungen. Siebenpfeiffer hatte ein vielstrophiges Lied verfaßt, das auf die Melodie des Reiterlieds aus "Wallensteins Lager" gesungen wurde. Es begann: "Hinauf Patrioten zum Schloß, zum Schloß ..." und sang von des Zaren finsterem Angesicht und den Freiheit liebenden Polen. In einer der Strophen kam deutlich die anti-föderalistische, unitarische Tendenz im radikalen Lager der Opposition zum Ausdruck:

"Was tändelt der Badner mit Gelb und Roth,/ Mit Weiß, Blau, Roth Baier und Hesse?/ Die vielen Farben, die sind Deutschlands Noth,/ Vereinigte Kraft nur zeugt Größe:/ Drum weg mit der Farben buntem Tand!/ Nur eine Farb' und ein Vaterland."

Richtig heftig wurde es in einem umgedichteten Jägerlied, in dem blutrünstig zur Treibhatz auf die Fürsten aufgerufen wurde:

"Hallo! Zum wilden Jagen auf jedes Kronentier./ Seht, es beginnt zu tagen im ganzen Jagdrevier./ Herab, du treue Büchse, Zum Schuß auf Fürstenfüchse im großen Vaterland ..."

Ein anderer Text, der später Gegenstand einer gerichtlichen Suche nach dem Verfasser wurde, forderte auf: "Erst hängt den Kaiser Franz, dann den im Siegerkranz ..."

Am Abend zogen die meisten wieder nach Hause, manche von Wein und Heldenliedern schwer.

Einige Redner hatten dazu aufgefordert, sich am nächsten Tag im Neustädter Schießhaus aufs neue zu versammeln, um nun im einzelnen über die Lage und das weitere Vorgehen in den einzelnen deutschen Staaten zu beraten. Nochmals kamen einige hundert Personen zusammen, um ohne Tagesordnung und ohne Versammlungsleitung zu debattieren. Solle man hier und jetzt durch Zuruf eine Anzahl von Vertrauensleuten aus den deutschen Staaten bestimmen und sie mit der Ausarbeitung von Vorschlägen betrauen? Oder solle man das neue Zentralkomitee des Preßvereins damit beauftragen? Solle man sich einfach zur Volksvertretung, gar als provisorische Regierung erklären und so der Frankfurter Bundesversammlung präsentieren?

Man erörterte, ob es besser wäre, mit einer Beschreibung des Hambacher Festes ähnliche Veranstaltungen in anderen Teilen Deutschlands anzustoßen oder eine Pressekampagne zu eröffnen. Was wolle man überhaupt, Reform oder Revolution? Alles blieb heftig umstritten und unentschieden. Die Teilnehmer trennten sich im Streit, als in einer weiteren Sitzung der Vorsitzende des Preßvereins, Schüler, alle weiteren Anträge mit der Frage nach der "Kompetenz", das heißt der Legitimierung durch Wähler, blockierte. So blieb nichts anderes übrig, als zu verabreden, daß jeder selbständig handeln möge. Der Preßverein, unter dessen Mitgliedern die Mehrheit gemäßigter dachte als seine Gründer Wirth und Siebenpfeiffer, blieb in seiner bisherigen Form beim bisherigen Programm.

Wirth, Siebenpfeiffer und andere Redner des Hambacher Festes wurden wenige Tage später verhaftet. Die bayerische Regierung verdoppelte ihre Truppenpräsenz in der Pfalz, ihr Befehlshaber übernahm vorübergehend die Kontrolle der Verwaltung, Regierungspräsident Andrian-Werburg wurde abgelöst.

Am ersten Jahrestag des Hambacher Festes kam es zu neuen Unruhen in der Pfalz, und bald darauf, im Juli 1833 zum Hauptverfahren gegen Siebenpfeiffer und Wirth vor einem außerordentlichen Assisengericht in Landau. Beide nutzten die Gelegenheit, den Geschworenen ihre politischen Vorstellungen breit darzustellen mit dem Erfolg, daß diese sie von der Anklage des Hochverrats freisprachen. Der Freispruch schützte die beiden allerdings nicht vor Fortsetzung der Haft, jetzt durch ein Polizei-Bußgericht.

Fotos: Philipp Jakob Siebenpfeiffer: "Erstrebung gesetzlicher Freiheit... ; Johann Georg August Wirth: ... und deutscher Nationalwürde"


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